[FSFE PR][DE] Softwarepatente greifen die Existenzgrundlagen von IBM an

Free Software Foundation Europe (FSFE) press at germany.fsfeurope.org
Die Aug 3 15:00:18 CEST 2004


[An die Mitarbeiter der Parlaments- bzw. Fraktionsverwaltungen:
Wir bitten Sie angesichts der Bedeutung des Themas diesen Brief an
Ihre Abgeordneten weiterzuleiten. Vielen Dank!]


Sehr geehrter Herr Dr. Wladawsky-Berger,

ich hatte als italienischer Vertreter der Free Software
Foundation Europe (FSFE) am 22. Juni in Mailand die Gelegenheit, an
einem Workshop der IBM teilzunehmen und habe Sie dabei kennengelernt.
Bei dieser Gelegenheit erlauben Sie mir auch, Ihnen Herrn Georg Greve,
den Präsidenten der FSFE vorzustellen.

Zur Zeit diskutiert die Europäische Union über die Legalisierung von 
Softwarepatenten - tatsächlich haben wir in Europa bereits 30.000
davon. Und IBM, als der Welt größter Inhaber von Softwarepatenten,
betreibt intensive Lobby-Arbeit für ihre formale Einführung.

Die Legalisierung von Waffen zu betreiben, scheint in der Tat ein
logischer Schritt zu sein, wenn man im Besitz des größten Arsenals ist.

Wir wissen, dass Ihnen Ihre Rechtsabteilungen sagen, dass 
Softwarepaatente notwendig seien, um Ihre Forschungsinvestitionen 
zu schützen. Das ist ein sehr verständlicher Rat, denn schließlich 
stammt er ja von der Rechtsabteilung. Gäben sie Ihnen einen anderen Rat,
könnten Sie Ihr Geld für mehr Forschung, mehr Produkte, mehr
Geschäftstätigkeiten ausgeben und weniger Anwälte.

Mitarbeiter der IBM erklären häufig, dass IBM seine Softwarepatente
hauptsächlich aus defensiven Gründen hält; um sich selbst und ihre
Kunden vor Angriffen durch Softwarepatente zu schützen. Somit
verschwenden Sie Ihr Geld für einen Rüstungswettlauf, der nur existiert,
weil IBM vorher fehlgeleitet für die Einführung von Softwarepatenten
plädierte.

Jedermann sollte heutzutage begriffen haben, daß ein Wettrüsten wohl
kaum jemals produktiv sein kann. Es führt zu einem unerträglichen
Anwachsen an Ballast über jedes vernünftige Maß hinaus, bis alle außer
dem letzten der Teilnehmer an diesem Wettlauf zugrunde gegangen sind.
Vielleicht glauben Sie, dass die IBM diejenige sein wird, die diesen
Rüstungswettlauf überlebt, damit könnten Sie sogar Recht haben.

Als Ergebnis der Teilnahme an diesem Wettrüsten wird IBM jedoch
langsam entstellt werden. Es wird mehr und mehr Energie in ein Rennen
investiert, dessen Sinn zunehmend in Frage gestellt wird.
Einrichtungen wie die FTC [1] in den Vereinigten Staaten oder das 
MIT [2] lassen Zweifel am Sinn und Zweck von Softwarepatenten aufkommen.

Während sich also IBM in Reaktion auf diesen Rüstungswettlauf 
verändert, wird dessen plötzliches Ende das Unternehmen als grotesk
entstellten Giganten zurücklassen, dessen gesamte Energie in den
Unterhalt einer nunmehr nutzlos gewordenen Waffe geht. Dieser Gigant
wird sich mit hunderten frischer, junger und hungriger Firmen, die den
Markt mit wahrhaft innovativen Produkten betreten, konfrontiert sehen.

Vor drei Jahren beschrieben Sie in San Francisco die Bedeutung
der Freiheit in der Wissenschaft: Wissenschaftler veröffentlichen 
ihre Gedanken und andere fügen ihre Ideen hinzu - auf diese Art und
Weise wird Wissen zum Nutzen aller in Gesellschaft und Wirtschaft
aufgebaut. Sie kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass Freie Software von
vergleichbarer Bedeutung für die Informationstechnologie ist, wie die
Mathematik für die Physik.

Softwarepatente zwingen IBM nicht nur in die Selbst-Deformation und in
die Verschwendung substantieller Ressourcen in ansonsten nutzlosen
juristischen Wildwuchs, sie schaden auch Freier Software -- die Basis
Ihrer Langzeit-Pläne bezüglich der On-demand Strategie.

Während Sie also den Erwerb dieser Waffen mit Ihrem Innovationspotential
erkauft haben, müssen Sie nun beim Blick auf Ihre Waffen feststellen,
dass diese nie abgefeuert werden sollten, da die anschließenden
Vergeltungsmaßnahmen höchstwahrscheinlich das Fundament zerstören
würden, auf dem Sie Ihre Zukunft aufbauen wollen.

Indem Sie für Softwarepatente eintreten, treten Sie nicht nur 
in einen Wettlauf ein, der zum Schaden der gesamten Industrie -- 
einschließlich IBMs -- führen wird. Sie legen auch Hand an die 
fundamentalen Grundlagen Ihrer Langzeit-Strategien.

Bitte unterstützen Sie in Ihrem eigenen Interesse unsere Arbeit gegen 
Software-Patente in Europa. Wir sind bereit, über das Wie zu 
diskutieren.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Stefano Maffulli                    Georg Greve
Italienischer Vertreter             Präsident
Free Software Foundation Europe     Free Software Foundation Europe
 
[1] http://swpat.ffii.org/papers/ftc02/index.en.html
[2] http://www.researchoninnovation.org/swpat.pdf
[3] http://www.golem.de/0108/15366.html
    Brief online:
[4] http://www.fsfeurope.org/projects/swpat/letter-20040802.de.html

Über die Free Software Foundation Europe

     Die Free Software Foundation Europe (FSFE) ist eine gemeinnützige
     regierungsunabhängige Organisation, die sich allen Aspekten der
     Freien Software in Europa widmet.  Zugang zu Software
     entscheidet, wer wie an der digitalen Gesellschaft teilnehmen
     kann. Daher erlauben die Freiheiten, Software zu verwenden, zu
     kopieren, zu ändern und weiterzuverteilen, wie sie in der
     Definition der Freien Software beschrieben werden, gleiche
     Chancen im Informationszeitalter.  Diese Problematik ins
     öffentliche Bewusstsein zu rücken und durch Unterstützung der
     Entwicklung Freier Software die Freiheit der Menschen zu
     gewährleisten, sind die Kernanliegen der FSFE, welche im Jahr
     2001 als Schwesterorganisation der amerikanischen FSF gegründet
     wurde.



-- 
Joachim Jakobs <jj at office.fsfeurope.org>
Press Speaker - FSF Europe (http://fsfeurope.org)
In der Roede 24, 64367 Mühltal (Tel: +49-179-6919565)