Re: Makroprogrammierung für Officeprogramme als erste Programmiererfahrung im Informatikunterricht

Bernd Wurst bernd at bwurst.org
Fr Mai 20 10:09:09 UTC 2016


Hallo.

Am 19.05.2016 um 20:36 schrieb Erik 'egnun' Grun:
> Daraufhin kam mir der Gedanke: Wäre es eigentlich vertretbar, wenn
> man an Schulen im Informatikunterricht statt mit Java, mit
> Makroprogrammierung für (Libre)Office-Programme anfangen würde.
[...]
> Ein weiteres Problem bestünde darin, zu entscheiden welche
> Office-Software, man dann für den Informatikunterricht nähme.

Hier hätte ich die größten Bauchschmerzen bei diesem Thema.
Bisher ist es so, dass in der Praxis in den meisten Schulen Microsoft
Office installiert ist und bei manchen dann noch OpenOffice/LibreOffice
zusätzlich. In den guten Schulen ist sogar ausreichend Lehrerkompetenz
vorhanden um den Schülern die Arbeit mit beiden Programmen gleichermaßen
innerhalb eines Unterrichts zu ermöglichen. Für diese guten Schulen wäre
deine Idee eher ein Rückschritt.

Bei der normalen Nutzung eines Office-Programms ist der Unterschied,
wenn man mal ehrlich ist, nicht besonders groß. Man kann mit den beiden
bekanntesten Systemen gleichermaßen klar kommen, wenn man sich mal 5
Minuten umsieht, was wo zu finden ist. Ein Lehrer kann also von Schüler
zu Schüler gehen, egal welches Programm er einsetzt. Auch die
schultypischen Tabellen-Formeln sind durchaus machbar.


Bei der Makro-Programmierung fällt das weg. Kaum ein Lehrer kann im Kopf
so schnell von einer auf die andere Programmiersprache / API umschalten.
D.h. der Unterricht wird dann mit einer der Lösungen gemacht und die
Wahlfreiheit fällt weg.


Die Wahlfreiheit fällt zwar auch bei anderen Formen des
Programmier-Unterrichts weg, aber wenn das eine auch für andere Zwecke
genutzte Alltags-Software betrifft, ist die gefühlte Frustration größer.
Dadurch werden diejenigen klar bevorzugt, die die vom Lehrer gewählte
Software auch selbst gewählt hätten. Weil diese Schüler dann eine
bekannte Umgebung haben und die anderen nicht. Vielleicht hat jemand
schon vorher Makros programmiert und das Wissen ist dann entweder
förderlich oder hinderlich, je nach dem unter welcher Umgebung der
Unterricht gemacht wird.


Nebenbei bemerkt: Ich habe im Informatik-Studium zwei mal das erste
Semester erlebt, einmal als Student und einmal als Tutor. Bei meinem
Jahrgang wurde mit C++ gemacht (weil: das muss jeder Informatiker
lernen, entweder vor oder im Studium), der nächste dann mit Scheme. Ich
fand die Variante mit Scheme viel besser, weil das kannte keiner vorher.
Kaum ein Schüler wird sich vor dem Studium überhaupt mit einer
funktionalen Programmiersprache beschäftigt haben. Daher waren zuerst
mal alle Studenten gleich. Vorheriges Halbwissen war nutzlos. Das hat
den Unterricht (ich nenn das im ersten Semester mal so) enorm
begünstigt. Zumal man für C++ für jede Aufgabe eine mehr oder weniger
brauchbare Lösung im Netz findet. Bei Scheme ist der Fundus nicht so
groß und die Lösungen sind meistens von Leuten die auch wirklich
programmieren können.


Als Schüler wollte ich immer was lernen was man später noch brauchen
kann. Mittlerweile bin ich der Meinung dass es mehr bringt, Konzepte zu
lernen damit man diese dann später auf seinen Anwendungsfall übertragen
kann. Auch wenn es unpopulär ist.


Und außerdem: Dieser Ansatz würden den Schülern ja suggerieren dass
Makros was gutes seien. Office-Programme können mittlerweile so viel, da
läuft man Gefahr den Schülern Kram als Makros beizubringen, den man
eigentlich gar nicht mit Makros machen sollte sondern der auch
plattformübergreifend funktionieren kann. Von Lieferanten, Kollegen oder
Vorgesetzten benutzte Office-Programm-Makros sind eine der größten
Stolpersteine bei der Wahlfreiheit des Office-Programms in Betrieben.

Gruß,
Bernd

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