[FSFE PR][DE] Berliner Parteien zu Freier Software: Regierung enttäuscht, Opposition macht Hoffnung

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Mi Aug 31 13:46:58 CEST 2016


 = Berliner Parteien zu Freier Software: Regierung enttäuscht, Opposition macht Hoffnung =

[ Online lesen: https://fsfe.org/news/2016/news-20160831-01.de.html ]

Die Free Software Foundation Europe (FSFE) veröffentlicht heute als Teil
der "Koalition Freies Wissen die Wahlprüfsteine für die Wahl zum
Abgeordnetenhaus von Berlin am 18. September 2016[1]. Die Parteien
konnten Stellung nehmen zur Forderung, öffentlich finanzierte Software
als Freie Software zu veröffentlichen, sowie zu ihrer Bereitschaft,
Freie Software an Bildungseinrichtungen verstärkt einzusetzen. CDU,
Grüne, Linke, Piraten und SPD haben geantwortet und erklärten ihre
jeweiligen Positionen dazu. Zudem wurden die Wahlprogramme der Parteien
untersucht und Vergleiche zu den Positionen der Parteien von vor fünf
Jahren gezogen. Dabei schneiden Grüne und Linke positiv ab, bei der CDU,
den Piraten und der SPD sieht die FSFE teils erheblichen
Verbesserungsbedarf.

Fortschrittlich in Erscheinung treten die Grünen in Berlin, die Freier
Software möglichst Vorzug geben wollen und zudem fordern, dass
öffentlich finanzierte Software "stets mit Quellcode unter einer freien
Lizenz veröffentlicht werden" soll. Auch die Linke in Berlin tritt
positiv in Erscheinung, unterstützt Freie Software in ganzer Breite und
möchte "für alle zukünftigen Beschaffungen [...] auf die Nutzung freier
Software drängen". Dies auch, so die Linke, damit die öffentliche Hand
die Hoheit über ihre eigenen Infrastrukturen behält. Die beiden
regierenden Parteien enttäuschen hingegen. Die CDU scheint Freie
Software und die Möglichkeit, einen Quellcode zu verändern, als
grundsätzlich für gefährlich zu betrachten, denn jemand könnte die
Software "für gesetzlich verbotene Zwecke einsetzen". Die
Christdemokraten verlangen daher eine Einzelfallprüfung für jede
Software und weichen weiteren Fragen konsequent aus. Bei der SPD
herrscht ebenfalls Unwissenheit, aber zumindest begrüßt sie den Einsatz
Freier Software "wenn möglich" – eine Formulierung, die jedoch in der
Vergangenheit oft dafür missbraucht wurde, Freie Software von vornherein
auszuschließen. Die Piraten enttäuschen überraschenderweise mit ihrer
Antwort: Sind sie bei der letzten Wahl noch als Vorreiter für Freie
Software in Erscheinung getreten, sind sie dieses Mal kaum auf dieses
Thema eingegangen.

 == Einige Ergebnisse der Befragung ==

Das Wahlprogramm der Berliner[2] CDU kommt vollständig ohne die
Erwähnung Freier Software aus und dementsprechend enttäuschend und
unambitioniert klingen die Antworten der CDU auf unsere Fragen. Sie
blockt damit, "dass wenn eine Software mit naheliegenden Veränderungen
so abgewandelt werden kann, dass sie zu gesetzlich verbotenen Zwecken
eingesetzt werden kann, dies /[aus Sicht der CDU Berlin, Anm. d. Red.]/
der Bereitstellung als freier Software entgegenstehen kann." Deshalb,
folgert die CDU, sei in jedem Einzelfall zu prüfen ob eine Software "der
Allgemeinheit vollumfänglich zur Verfügung gestellt werden" könne. Dabei
ist das Argument irreführend, denn genauso wie ein Küchenmesser Gutes
und Schlechtes tun kann, so kann prinzipiell auch jegliche Software
(auch ohne Abwandlung), beispielsweise ein Schreibprogramm, für
gesetzlich verbotene Zwecke eingesetzt werden. Auf die Frage zum
„Berliner Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen“ wird gar nicht
eingegangen. Und bei der Frage, ob sich die CDU für den Einsatz von
Freier Software an Schulen und anderen öffentlichen
Bildungsinstitutionen stark macht, wird schlicht und einfach die Antwort
kopiert, die auch dem Bündnis Freie Bildung[3] zum Thema Open
Educational Resources[4] erteilt wurde – obwohl die Antwort in diesem
Fall überhaupt keinen Bezug zu Software nimmt. Zusammenfassend fällt die
CDU wie bereits fünf Jahre zuvor[5] damit auf, sich den gestellten
Fragen zu verweigern und wenige konkrete Aussagen zu treffen.

Ganz anders das Wahlprogramm von[6] Bündnis 90/Die Grünen, in dem Freie
Software als Grundlage der zukünftigen IT-Strategie Berlins gefordert
wird. Dementsprechend positiv bewertet die FSFE die Antworten, denn die
Grünen bestätigen noch einmal: "Ausschreibungs- und
Beschaffungskriterien sind so zu überarbeiten, dass möglichst freie und
offene Software vorrangig zum Einsatz kommen". Weiterhin schreiben sie:
"Wie offen, frei und nachhaltig unsere Gesellschaft ist, spiegelt sich
auch im Einsatz freier und offener Software wider." Deshalb sollen
"Softwareentwicklungen von und für Behörden stets mit Quellcode unter
einer freien Lizenz veröffentlicht werden", womit die Partei die
grundlegende Forderung der FSFE unterstützen, dass öffentlich
finanzierte Software unter einer freien Lizenz veröffentlicht werden
muss. Geht es nach den Grünen, soll deshalb auch das "Berliner
Haushalts, Kassen und Rechnungswesen (HKRneu)" als Freie Software
implementiert werden. Auch setzen sich die Grünen für den Einsatz Freier
Software "in allen öffentlichen Bereichen ein, also auch in Schulen,
Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen".

Bereits in ihrem Wahlprogramm fordert[7] Die Linke in Berlin, "die
öffentliche Verwaltung soll auf Open Source Software umgestellt werden".
Und obwohl uns keine Antworten mit direktem Bezug auf unsere Fragen
vorgelegt wurden, betont die Linke noch einmal ihre Position und
argumentiert: "die öffentliche Hand sollte die Hoheit über die genutzten
Infrastrukturen behalten". Auch möchte die Linke "Für alle zukünftigen
Beschaffungen [...] auf die Nutzung freier Software drängen" und zudem
eine "konzertierte Open-Source-Strategie auf Landesebene" erarbeiten,
"die durch eine koordinierende Stabsstelle unterstützt wird." Positiv im
Sinne Freier Software ist auch das Konzept, dass im Rahmen eines "Bund-
Länder-Programm für digitale Bildung" alle Schülerinnen und Schüler ein
mobiles Endgerät erhalten sollen, welches mit Freier Software betrieben
wird. Denn, "eine massenhafte Ausstattung der Schüler*innen mit
proprietärer Software lehnen wir ab", so die Linke. Die Linke Berlin
bleibt damit erfreulicherweise im wesentlichen ihren Positionen der
vergangenen Wahl von 2011 treu.

Das diesjährige Wahlprogramm der Berliner[8] Piraten überrascht damit,
dass es mit keinem Wort Freie Software erwähnt wird – ein Thema, bei dem
sich dieselbe Partei zu den Fragen der FSFE im Jahre 2011[9] noch
positiv hervorgetan hat. Leider fehlt auch in den gegebenen Antworten
eine klare Linie zu Freier Software. So wird die Frage "Wie
positionieren sie sich zu [...] von der öffentlichen Hand beauftragte
und finanzierte Software [...] und mit welchen Maßnahmen werden Sie Ihre
Position umsetzen?" mit einem logisch inkonsistenten "Ja." beantwortet.
Auf die Frage zu dem Einsatz von Freier Software an Schulen und anderen
öffentlichen Bildungseinrichtungen antworten die Piraten mit der
Forderung nach einem "freien und gleichberechtigten Zugang zu Inhalten"
sowie der Erstellung von Unterrichtsmaterial unter freien Lizenzen. Das
ist grundsätzlich begrüßenswert, aber beantwortet die Frage nicht.

Im Wahlprogramm der Berliner[10] SPD kommt Freie Software gar nicht vor
und liest man die Antworten auf unsere Fragen, scheint bei diesem Thema
noch viel Nachholbedarf zu bestehen. Den Fragen nach der
Veröffentlichung öffentlich finanzierter Software sowie der
Softwarelösung für das „Berliner Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen
(HKR-neu)“ weicht die SPD aus. Auf die Frage nach Freier Software an
Schulen verrennen sich die Sozialdemokraten in Phrasen und technische
Schlagwörter wie "digitale Schule", "Whiteboards" und "WLAN", ohne
jedoch politische Lösungen aufzuzeigen. Trotz einiger bestehender
Berührungsängste mit Freier Software schreibt die SPD: "Wir begrüßen
eine Umstellung auf Open-Source-Software mit offenen Quellcodes an
Stellen, wo dies möglich ist". Leider ist "wo dies möglich ist" eine
schwammige Formulierung, die oft zum unberechtigten Generalauschluss
Freier Software geführt hat. So wurden unter anderem in Berlin in der
Vergangenheit eigentlich sinnvolle Beschlüsse zum Einsatz Freier
Software in der Verwaltung auch von der SPD blockiert.

 == Fazit ==

Positiv gegenüber dem vermehrten Einsatz Freier Software treten in
Berlin die Grünen und die Linken in Erscheinung. Beide Parteien haben
konkrete Vorschläge und möchten damit verstärkt auf die Nutzung Freier
Software drängen, sowohl in der Verwaltung, als auch in öffentlichen
Bildungseinrichtungen. Die Grünen fordern zudem, dass öffentlich
finanzierte Software stets unter freier Lizenz veröffentlicht werden
soll. Die beiden aktuellen Regierungsparteien, CDU und SPD, haben immer
noch starken Nachholbedarf bei Freier Software. Bei der CDU erwecken die
Antworten gar den Anschein, dass die CDU Angst vor dem Einsatz Freier
Software hat. Die Piraten sind letztendlich nicht auf die eigentlichen
Fragen eingegangen.

    "Es freut uns zu sehen, dass das Thema Freie Software inzwischen bei
    den meisten Parteien angekommen ist und auch verstanden wird.
    Insbesondere bei den Grünen und Linken steht Freie Software mit oben
    auf der politischen Agenda. Leider enttäuschen beide
    Regierungsparteien und insbesondere die CDU. Die FSFE wird hier
    weiter dran bleiben und dabei helfen, unnötige und unbegründete
    Ängste vor Freier Software weg zu nehmen", sagt Erik Grun,
    Projektleiter der Berliner FSFE.

Siehe auch:

- 2016: Wahlprüfsteine der Koalition Freies Wissen zur Berliner
  Abgeordnetenhauswahl
  https://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201608-germany-berlin.html

- 2016: Free Software in the Berlin election programs 2016 (Englisch)
  https://k7r.eu/free-software-in-the-berlin-election-programs/

- 2011: Berlin - Hauptstadt der Freien-Software-Parteien, unsere
  Auswertung der Wahlprüfsteine zur Berliner Abgeordnetenhauswahl
  https://fsfe.org/news/2011/news-20110913-01.html

- 2011: Unsere Wahlprüfsteine zur Berliner Abgeordnetenhauswahl
  https://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201109-germany-berlin.html

Verweise:

  1. https://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201608-germany-berlin
  2. http://cduberlin.de/image/inhalte/file/Wahlprogramm_final-Screen.pdf
  3. http://buendnis-freie-bildung.de/
  4. https://fsfe.org/news/2015/news-20150210-01.html
  5. https://fsfe.org/news/2011/news-20110913-01.html
  6. https://gruene.berlin/sites/gruene.berlin/files/b90g_berlin_vollprogramm2016.pdf
  7. http://www.die-linke-berlin.de/wahlen/berlin_2016/wahlprogramm/
  8. https://berlin.piratenpartei.de/wp-content/uploads/2016/06/wp_innen.pdf
  9. https://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201109-germany-berlin.de.html
 10. https://www.spd.berlin/w/files/spd-2016-wahl/spd_wahlprogramm_lang_online.pdf

  == Über die Free Software Foundation Europe ==

  Die Free Software Foundation Europe ist ein gemeinnütziger Verein, der
  AnwenderInnen befähigt, ihre Technologie selbst kontrollieren zu
  können.

  Software ist in allen Aspekten unseres Lebens tief verankert. Es ist
  wichtig, dass diese Technologie uns hilft, statt uns einzuschränken.
  Freie Software gibt allen das Recht, Programme für jeden Zweck zu
  verwenden, zu verstehen, zu verbreiten und zu verbessern. Diese Rechte
  stärken andere fundamentale Freiheiten wie die Redefreiheit, die
  Pressefreiheit und das Recht auf Privatsphäre.

  Die Free Software Foundation Europe:

  - hilft Menschen und Organisationen dabei, zu verstehen, wie Freie
    Software zu Freiheit, Transparenz und Selbstbestimmung beiträgt.
  - stärkt die Rechte der NutzerInnen, indem sie Hürden für den
    Freie-Software-Einsatz beseitigt.
  - ermutigt Menschen beim Einsatz und der Entwicklung von Freier
    Software.
  - stellt Ressourcen für alle bereit, die Freie Software in Europe
    voranbringen wollen.

  http://fsfe.org/


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