Freiheiten für Nicht-Software (was: DRM und weitere Einschränkungen im Musikbereich)

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Mi Jul 25 12:52:44 UTC 2012


Bernhard Reiter schrieb:
> Am Montag, 4. Juni 2012 18:09:52 schrieb Dr. Michael Stehmann:
> > Wer die Anwendbarkeit aller vier Freiheiten auch für andere Werke fordert, 
> > liegt damit eher auf der Linie von Debian als der der FSF.
> 
> Aber die vier Freiheiten beziehen sich auf Software und über Jahre hinweg 
> entwickelt worden, um eine pragmatische Freiheit der Software-Anwendung 
> und -Nutzer gut zu sichern. Sie beziehen sich auf Eigenschaften von Software, 
> wie das Ausführen der Instruktionen und die juristisch gesellschaftliche 
> Einordnung von Software.
> 
> Bei Dokumenten (die klar keine Software sind) gibt es andere Eigenschaften und 
> Einordnungen. Eine Ansatz für viel Freiheit in der Gesellschaft sieht deshalb 
> auch leicht anders aus. Leider ist das lange nicht so gut durchdiskutiert, 
> wie bei Software. Einfach die vier Freiheiten zu übernehmen ist meiner 
> Ansicht nach zu einfach.

Grundsätzlich stimme ich zu, dass man die 4 Freiheiten nicht
für alles fordern sollte, aber die Unterscheidung in Software
und Nicht-Software finde ich willkürlich und nicht zielführend.
Denn je genauer man hinschaut, umso mehr verwischen die vermeintlich
klaren Grenzen zwischen Software und Dokumenten.

Die prinzipiell unmögliche scharfe Abgrenzung von Code und Daten
ist spätestens seit den 50er/60er Jahre mit Aufkommen der LISP-
Sprachen bekannt.

Selbst ein Dokument, das zunächst nicht als Software gedacht ist,
könnte zu einer werden. Zum Beispiel könnte jemand daher kommen,
und einenen technischen Standard wie die HTML-Spezifikation
automatisiert zu interpretieren. Dann könnte man zwar argumentieren,
dieser Interpreter sei ja die eigentliche Software, aber mit dieser
Argumentation wäre auch jedes Perl-Script keine Software mehr,
denn die "eigentliche Software" wäre ja dann der Perl-Interpreter.

Weitere Beispiele finden sich in der Demo-Szene, wo in Echtzeit
hohe Kunst errechnet wird. Wo endet die Abspiel-Software, wo
beginnt die Musik- und Bildgestaltung?

Zudem wird in der Software-Entwicklung doch immer viel Wert
darauf gelegt, dass Code sich selbst gut dokumentieren soll.
Das geht bis hin zum Literate Programming, wo das Handbuch
nicht neben der Software existiert - nein, das Handbuch _ist_
die Software.

Ich sehe daher Software eher als Mischform an, die sehr viele
Charakteristika von Dokumenten, Kunstwerken, Anleitungen, etc.
miteinander vereint.

Daher lassen sich in meinen Augen sehr viele Argumentationen
aus der Softwarewelt auch auf Musik, etc. übertragen.

Nur als Beispiel: Warum ist eine "Non-Commercial"-Lizenz wie
CC-BY-NC im Software-Bereich verpönt? Weil es viel geschickter
ist, die Industrie mit ins Boot zu holen. Nun könnte man
entgegnen, dass die Musik-Industrie eine viel "feindlichere"
Umgebung ist als die Software-Industrie, zumindest was freie
Werke angeht. Aber als Freie Software entstanden ist, war die
Software-Industrie genauso "feindlich" wie die heutige Musik-
und Filmindustrie. Dennoch hat es sich als sehr geschickt
herausgestellt, ihnen die Hand zu reichen und sie Teil der
Bewegung werden zu lassen - solange sie sich an die Spielregeln
halten. Das heißt, auch strategisch gesehen ist sinnvoll,
Künstlern für ihre freien Werke eher CC-*-SA statt CC-*-NC
anzuraten. Solange der CC-Pool aber voller NC-Werke ist, wird
sich keine neue Musik/Film/Buch-Industrie herausbilden, die
freien Werken wohlgesonnen ist.

In diesem Zusammenhang bin ich auch echt froh, dass Wikipedia
und ähnliche Projekte sich nicht zur generellen NC-Lizensierung
hinreißen ließen.

Ich denke daher, dass es verkehrt ist, Software gegenüber
allen anderen Arten von Werken scharf abzugrenzen. Stattdessen
sollte man viel eher die Gemeinsamkeiten betonen - vorallem,
was andere Industrien von dem Erfolgsmodell der Freien Software
lernen können.

Dennoch verstehe ich, dass man manchmal eine Abgrenzung machen
will - etwa für politische Forderungen, dass bestimmte Dinge
_immer_ frei sein sollen.

Diese Abgrenzung würde ich aber nicht zwischen Software und Nicht-
Software machen, sondern zwischen "Werkzeugen" und "Unterhaltung".
Da gibt es zwar auch keine scharfe Trennlinie, aber zumindest
trifft das den Kern des Problems in meinen Augen viel besser.

Zum Beispiel sollten die 4 Freiheiten nicht nur bei Werkzeug-
Software (Textverarbeitung, etc.) gefordert werden, sondern
auch bei Lernmaterialien und Kartenmaterial, obwohl diese
keine Software sind. Denn über diese wird ebenfals viel Macht
ausgeübt.

Weniger harte Forderungen würde ich an Unterhaltung stellen,
aber hierzu zählen für mich nicht nur die neusten Kinofilme,
sondern auch die meisten Computerspiele, obwohl diese ganz
klar Software sind.


Gruß
Volker

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Volker Grabsch
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