IPad-Zwang

Dominik George dominik.george at teckids.org
Mi Apr 3 10:15:06 UTC 2024


Hallo Roland,

ich bin nicht ganz sicher, was deine Frage mit der Lizenzierung von
Büchern zu tun hat – ich vermute, du hast auf Michaels Mail geantwortet
und dann nur den Betreff geändert. Falls das so ist, bitte nicht machen,
sondern für neue Themen neue Mails schreiben. Falls ich mich irre, wäre
es nett, wenn du den Zusammenhang noch erklären könntest.

On Wed, Apr 03, 2024 at 11:36:39AM +0200, Roland Miyamoto wrote:
> gegenwärtig sehe ich mich mit einem Problem konfrontiert,
> das nach meiner Einschätzung eigentlich sehr viele Elternteile haben müssten.
> Andererseits fühle ich mich damit völlig allein:
> 
> An der Schule meiner Kinder wird erwartet / wurde beschlossen,
> dass jedes Kind ab Klasse 8 ein eigenes Apple IPad besitzt und damit arbeitet,
> und zwar sowohl in der Schule als auch zu Hause.
> Der Unterricht einschließlich Hausaufgaben wird darauf ausgerichtet.

Damit bist du absolut nicht alleine. Die Verteilung von iPads sowie die
Einflußnahme auf die Bildung durch so genannte "Apple Teacher", die von
Apple gezielt eingesetzt werden, um die Ausrichtung des gesamten
Unterrichts auf Apple-Geräte auszurichten, ist überwätigend.

> 
> Nun möchte unsere Familie diesen Trend aus
> (in dieser Runde vielleicht ohne Erklärung)
> verständlichen Gründen nicht mitmachen.

Das ist erfreulich!

Wichtig fände ich übrigens, dass die Meinung eurer Kinder dabei auch
eine Rolle spielt. Insbesondere dann, wenn sie mit ihren Daten und
ähnlichem *strikter* umgehen wollen als ihr Eltern ;).

> Daheim arbeiten wir komplett mit Debian Linux auf Lap- und Desktops.
> Proprietäre Geräte wie Smartphones etc. dürfen unsere Wohnung nicht "betreten".

OK, das klingt für mich etwas sehr paranoid, oder, sagen wir besser,
realitätsfern.

Heißt das, dass eure Kinder keine Freunde mit proprietären Geräten haben
dürfen? Ich hoffe doch sehr, dass das ein Missverständnis ist…

> • Welche Möglichkeiten haben wir, für uns und unsere Kinder unsere digitale Souveränität zu bewahren?

Das ist eine sehr schwierige Frage – insbesondere, wenn euch daran
gelegen ist, neben der Wahrung der digitalen Mündigkeit (nicht
Souveränität, das ist etwas ähnliches auf politischer Ebene) auch das
Recht eurer Kinder auf einer freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu
wahren.

> • Haben unsere Kinder ein Recht auf Unterricht unabhängig von vorgeschriebenen Geräten?
> 
> • Kann die (in diesem Fall evangelische) Schule unseren Schulvertrag kündigen, wenn wir nicht mitziehen?

Das kommt auf den Vertrag an. Eine Schule in privater Trägerschaft darf
grundsätzlich erstmal mehr als eine staatliche. Hier spielen sehr viele
Gesetze und Verträge eine Rolle. Ich versuche mal, das grob zu
skizzieren (IANAL, Michael möge mich korrigieren):

 1. Das Vertragsrecht – durch das BGB ist erstmal geregelt, dass ein
    privatwirtschaftlicher Vertrag, um den es sich bei eurem
    Schulvertrag handelt, der Vertragsfreiheit unterliegt. Die Schule
    ist also nicht verpflichtet, einen Vertrag mit euch einzugehen oder
    aufrechtzuerhalten und ihr andersherum ebenso wenig. Der Besuch der
    Schule ist eine freie Entscheidung und unterliegt den Bedingungen
    des Schulvertrags – wenn ihr mit denen nicht einverstanden seid,
    seid ihr frei, zu gehen.

 2. Das Datenschutzrecht – die DSGVO und die deutschen Gesetze, die sie
    konkret in Bundes- und Landesrecht umsetzen, regeln, in welcher Form
    personenbezogenen DAten von der Schule verarbeitet und weitergegeben
    werden dürfen. Ob das hier überhaupt eine Rolle spielt, steht und
    fällt mit der Frage, wem die iPads gehören. Gehören sie euch, habt
    ihr private Apple-Accounts? Dann ist die Schule als verantwortliche
    Stelle im Sinne der DSGVO erstmal raus. Gehören die iPads der
    Schule, steltl die Schule die Apple-Accounts oder gibt Daten der
    Kinder gar an Apple weiter? Dann ist die Schule verantwortliche
    Stelle und es wird spannend, einfacher oder beides. Denn:

      * Die Verarbeitung und Weitergabe von personenbezogenen Daten darf
        nur unter den Bedingungen des Art. 6 DSGVO erfolgen; hier kämen
	konkret die Sätze a (konkrete Einwilligung) und b
	(Vertragserfüllung) in Frage.

      * Überlegt man, ob die Verarbeitung der Daten und Weitergabe an
        Apple zur Erfüllung des Schulvertrags notwendig ist, gibt es
	keine klare Antwort. Die Schule wird das kalr bejahen; ich
	persönlich würde es klar ablehnen.

      * Überlegt man stattdessen, ob eine Einwilligung vorliegt, so muss
        diese freiwillig sein, d.h. unabhängig vom Schulvertrag erteilt
	werden und die Nichterteilung muss ohne Konsequenzen für die
	Erfüllung des Schulvertrags bleiben

 3. Der Schulvetrag – das ist das konkrete Dokument, das die rechtlichen
    Verhältnisse zwischen deinen Kindern und/oder dir und der Schule
    regelt. Hier wäre noch interessant, wer Vertragspartner ist – ihr
    als Eltern oder euer Kind?

 4. Die Nutzungs- und Datenschutzbedingungen von Apple – falls ein
    eigener Apple-Account verwendet wird, dann ist das ein zusätzlicher
    Vertrag mit Apple. Eine Verpflichtung, den einzugehen, kann die
    Schule nur aussprechen, wenn der Vertrag mit Apple auch
    Vertragsbestandteil des Schulvertrags ist.

Du siehst, es ist kompliziert, und es gibt viele Variablen. Um das für
deinen konkreten Fall genau zu klären, bräuchte es einen Anwalt für
Vertragsrecht und Datenschutzrecht.

Ich gehe hier mal vom wahrscheinlicshten Fall aus: Die Geräte gehören
der Schule, werden in deren MDM mit Accounts versehen und dafür werden
die Namen der Schüler*innen an Apple weitergegeben. Im Schulvertrag ist
nichts konkretes geregelt, die Schule vertritt aber die Ansicht, dass
der Unterricht ohne die iPads nicht möglich ist und wird sich daher
datenschutzrechtlich auf DSGVO Art. 6 Satz b) berufen.

Zusammenfassend steltl sich die geschilderte Situation dann so dar, wie
es leider fast immer ist, bspw. auch beim Einsatz von
Microsoft-Produkten in der Schule: Der absolute Großteil der Schulen
arbeitet aktuell auf der Basis des wichtigen jurisitschen Leidsatzes "Wo
kein Kläger, da kein Richter". Denn das alles ist eine wahnsinnige
rechtliche Grauzone. Bei Microsoft ist es etwas einfacher, denn die BDSK
(Bundesdatenschutzkonferenz) hat eindeutig festgestellt, dass ohne
selbst angefertigtes Verfahrensverzeichnis und eigenhändigen Nachweis,
dass sich Microsoft an die DSGVO hält, kein legaler Einsatz möglich ist.

Bei allem anderen ist es so, dass die Grundzüge des Rechts zwar klar
sind – die DSGVO ist ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, d.h., alles, was
mit personenbeogenen Daten zu tun hat, ist verboten, außer, es ist
erlaubt – aber welche Tatbestände und Sachverhalte konkret unter die
sechs Erlaubnisse des Art. 6 fallen, ist fast komplettes Neuland. Es
gibt keine Gesetze, die das regeln, die konkrete Ausgestaltung des
Datenschutzrechts bzgl. des Erlaubnisvorbehalts beruht auf
Präzedenzfällen aus der Rechtsprechung.

Heißt auf deutsch: So lange wir nicht eine kritische Masse an Märtyrern
finden, die bereit sind, ihre Schulen zu verklagen, weiß man nichts
Genaues. Aufgrund des Machtgefälles zwischen Schulen/Lehrkräften und
Familien/Kindern macht das aber eben de facto niemand.

Daher bleiben zwei Wege:

 * Reden, reden, reden, Aktivismus, abwarten, und bis dahin mit dem iPad
   leben

 * Widersprechen, Anwalt nehmen, klagen und damit an deiner Schule
   vermutlich den Märtyrertod sterben (aber vielleicht helfen, die Welt
   zu verbessern)

Bei beiden Kursen würde ich unbedingt sensibel die Meinung und die
Bedürfnisse deine rKinder berücksichtigen. Ist der Besuch dieser
konkreten Schule für sie wichtig? Dann bring ihr Umfeld dort nicht durch
Hardlinertum in Gefahr.

> Gibt es in unserer Runde Menschen mit ähnlichen Erfahrungen?
> Wie seid ihr vorgegangen, und was ist dann passiert?
> Kann uns jemand eine juristische Einschätzung geben?

Ich sammle aktuell vereinzelt Eltern & Co. ein, um bei Teckids
<https://teckids.org/> eine sich regelmäßig treffende Interessengruppe
zu dem Thema zu gründen, um das ganze Thema großflächiger anzugehen,
Anwälte zu crowdfunden und zu sehen, dass wir die juristischen Maßnahmen
in unseren Verein verschieben, so dass nicht einzelne Eltern oder
Familien mit ihrem Namen an ihrer Schule dafür "haften" müssen.

Wenn du daran Interesse ahst, ping mich bitte.

Viele Grüße,
Nik

-- 
Dominik George (1. Vorstandsvorsitzender, organisatorischer Leiter)
Teckids e.V. — Digitale Freiheit mit Jugend und Bildung
https://www.teckids.org/
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