[FSFE PR][DE] Datenschutzprobleme im elektronischen Gesundheitssystem ein neues Beispiel für Deutsches Verdrängungsphänomen?

Joachim Jakobs press at fsfeurope.org
Fre Feb 24 02:27:48 CET 2006


Datenschutzprobleme im elektronischen Gesundheitssystem - ein neues Beispiel
für Deutsches Verdrängungsphänomen?

"Wir Deutsche neigen offenbar dazu, akute Probleme solange zu verdrängen,
bis sie über uns hereinbrechen. Das sehen wir etwa beim Umgang mit der
Vogelgrippe auf der Insel Rügen. Bei der elektronischen Gesundheitskarte
haben wir ein ähnliches Phänomen: Hier ist der Datenschutz von 80 Millionen
Versicherten bedroht, sobald das System mit Daten gefüttert wird", hielt
IT - Berater Thomas Maus Journalisten, Politikern und Wirtschaftsvertretern
bei einem Vortrag am Donnerstag in Mannheim entgegen, die meinen, die Sorgen 
um den Datenschutz bei der elektronischen Gesundheitskarte seien "zu wenig
konkret".

Als Beispiel führt Maus die das "e-Rezept" an: Aus den Verordnungsdaten
 lassen sich Diagnosen rückschließen. Diese Daten sind beispielsweise für die
 Kassen sichtbar und lassen sich dem Patienten zuordnen."
Auf diese Weise drohe das "weltweit größte IT Projekt aller Zeiten" zur
Blamage werden, so Maus. Nach der Schmach mit der LKW Maut fürchtet Maus,
könne der IT Standort Deutschland "irreparablen Schaden" nehmen.

Die in Deutschland geplante Gesundheitstelematik gefährdet nach Maus'
Analyse die Privatsphäre der Versicherten in Deutschland, "weil die
ärztliche Schweigepflicht de facto ausgehebelt wird": Krankenkassen oder
Lebensversicherer könnten die Daten benutzen, um Gesundheitsrisiken aus der
Versicherung auszuschließen. Banken könnten Kreditausfallrisiken
entsprechend der Lebenserwartung der Kreditnehmer berechnen und Arbeitgeber
könnten die Einstellung von Mitarbeitern von der erblichen Disposition
abhängig machen. Dazu müsste nur einer von "'zigtausenden von
 Sachbearbeitern" bestochen werden, um diesen 'Schatz' zu heben. Die
 Gesundheitskarte und die elektronische Rahmenarchitektur soll ab April in
 Bochum-Essen, Bremen, Flensburg, Heilbronn, Ingolstadt, Löbau-Zittau, Trier
 und Wolfsburg getestet werden.

"Die Analyse von Herrn Maus ist plausibel und überzeugend. Die Free Software
Foundation Europe ist erstaunt, wie leichtfertig und unprofessionell mit
derart persönlichen Daten umgegangen wird", kommentiert Joachim Jakobs,
Medienkoordinator der FSFE und ergänzt : "Diese Karte weiß mehr über den
Gesundheitszustand als der Betroffene selbst. Insofern muß das Vertrauen der
Versicherten erst einmal gewonnen werden. Mit der aktuellen Geheimniskrämerei
wird dieses Vertrauen aber bereits im Keim erstickt: So wissen wir
beispielsweise, daß Herr Maus wegen der Verletzung von Softwarepatenten und
des Urheberrechts verklagt werden sollte."

Stattdessen empfiehlt die FSFE, das Gesamtsystem der Gesundheitstelematik von
der Architektur bis zum Quellcode offen zu legen. Die Software sollte unter
einer Freien Softwarelizenz publiziert werden: "Warum sollten denn
Steuerzahler und Versicherte für ein System zahlen, was sich der öffentlichen
Kontrolle komplett zu entziehen versucht", so Jakobs.

Den Einwand, daß die Sicherheit gerade dann gefährdet sei, wenn der Quellcode
veröffentlicht würde, läßt Informatiker Maus nicht gelten: "Wenn ich den
Schließmechanismus von einem Türschloß veröffentliche, gebe ich auch nicht
jedem einen Schlüssel in die Hand", und Joachim Jakobs ergänzt:
"In der Praxis erweist sich zum Beispiel GNU/Linux im Vergleich zu Windows
 als sicherheitstechnisch wesentlich ausgereiftere Plattform."


Über die Free Software Foundation Europe:
Die 2001 gegründete Free Software Foundation Europe (FSFE) ist eine
gemeinnützige Nicht-Regierungsorganisation, die sich allen Aspekten Freier
Software in Europa verschrieben hat. Der Zugang zu Software bestimmt,
wer an der digitalen Gesellschaft teilhaben darf. Die Freiheiten zur
Benutzung, zur Kopie, zur Modifikation und zur Weiterverbreitung von
Software -- wie sie ihn der Definition Freier Software
niedergeschrieben sind -- erlauben diese Teilhabe am
Informationszeitalter. Bewusstsein für diese Fragen zu schaffen, Freie
Software politisch und rechtlich zu schützen und den Menschen Freiheit
zu schenken, indem man die Entwicklung Freier Software unterstützt sind
zentrale Fragen für die FSFE. Weitere Informationen über die Arbeit der
FSFE können auf http://fsfeurope.org gefunden werden.


--
Joachim Jakobs <jj at office.fsfeurope.org
Media Relations - FSF Europe (http://fsfeurope.org)
Tel: +49 700 - 373387673, Ext.: 4004
Mobile: +49-179-6919565

To find out what keeps the digital society going
please check our Free Software press review today at
https://www.fsfe.org/en/fellows/jj/pressreview

Join the Fellowship and protect your freedom!      (http://www.fsfe.org)

-------------------------------------------------------