git + emal + gpg + tor -> Online Wahlsystem?

Ilu ilu at fsfe.org
Mo Nov 9 05:14:13 UTC 2020


Hallo Carsten,

da schreib ich doch gleich mal meinen Guten-Morgen rant:

1. Wahlsysteme bestehen aus Software und Hardware. Du überlegst Dir da 
ein System, bei dem Du der Software vertraust. Es gibt aber keine 
vertrauenswürdige Hardware. Damit ist das aus technischer Sicht erledigt.

2. Du verstehst vielleicht, was Du da vorschlägst. Wer sonst noch? Oma 
Erna? Otto Normal? Kevin und Mandy?

3. Wer kontrolliert den Einsatz? Die Server? Die unter der vollständigen 
Kontrolle von Google, Microsoft, Apple, Intel ... stehenden Endgeräte?

4. Linux live distribution? Dazu fällt mir doch spontan ein berühmtes 
Zitat ein: "Erm, we have root." (Mark Shuttleworth, Ubuntu CEO). Sobald 
ein Rechner am Internet hängt, passieren Dinge, die Du erlauben musst 
(Sicherheitsupdates) aber nicht kontrollieren kannst. Viel Raum für 
Verschwörungserzählungen und für Manipulation.

5. Nicht auf Mobilgeräten? Wer hat in 10-20 Jahren überhaupt noch einen 
privaten PC? Schau Dir mal die Marktanteile oder die Umfragen in den 
Schulen an: Der Zug rast Richtung mobile-only. Deine free hardware will 
niemand, die passt nicht ins Wohnzimmer-Design und spricht nicht mit 
Alexa. Und zocken kann man damit auch nicht.

6. Umsetzen wird es nachher eines der großartigen Unternehmungen, die 
uns so geniale Projekte wie die Gesundheitsakte, die Telemetrie beim 
Arzt oder auch das Anwaltspostfach beschert haben. In welcher Welt lebst Du?

7. Es gibt bereits Wahlsoftware, wird hier zB bei Universitätswahlen 
eingesetzt. Die hiesige Informatikfachschaft hat angesichts der 
Umsetzung Schreikrämpfe gekriegt. Es hatte leider keiner Mut/Nerv/Geld 
für eine Klage. Jede Propagierung des Themas verschafft den 1-2 Firmen 
in dem Marktsegment neues Geschäft. Bisher schützt uns noch das 
Bundesverfassungsgericht, aber wie lange noch?

8. Menschen sind Augentiere. Tasten können sie auch halbwegs gut. Diese 
Sinne haben sich in Jahrmillionen etabliert. Bei elektronischen 
Wahlsystemen gibt es weder etwas zu sehen noch etwas zu tasten. Deshalb 
wird ein solches System und alles, was daran hängt, immer mit Misstrauen 
behaftet sein. Elektronische Wahlsysteme sind aus rein 
anthropologisch-psychologischen Gründen der Anfang vom Untergang für 
eine Demokratie.

9. Jede/r Bürger/in kann Wahlhelfer werden. Eine bessere Möglichkeit zur 
unmittelbaren Kontroll-Erfahrung gibt es nicht. Wer den Job selbst nicht 
macht, sieht jedenfalls, wie andere ihn machen und weiß "wenn ich 
wollte, könnte ich". Nur das, was alle Bürger selbst, mit eigenen 
Kenntnissen und den eigenen Sinnen nachvollziehen können, kann Vertrauen 
aufbauen. Und mit alle meine ich wirklich jede/n Wahlberechtigte/n, 
unabhängig von Bildung usw.

Die beiden letzten Punkte sind die wichtigsten, weshalb elektronische 
Wahlsysteme **NIEMALS** gestattet werden sollten. Bisher haben wir die 
Auszählung immer manuell hingekriegt und das werden wir auch weiterhin. 
Für Corona haben wir Briefwahl. Daß ein failed state wie die USA mit 
einem ohnhin völlig verkorksten System Probleme hat, sollte uns nicht 
dazu bewegen, unser bewährtes System aufzugeben.

Jede Diskussion über ein Abrücken vom Papierwahlsystem schadet massiv 
unserer Demokratie und das ist das letzte, das allerletzte, was wir 
jetzt noch gebrauchen können.

Viele Grüße
Ilu


Am 09.11.20 um 00:45 schrieb Carsten Knoll:
> Hallo Leute,
> 
> ich bin wahrscheinlich nicht der einzige, der zur Zeit etwas unzufrieden
> mit dem Funktionieren der Demokratie und insbesondere der Durchführung,
> Auswertung und Überzeugungskraft von Wahlen ist.
> 
> Als Frustrationstherapie habe ich mir ein Schema überlegt, wie sich auf
> Basis von etablierten freien Tools eine Wahl durchführen lassen müsste,
> die für alle transparent nachprüfbar und trotzdem anonym ist.:
> 
> URLs:
> https://github.com/cknoll/git-voting
> https://codeberg.org/cknoll/git-voting (leider ohne Bilder)
> 
> Titel: *Proposing a Verifiable Anonymous Voting System Based on Git,
> Email, GPG, and Tor*
> 
> Aus meiner Sicht verschaffen die Pandemie und der
> US-Wahl-Glaubwürdigkeitskonflikt dem Thema "Online-Wahl" (und einem
> potentiell daran festgemachten Loblied auf Freie Software und
> Anonymisierungstools) gerade eine gute medial Bühne.
> 
> Ich könnte mir folgendes vorstellen:
> 
> 1. Den Text zu einem guten Blog-Beitrag aufzubohren und damit ggf. ein
> bisschen Medienecho zu generieren. Nicht als Selbstzweck, sondern um die
> Wichtigkeit von Verschlüsselung und Annonymisierung hervorzuheben.
> 
> 2. Eine Prototyp-Implementierung angehen. Da nur ausgereifte Tools
> verwendet werden, sollte der Aufwand, um diese zusammenzubinden,
> überschaubar sein. Dieser Prototyp könnte dann z.B. bei den anstehenden
> Online-Parteitagen zum Einsatz kommen, und ganz nebenbei der Politik die
> Nützlichkeit von Freier Software demonstrieren.
> 
> 
> Für beides würde ich mich über Anregungen und Unterstützung freuen. Noch
> wichtiger wäre aber Feedback, wo der Ansatz ggf. systemische
> Schwachstellen hat.
> 
> 
> Gruß,
> Carsten
> 
> 
> 
> 


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