[FSFE PR][DE] Bundestagswahl 2017: Das sagen die Parteien zu Freier Software

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Di Sep 5 12:49:24 CEST 2017


 = Bundestagswahl 2017: Das sagen die Parteien zu Freier Software =

[ Online lesen: https://fsfe.org/news/2017/news-20170905-01.de.html ]

Die Free Software Foundation Europe (FSFE) veröffentlicht heute, als
Teil der "Koalition Freies Wissen", ihre Wahlprüfsteine für die Wahl zum
19. Deutschen Bundestag am 24. September 2017. Zusammenfassend schneiden
Grüne und Linke positiv ab. Beide Parteien scheinen die zentrale Rolle
von Software zu verstehen und sprechen sich, wie auch schon zur letzten
Bundestagswahl, sowohl für den Einsatz als auch für die aktive
Entwicklung von Freier Software aus. Im Vergleich dazu sind die
Positionen von CDU/CSU, der SPD und der FDP eher zurückhaltend und oft
mit Einschränkungen verbunden.

In den Wahlprüfsteinen der FSFE konnten die gefragten Parteien Stellung
nehmen zur Forderung, öffentlich finanzierte Software als Freie Software
zu veröffentlichen, sowie zu ihrer Bereitschaft, öffentliche
Verwaltungen schrittweise auf Freie Software zu migrieren. CDU/CSU, FDP,
Grüne, Linke, und SPD haben geantwortet und erklärten ihre jeweiligen
Positionen dazu. Wir analysieren die eingereichten Antworten und
vergleichen diese zudem mit unseren Wahlprüfsteinen von 2013 [1]. Die
Wahlprüfsteine wurden in Zusammenarbeit mit der Koalition Freies Wissen
erstellt. Die Koalition Freies Wissen ist ein Zusammenschluss aus
mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auf der Kampagnenseite
zur Bundestagswahl 2017 finden sich die kompletten Fragen und Antworten
der "Koalition Freies Wissen" [2]. Im Folgenden eine Zusammenfassung und
Bewertung der Antworten auf die Fragen der FSFE.

 === Wahlprüfsteine der FSFE zur Bundestagswahl 2017 ===

  Wie positionieren Sie sich zu der Forderung, dass Software, deren
  Entwicklung durch öffentliche Gelder finanziert oder kofinanziert wurde,
  grundsätzlich unter einer Freie-Software-Lizenz veröffentlicht werden
  soll, um sie auf diese Weise Bürgern und Unternehmen frei zur Verfügung
  zu stellen? Mit welchen konkreten Maßnahmen werden Sie Ihre Position
  umsetzen?

CDU/CSU haben unsere Frage nur teilweise beantwortet. Obwohl
wir nach einer Veröffentlichung von durch öffentlichen Geldern
finanzierter Software *entwicklung* fragten, sprechen CDU/CSU von einem
/"möglichen Einsatz Freier Software"/. Die von CDU/CSU aufgezählten
Kriterien, beispielsweise Funktionalität und Interoperabilität, werden
bei einer Eigenentwicklung vom Auftraggeber vorgegeben und vom
Auftragnehmer entsprechend umgesetzt. Die verwendete Lizenz hat darauf
keinen Einfluss und ist daher getrennt zu betrachten.

Ähnlich wie die CDU/CSU konzentriert sich die FDP bei ihrer Antwort auf
die Beschaffung von bereits existierender Software und weniger auf die
durch öffentliche Gelder finanzierte Softwareentwicklung, worauf die
Frage eigentlich abgezielt hat. Die FDP sieht Vielfalt, /"Wirksamkeit
öffentlicher Fördermittel"/ und einen fairen Wettbewerb als wichtige
Kriterien bei der Beschaffung von Software. Dies alles sind Werte, die
durch Freie Software verkörpert werden. Die Lizenz wird als
gleichwertiges Kriterium zur Qualität und Anwenderfreundlichkeit
genannt. Während es einerseits positiv zu bewerten ist, dass die Lizenz
für die FDP ein gleichwertiges Kriterium darstellt, sollte nicht außer
Acht gelassen werden, dass subjektive Kriterien wie
Anwenderfreundlichkeit in der Vergangenheit oft verwendet wurden, um
Freie Software zu verhindern. Darüber hinaus können Qualität und
Anwenderfreundlichkeit bei Freier Software unabhängig vom ursprünglichen
Entwickler verbessert werden, was sowohl bessere Ergebnisse ermöglicht
als auch den von der FDP geforderten fairen Wettbewerb stärkt.

Die SPD verspricht, sie /"wollen auch im Bereich der öffentlichen
Beschaffung von Software stärker auf quelloffene Software (Open Source)
setzen"/. Auch 2013 versprach die SPD bereits [3]  /"von der
öffentlichen Hand finanzierte Software soll, soweit es geht, als Freie
Software auch wieder der Allgemeinheit zur Verfügung stehen."/ In den
vergangenen vier Jahren wurde jedoch trotz Regierungsbeteiligung wenig
umgesetzt. Zum Beispiel veröffentlicht das SPD-geführte
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie seine eigens entwickelte
App "BMWi Behördenwegweiser" als proprietäre Software, welche zudem nur
für Nutzerinnen mit Google oder Apple Benutzerkonto verfügbar ist. Zum
Thema Elster meinte die SPD 2013 zudem noch: /"Wenn die Politik es ernst
meint, verstärkt auf Open Source und Freie Software setzen zu wollen,
dann muss sie auch im Bereich der Steuerverwaltung entsprechende
plattformunabhängige Ansätze unterstützen. Daher werden wir uns dafür
einsetzen, entsprechende Software auch für alternative Betriebssysteme
bereitzustellen."/ An der Situation hat sich bis heute allerdings nichts
geändert. Wir würden uns freuen, wenn das Thema in der nächsten
Legislaturperiode wieder aufgegriffen wird.

Die Grünen sehen Freie Software als einen /"Eckpfeiler für sichere und
zukunftsfähige IT-Systeme."/ Sie wollen Freie Software bei öffentlichen
IT-Beschaffungen bevorzugen, /"insbesondere dann, wenn BürgerInnen diese
einsetzen sollen."/ Ähnlich wie bei CDU/CSU und FDP wurde auch hier der
Punkt der öffentlich finanzierten Softwareentwicklung übersehen. Bei der
letzten Bundestagswahl gab es von den Grünen hierzu noch eine klare
Aussage, /"dass bei Softwareentwicklungen von Behörden stets der
Quellcode freigeben werden muss, d. h. die Programme müssen Open-Source
sein, damit möglichst viele Menschen von ihnen profitieren können und
die Möglichkeit besteht, sie einfach weiterzuentwickeln."/

Die Linken dagegen /"sind dafür, dass durch öffentliche Mittel
finanzierte Entwicklungen allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung
stehen, soweit dem keine Gründe der Sicherheit der
informationstechnischen Systeme oder der Arbeitsweise der öffentlichen
Verwaltung entgegenstehen."/ Dies geht einher mit dem Statement aus
2013, wo sie ebenso eine Veröffentlichung der von öffentlicher Hand
selbst beauftragten Software unter Freien Lizenzen forderten.


  Wie positionieren Sie sich zu der Forderung, dass alle öffentlichen
  Verwaltungen schrittweise auf solche Software umstellen sollen, die
  sowohl Bürgern als auch Unternehmen zur uneingeschränkten Nutzung,
  Bearbeitung und Weitergabe zur Verfügung steht (Freie/Open-Source-
  Software)? Mit welchen konkreten Maßnahmen werden Sie Ihre Position
  umsetzen?


CDU/CSU halten den Einsatz Freier Software zwar für sinnvoll,
erwähnen aber nicht, in welchem Umfang, an welchen Stellen und in
welchem Zeitraum sie planen, Freie Software in öffentlichen Verwaltungen
einzusetzen. Sie nennen Paragraph 63, Absatz 2 der
Bundeshaushaltsordnung (§ 63 Abs. 2 BHO ) als Hindernis, in dem es um
die Veräußerung von "Vermögensgegenständen" geht. Dem gegenüber steht
jedoch das Begleitdokument "Rechtliche Aspekte der Nutzung, Verbreitung
und Weiterentwicklung von Open-Source-Software" (2012) zur vierten
Auflage des Leitfaden für die Migration von Software:

"Nach § 63 Abs. 2 BHO dürfen Vermögensgegenstände nur veräußert werden,
wenn sie in absehbarer Zeit nicht benötigt werden. Dies dürfte bei der
Weitergabe von Software immer erfüllt sein, weil auch bei Weitergabe von
Kopien immer eine nutzbare Version bei der Verwaltung verbleibt; §63
Abs. 2 BHO stellt also keine Begrenzung für die Weitergabe von Software
dar." (S. 41)  Wenn die CDU/CSU in der Bundeshaushaltsordnung ein
Hindernis für ihre Pläne zum Einsatz von Freier Software sieht, hätten
sie die Möglichkeit gehabt das Gesetz in den letzten zwölf Jahren
Regierungsbeteiligung anzupassen. Wir würden uns wünschen, dass die
nächste Bundesregierung mögliche Unklarheiten in der BHO beseitigt und
bieten hierzu unsere Unterstützung an. Rechtliche Unklarheiten wie diese
sollten Innovationen in der öffentlichen Verwaltung nicht behindern.

Die SPD antwortet, sie wolle /"stärker auf Freie Software setzen"/ und
zitiert dazu aus ihrem Wahlprogramm. Dabei ist positiv hervorzuheben,
wie auf Seiten der SPD die wirtschaftliche Dimension mitbedacht wird,
denn diese möchte /"den Anteil freier Software in Verwaltung und
Bildungseinrichtungen erhöhen, um innovative Unternehmensgründungen im
regionalen Markt zu unterstützen."/ In der Praxis müssen wir allerdings
feststellen, dass die gleichen Vorhaben bereits 2013 formuliert und
trotz Regierungsbeteiligung der SPD hier keine Fortschritte erzielt
wurden.

Bei der Antwort der FDP fiel es uns schwer, einen Zusammenhang zwischen
"E-Government", "bürgerfreundliche[r] Verwaltung", "digitale[n]
Dienstleistungen" und unserer Frage zum Einsatz von Freier Software in
der Verwaltung herzustellen. Die FDP betont, dass für sie /"die Qualität
und Nutzerfreundlichkeit der Anwendungen"/ im Vordergrund steht. Zwei
Kriterien, welche sie bereits in ihrer Antwort zur ersten Frage
hervorgehoben haben. Dies legt nahe, dass bei der FDP das Thema Freie
Software nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Grünen haben diese Frage identisch mit der ersten Frage beantwortet.
Erstaunlich ist, dass sie an dieser Stelle nicht die Argumente aus ihrem
Wahlprogramm anführen. Dort begründen [4] sie den Einsatz von Freier
Software nämlich zusätzlich mit den Argumenten erhöhter Transparenz,
geringerer Abhängigkeit von einzelnen Herstellern und sicherer
Nachnutzung (S. 168).

Die Linke lässt in ihrer Antwort ein klares Bekenntnis zu Freier
Software erkennen. Sie sieht Freie Software als eine Möglichkeit, den
Datenaustausch zwischen verschiedenen Behörden zu erleichtern. Außerdem
begrüßen wir, dass die Linke die Weiterentwicklung Freier Software durch
öffentliche Verwaltungen fordert. Das hilft nicht nur anderen Behörden,
Kosten zu sparen, sondern kommt auch der Allgemeinheit zu Gute, da die
entsprechenden Freie-Software-Projekte von den Verbesserungen durch die
Behörden profitieren.

 === Fazit ===

Alle befragten Parteien haben sich im Vergleich zu ihren Positionen 2013
nahezu nicht bewegt. Die derzeitigen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD
haben sich bedauerlicher Weise nicht weiter in Richtung Freier Software
bewegt. Beide Parteien haben keine der von ihnen genannten Schritte zur
Förderung Freier Software eingeleitet. Die juristischen Bedenken
bezüglich § 63 Abs. 2 BHO wurden nicht geklärt und Deutschland bleibt
mit der schwachen Förderung Freier Software digitaler Nachzügler in
Europa. Das CDU geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) ist hier als einziges Ministerium positiv in Erscheinung getreten
und hat mit der Förderung des Prototype Fund [5] in dieser
Legislaturperiode mehrere Millionen direkt in die Entwicklung von Freier
Software investiert.

Im Vergleich dazu bestätigen die Grünen und die Linken das Bild, welches
sie bei unseren Wahlprüfsteinen zur letzten Bundestagswahl hinterlassen
haben. Während die Grünen bei allgemeinen Statements wiederholen, dass
Freie Software und freie Formate für sie /"ein Eckpfeiler für sichere
und zukunftsfähige IT-Systeme"/ sei, bekräftigen die Linken ihre
Position zu Freier Software: So sollen /"durch öffentliche Mittel
finanzierte Entwicklungen allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung
stehen"/. Positiv zu bewerten ist zudem, dass die Linke mit Blick auf
Freie Software nicht nur die kommerziellen Aspekte hervorhebt, sondern
auch die der Autonomie und der Wiederverwertbarkeit, da diese /"auch von
den IT-Zentren der öffentlichen Verwaltung mit weiterentwickelt werden
kann."/

 == "Während der letzten Legislaturperiode hat sich bei den Parteien nicht
viel zu Freier Software getan. Das muss sich nach der Wahl ändern, damit
Deutschland nicht den Anschluss an Software-Innovationen verliert, von denen
Unternehmen schon lange profitieren. Dafür bieten wir unsere Hilfe und
Expertise an", so Björn Schießle, Deutschlandkoordinator der FSFE.  Wie Du
helfen kannst ==

Es ist noch etwas Zeit bis zur Bundestagswahl am 24. September. Sollten
die Antworten der Parteien weitere Fragen aufgeworfen haben, möchten wir
alle dazu ermutigen, diese direkt an die Kandidatinnen zu stellen.
Hierfür bietet sich die Plattform Abgeordnetenwatch [6] an, aber auch
der direkte Kontakt auf Wahlkampfveranstaltungen, per E-Mail oder
telefonisch ist eine gute Möglichkeit um mit Politikern in Kontakt zu
kommen und mehr, über ihre Position zu Freier Software zu erfahren. Zur
weiteren Wahlinformation vor der Bundestagswahl haben wir zusammen mit
der Koalition Freies Wissen außerdem einen Digital-O-Mat [7] gestaltet.
Ähnlich dem "Wahl-O-Mat" der Bundeszentrale für politische Bildung
können sich die Nutzer des Digital-O-Mat durch ihre eigenen Antworten
mit den zur Wahl antretenden Parteien vergleichen.

Analysen wie diese, vom ersten Entwurf der Fragen bis zur abschließenden
Auswertung, kosten viel Zeit und Recherche. Aber auch nach der Wahl
wollen wir mit den Parteien in Kontakt bleiben und sie bei der Umsetzung
ihrer Wahlversprechen begleiten. Wir freuen uns deshalb über jede
Unterstützung [8], um auch in Zukunft diese wichtige Arbeit zu leisten.

 === Über die Koalition Freies Wissen ===

Die Koalition Freies Wissen ist ein Zusammenschluss aus mehreren
zivilgesellschaftlichen Organisationen, namentlich des Bündnis Freie
Bildung [9], dem Chaos Computer Club e.V. [10], dem Digitale
Gesellschaft e.V. [11], dem Förderverein freie Netzwerke e.V. [12], der
Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. [13], Wikimedia Deutschland
e.V. [14] und der Free Software Foundation Europe.

Gemeinsames Ziel der Koalition Freies Wissen ist es, die politische
Bildung zu den Themen Digital- und Netzpolitik voranzutreiben sowie
digitale Bürgerrechte in Gesellschaft und Politik zu verankern und zu
beleuchten. Dazu wurden in vorangegangenen Landtagswahlen sowie zur
Bundestagswahl 2017 gemeinsame Wahlprüfsteine an die jeweils antretenden
Parteien versendet und für die Bundestagswahl zudem ein gemeinsamer
Digital-O-Mat [15] gestaltet.


  1: https://fsfe.org/news/2013/news-20130703-01
  2: https://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201709-germany-bundestagswahl
  3:
https://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201309-germany-bundestagswahl.de.html#id-antworten-der-parteien
  4:
https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/BUENDNIS_90_DIE_GRUENEN_Bundestagswahlprogramm_2017.pdf#page=168
  5: https://prototypefund.de
  6: https://www.abgeordnetenwatch.de
  7: https://fsfe.org/news/2017/news-20170829-01
  8: https://fsfe/support
  9: http://buendnis-freie-bildung.de/
 10: http://buendnis-freie-bildung.de/
 11: https://digitalegesellschaft.de/
 12: https://freifunk.net/
 13: https://okfn.de/
 14: https://www.wikimedia.de/wiki/Hauptseite
 15: https://fsfe.org/news/2017/news-20170829-01

  == About the Free Software Foundation Europe ==

  Free Software Foundation Europe is a charity that empowers users to
  control technology. Software is deeply involved in all aspects of our
  lives; and it is important that this technology empowers rather than
  restricts us. Free Software gives everybody the rights to use,
  understand, adapt and share software. These rights help support other
  fundamental freedoms like freedom of speech, press and privacy.

  The FSFE helps individuals and organisations to understand how Free
  Software contributes to freedom, transparency, and self-determination.
  It enhances users' rights by abolishing barriers to Free Software
  adoption, encourage people to use and develop Free Software, and
  provide resources to enable everyone to further promote Free Software
  in Europe.

  http://fsfe.org


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