Verhaltensregeln (war: Re: US-Berufungsrichter: Softwarepatente verletzen die Meinungsfreiheit)

RA Stehmann anwalt at rechtsanwalt-stehmann.de
Mi Nov 2 16:04:44 UTC 2016


Am 02.11.2016 um 15:55 schrieb Erik Albers:

>> Das sind gerade nicht alle durch diese Regeln potentiell Betroffenen.
>>
>> Meine Meinung, die Du hier abfragst, ist, dass derartige Regeln entweder
>> überflüssig oder im Falle einer Anwendung sogar schädlich sind, weil sie
>> Konflikte nicht lösen, sondern vielmehr (nur) geeignet sind, das
>> Austragen von Konflikten auf den Listen etc. zu unterbinden.
>>
>> Dann ist zwar "Ruhe" auf den Listen etc., aber eine Partei äußert sich
>> entweder nicht (mehr) oder ist draußen.
> 
> Ich denke es ist wichtig sich einmal zu vergegenwärtigen, dass es Menschen
> gibt die über viel Selbstvertrauen verfügen, keinem Konflikt ausweichen und
> gerne ihre Meinung einbringen selbst wenn es eventuell auf Kosten anderer sein
> könnte oder sie sich selbst damit angreifbar machen.
> 
> Aber es gibt auch Menschen, die wenig Selbstvertrauen haben oder die Konflikte
> scheuen oder die ihre Meinung nicht äußern werden wenn die Gefahr besteht,
> dass sie dann angegriffen werden.

Wenn es wirklich eines Codes of Conduct bedürfte, damit jemand in den
Fällen, die Du offenbar im Auge hast, eingriffe, dann wären wir wirklich
eine armselige Gemeinschaft.

Allerdings gilt auch: Wer von seinem Recht auf Freie Rede gebraucht
macht, darf schon aus Gründen der Gleichheit aller eine Widerrede und
damit einen Konflikt nicht scheuen.
> 
> Naturgemäß sind die erste Gruppe von Menschen viel lauter und sichtbarer (da
> die andere Gruppe nunmal scheu ist) und bestätigt sich gegenseitig darin, dass
> doch alles wunderbar funktioniert, ganz ohne Regeln und jeder für sich selber.

Meiner Meinung bedarf es keines Codes of Conduct um die "Scheuen" zu
bestärken, sondern eher so etwas wie Zuwendung und Bestärkung. Das aber
kann ein Code of Conduct nicht leisten.

> 
> Um also beide Interessen miteinander auszugleichen helfen klare
> Verhaltensregeln und ein Modus was passiert wenn diese Verhaltensregeln
> verletzt werden. Je größer eine Gemeinschaft wird, desto heterogener wird
> diese normalerweise auch und desto notwendiger werden eben gemeinsame
> Umgangsformen.

Im Falle von Heterogenität hilft nur Toleranz aber keine
Vereinheitlichung des Verhaltens durch "klare Verhaltensregeln", die
letztendlich dann doch nicht so klar sein können (und sind), dass man
ohne jegliche Wertung jeden Einzelfall eindeutig und zweifelsfrei
beurteilen könnte.

Ich nehme einmal ein Beispiel, das Du selbst gesetzt hast.

Du hast hier geschrieben:

"Aber das heißt, dass wir zum Beispiel offensive und persönliche verbale
Attacken innerhalb von FSFE Kanälen nicht akzeptieren."

Ich nehme das einmal als Maßstab für Deine folgende Äußerung:

"Übrigens: Entschuldigungen sind gerne gesehen."

Bitte versteht mich nicht falsch: Ich finde diese Äußerung durch aus
akzeptierbar.

Aber:

In der Aufforderung zur Entschuldigung ist der Vorwurf persönlichen
Fehlverhaltens enthalten. Diesen Vorwurf kann man unschwer als
"persönliche verbale Attacke" auffassen. Schwerer zu beantworten ist
dann die Frage, ob es sich um eine "offensive verbale Attacke" handelt.
Was offensiv und was defensiv ist, ist gar nicht so leicht zu
entscheiden. Auf dem Spielplatz heißt es: "Der andere hat aber
angefangen" und Historiker diskutieren in dicken Büchern die
"Kriegsschuldfrage". Hier wäre die Frage relativ möglicherweise leicht
zu beantworten:

Der Wortlaut der Äußerung kann nämlich zu ihrer Bewertung als ironisch
führen und Ironie ist eher eine "Offensivwaffe".

Hinzu kommt dann noch, dass Du niemanden persönlich ansprichst, damit
also suggerierst, es sei allen, einschließlich der Person, die sich
Deiner Meinung nach entschuldigen sollte, sonnenklar, wer gemeint ist.
Damit behauptest Du aber zugleich ein schweres und eindeutiges
Fehlverhalten der Person, die Du meinst, nicht nennen zu brauchen.

Du schaffst außerdem eine Distanz zwischen Dir und dieser Person, indem
Du sie nicht beim Namen nennst und direkt ansprichst.

Recht - und der Code of Conduct ist so etwas, denn er will Folgen an
Verhalten knüpfen - ist außerdem zur Lösung derartiger sozialer Fragen
nur sehr begrenzt in der Lage. Recht kann Entscheidung legitimieren
(besteht da bei der FSFE ein Bedarf?), aber nur ausnahmsweise Frieden
schaffen.

Daher ist es auch gut, dass mein Beispiel keinen wirklichen "Ernstfall"
betraf und nur demonstrativen Charakter hat.
> 
>> Ich bin nicht der Meinung, dass dies die FSFE "stärker" macht, aber man
>> kann da auch anderer Meinung sein.
> 
> was heißt denn "stärker" ? Für mich mindestens sympathischer.

Auch hier habe ich eine abweichende Meinung.

 Oder Sponsoren. Mozilla beispielsweise sponsort kein
> Event mehr ohne einen passenden CoC.

Das ist allerdings ein hervorragendes Argument für einen "Code of Conduct".

-----------------------------------------------------------------

Das Problem, das ich mit einem solchen habe, ist vor allem, dass er gut
gemeint sein mag, aber in der Regel zu widersprüchlichem Verhalten führt.

Wer sich auf ihn beruft, wirft einem anderen schwerwiegendes
sozialwidriges (oder auch asoziales) Fehlverhalten vor. Das kann der
andere nur als persönlichen Angriff auffassen, gegen den er sich wehren
muss, vor allem wenn der Ausschluss aus der Gemeinschaft droht.

Ergo ist die Berufung auf den Code of Conduct genau das, was er zu
verhindern vorgibt, nämlich ein persönlicher Angriff im Rahmen einer
Diskussion.

Dadurch kann die Berufung auf den Code of Conduct zu einer Waffe in der
verbalen Auseinandersetzung werden. Sie führt auf jeden Fall
zwangsläufig dazu, dass die Diskussion moralisch "aufgeladen" wird.

Dies aber erschwert eher die Lösung von Konflikten, als sie zu befördern.

Gruß
Michael



-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit Binärdaten wurde abgetrennt...
Dateiname   : signature.asc
Dateityp    : application/pgp-signature
Dateigröße  : 198 bytes
Beschreibung: OpenPGP digital signature
URL         : <http://lists.fsfe.org/pipermail/fsfe-de/attachments/20161102/8a46ef13/attachment.sig>


Mehr Informationen über die Mailingliste FSFE-de