Argument gegen das kleinere Übel

Fabian Keil freebsd-listen at fabiankeil.de
Sa Jun 4 13:12:21 UTC 2011


Leena <listen at leena.de> wrote:

> ich lese gerade ein Buch über Verantwortung und finde da zwei Textstellen von 
> Hannah Arendt, die sehr schön zur Argumentation für Freie Software 
> herangezogen werden können.
> Sie bezieht sich dabei zwar auf die Frage, wie die Deutschen mit den Nazis 
> umgegangen sind, doch lest selbst:

Die meisten Nationalsozialisten waren selber Deutsche ...

> Hannah Arendt bezeichnet es als Beobachtungstatsache, "daß diejenigen, die das 
> kleine Übel wählen, rasch vergessen, daß sie sich *für* ein Übel entscheiden." 
>
> Dadurch gewöhnt man sich und andere daran, "das Übel an sich zu akzeptieren."
> 
> Aus Hannah Arendt "Persönliche Verantwortung in der Diktatur. In dies.: 
> Israel, Palästina und der Antisemitismus. Aufsätze. Hg v.E. Geisel und K. 
> Bittermann
> auf den Seiten 27 und 29 zu finden.
> 
> Im Bezug auf Software finde ich das sehr treffend: 
> 1) Bei Fragen, ob jetzt Mac oder Windows "besser" ist, wenn man schon 
> proprietäre Software nutzt.

Was ist hier die übliche Argumentation?

> 2) Bei der Abwägung, dass man sich ja bewusst sei, dass proprietäre Software 
> doof sei, aber doch immerhin das "kleinere Übel" gewählt habe.

Wie vermutlich ungefähr alle Leser dieser Liste nutze ich selbst privat
proprietäre Software in Form von Firmware und Microcode. Damit habe ich
ein kleineres Übel gewählt, da es mir frei steht, keinen Rechner zu
verwenden.

Zudem könnte ich einen Rechner einsetzen, auf dem zumindest ein
größerer Teil der Firmware freie Software ist und somit das
"kleinere Übel" weiter reduzieren.

Zum Beispiel könnte auf gewohnte Funktionalität verzichten und
von meinem Thinkpad und FreeBSD auf ein Lemote Fuloong,
Lynloong oder Yeelong mit OpenBSD (oder GNU/Linux) umsteigen.

Solange ich selbst ein "kleineres Übel" wähle, kann ich aber
kaum guten Gewissens Nutzern proprietärer Betriebssysteme damit
kommen.

Und auch wenn mir der Einsatz proprietärer Firmware keine schlaflosen
Nächte bereitet und ich nicht jeden Tag mit meinem Kompromiss hadere,
würde ich behaupten, dass ich ihn nicht vergessen habe.

> 3) Dass bei der Abwägung zwischen FS und proprietärer Software, letztere ein 
> geringeres Übel darstellte, weil man sich damit nicht so viel "rumärgern" 
> muss. 

Das hängt wohl stark vom eigenen Kenntnisstand und den Ansprüchen ab.
Wenn ich mehr proprietäre Software einsetzen würde, würde ich eher
mehr Ärger als weniger erwarten.

> Bestimmt gibt es noch mehr Argumentationsschemata, die damit zu tun haben, das 
> Nutzen von proprietärer Software zu relativieren. Überall dort hilft das 
> Argument, dass auch das kleinere Übel ein Übel ist. Und dass man sich somit 
> nur daran gewöhnt, Übel zu akzeptieren. Wenn man dazu noch Hannah Arendt 
> erwähnt, hat man ein perfektes Autoritätsargument, klingt schlau und hat eine 
> der wenigen PhilosophINNEN, die bekannt sind genannt.

Ich glaube Du überschätzt die Anzahl der Leute, die Hannah Arendt
gut genug kennen, um sie als Autoritätsperson betrachten zu können.
Wenn man anschließend noch erklären muss, wer Hannah Arendt
überhaupt war, ist das eigentliche Argument schnell vergessen.

Abgesehen davon werden Vergleiche, die in irgendeinem Zusammenhang
mit Nazis stehen, schnell von politischen Gegnern bewusst als
"Nazi-Vergleich" fehlinterpretiert und ausgeschlachtet.
Siehe Herta Däubler-Gmelin ...

Früher oder später könnte es dann heißen:
"FSFE setzt Nutzer proprietärer Software mit Nazi-Kollaborateuren gleich!"

Godwin lässt grüßen.

Fabian
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