Bundesbehörde will Microsoft Teams einsetzen

Kristian Rink mail at zimmer428.net
Fr Mär 6 14:23:21 UTC 2020


Hi;

Am Freitag, den 06.03.2020, 13:58 +0100 schrieb Roland Hummel:
> 
> nachvollziehbare Darstellung, aber: Habe ich das KISS-Prinzip nicht
> verstanden (für jeden Service genau ein Dienst, der nicht mit anderen
> so verzahnt ist, dass Lock-In-Effekte entstehen) oder hat dieses
> Prinzip kein IT-strategisches Gewicht mehr?
> 

Mir fällt es schwer, das sinnvoll zu beantworten. Die eigentliche
Anforderung hierfür wäre letztlich, Dienste mit offenen Schnittstellen
und portablen Datenformaten zu verwenden. Das Problem dabei: Das läuft
momentan für Kunden auf eine Entscheidung entweder pro Funktionalität
oder pro Offenheit hinaus, und die ist (insbesondere bei nicht-
technischen Kunden, die auf Budget und Funktionalität schauen *müssen*)
schnell getroffen... Wir haben das über Jahre versucht und sind an so
trivialen Stellen gescheitert wie einer Kalender-Integration (bei der
ich nicht Leute zu Terminen einladen möchte an Zeiten, an denen die
schon in ihrem Kalender geblockt sind). 

Unsere Herausforderung als Community ist, dass wir für den Anspruch,
den wir eigentlich berechtigt hätten - separate, isolierte Dienste für
alle relevanten Geschäftsfälle, die sich sinnvoll verknüpfen lassen -
absolut nichts haben, was in der Breite eines O365 wirklich endnutzer-
oder unternehmenstauglich ist. Deswegen werde ich auch manchmal nervös,
wenn ich sehe, dass wir *noch* eine Linux-Distribution oder *noch* ein
FLOSS-Messaging-Protokoll und *noch* eine Impl davon in irgendeiner
esoterischen Programmiersprache an den Start bringen. Eigentlich gäbe
es wichtigere Herausforderungen.



> 
> Soll heißen: "Eierlegende Wollmilchsäue" sind nur so lange attraktiv
> wie die Eier auch gelegt werden, die Milch nicht sauer schmeckt und
> die Wolle einigermaßen Qualität hat.
> 

Natürlich. Wobei die Qualität aber leider "relativ" wird, wenn die
Menge an Alternativen überschaubar ist. Konkret bei O365/Teams ist das
extrem schwierig. Was ich dort erlebe, ist: Die Unternehmen mieten
Azure, mit Windows-Domaincontroller in der Cloud, an dem die Desktops
hängen, auf die das Office synchronisiert wird. Die Windows-Desktops
haben mit erster Anmeldung des Nutzers das Office, die Kalender, Mail
und alle anderen relevanten Daten (einschließlich
Sicherheitsrichtlinien und sonstiger Anwendungen) weitestgehend da. Und
die Nutzer können mit O365-Anbindung in ihrem Word, Excel, ... in der
*Desktop*-Anwendung kollaborativ arbeiten. 

Ich freue mich absolut nicht darüber, dass das von Microsoft kommt.
Aber letztlich prägen die dortigen Möglichkeiten die Wahrnehmung vom
Markt. Das ist eines der Probleme, das ich seit vielen Jahren hier mit
Linux-Desktops habe - es ist schwierig bis unmöglich, beispielsweise
Sicherheitseinstellungen für den Browser für bestimmte Nutzergruppen
netzwerk-übergreifend auszurollen in einer Form, die sich lokal nicht
aushebeln lässt. Und kaum jemand, der vorher vielleicht FLOSS-Know-How
im Haus hat, wird versuchen, sowas mit Selfhosting-Werkzeugen
nachzubauen.


Bei O365 und Teams kommt zudem noch ein erschwerender Faktor hinzu:
Third-party-Anwendungen. Ich sehe bei uns eine zunehmende Menge an
Applikationen, die auf O365 und Teams sitzt und nicht von Microsoft
kommen, sondern die man in Teams installieren und nutzen kann. Dort
gibt es einen ganzen Haufen von fachspezifischen Modulen, die bestimmte
Anwendungsfälle in Team-Zusammenarbeit abbilden können. Siehe etwa [1].
Wie *diese* Entwicklung professionellen Einsatz von FLOSS in Zukunft
beeinflussen wird, ist, glaube ich, noch gar nicht absehbar. 


Viele Grüße,
Kristian



[1]https://appsource.microsoft.com/en-us/marketplace/apps?src=office&search=teams&page=1



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