[FSFE PR][DE] Kommentar: VSI-Studie mit gravierenden fachlichenMängeln

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Don Jul 3 18:47:02 CEST 2003


Kommentar: VSI-Studie mit gravierenden fachlichen Mängeln

                                                   Essen, 3. Juli 2003

  Der Verband der deutschen Softwareindustrie (VSI), eine
  Interessenvertretung der hauptsächlich proprietären
  Softwareunternehmen, hat kürzlich eine Studie zu den rechtlichen
  Fragen Freier Software herausgegeben. [1] Diese zeigt, dass auch der
  VSI nun damit beginnt, sich mit Freier Software zu beschäftigen.

  Die FSF Europe begrüßt diesen Schritt des VSI, leider weist die
  Studie jedoch zum Teil erhebliche fachliche Mängel auf.

  So setzt die Studie -- welche im Wesentlichen den 1998 für Freie
  Software vorgeschlagenen Marketingbegriff [2] "Open Source"
  verwendet -- in großen Teilen Freie Software gleich mit ihrer
  meistverwandten Lizenz, der GNU General Public License (GPL). Auf
  dieser Basis werden dann unzulässige Verallgemeinerungen von
  Eigenschaften der GPL für Freie Software getroffen.

  Im Bezug auf die aufgeführten, betrachteten Lizenzen wurde leider
  sehr nachlässig gearbeitet. So werden Lizenzen für Software und
  Dokumentation vermengt und beispielsweise die proprietäre Lizenz
  "Sun Community Source License" (SCSL) fälschlicherweise als
  anerkannte Lizenz Freier Software bezeichnet.

  Über die GNU General Public License (GPL), der die Studie die größte
  Aufmerksamkeit schenkt, wird zudem behauptet, sie basiere auf
  US-amerikanischem Urheberrecht, obwohl sich durch Recherchen schnell
  herausfinden lässt, dass sie mit Blick auf die
  Urheberrechts-Konvention von Bern geschrieben wurde, um globale
  Wirksamkeit zu erlangen.
  
  Noch schwerwiegender ist es, Freie Software mit Copyleft
  gleichzusetzen, wie es die Studie beispielsweise auf Seite 14,
  Absatz 3 tut, und bei den Lizenztypen die nicht-schützenden Freie
  Software-Lizenzen wie z.B. BSD vollständig zu vernachlässigen.
  
  Die Aussage, eine Dual-Lizenzierung mit der GPL sei nicht möglich,
  wie sie auf Seite 17 gemacht wird, scheint nicht haltbar, da dem
  Urheber keine Auflagen durch Lizenzierung unter der GPL entstehen.
  
  Bei der "Abgrenzung zu anderen Formen" verliert die Studie endgültig
  den Überblick. So wird von "GPL bzw. Open Source Software" im
  Gegensatz zu Public Domain gesprochen, obwohl Public Domain ein Teil
  der Freien Software ist und Freeware mit freier Software übersetzt,
  obwohl sich der englische Begriff historisch auf den Preis, der
  deutsche jedoch sprachlich eindeutig auf die Freiheit bezieht.

  Dazu passt, im Anschluß das proprietäre Microsoft "Shared Source"
  Programm unreflektiert als etwas Ähnliches darzustellen. Insgesamt
  hätte hier ein Blick auf die seit 1996 verfügbare Übersicht über
  verschiedene Arten Freier und proprietärer Software sicherlich
  einige Verwirrung vermeiden helfen können. [3]
  
  Dementsprechend fragwürdig erscheint die schematische Einordnung,
  bei der nun die Kategorien "Shareware", "Freeware/Public Domain",
  "BSD", "LGPL", "GPL" auftauchen. Es werden also nicht nur Kategorien
  vermengt mit einzelnen Lizenzen, es wird auch proprietäre und Freie
  Software unreflektiert nebeneinander gestellt und im Falle von
  "Freeware/Public Domain" sogar vermengt.
  
  Diese Vermengung findet sich auch in anderen Teilen, selbst wenn sie
  dort im gleichen Satz stattfindet und beklagt wird.
  
  So z.B. auf Seite 8, Absatz 2: "Kernpunkt von Open Source, der in
  der politischen Diskussion oft zur Vermengung von Open Source mit
  Freeware oder Shareware führt, ist die Bestimmung in der General
  Public License, dass jeder die GPL-Software kostenlos benutzen und
  verändern kann, seinerseits aber verpflichtet ist, die so erstellte
  Software der GPL-Lizenz zu unterstellen, andernfalls rückwirkend
  seine Befugnis zur freien Benutzung erlischt."
  
  Hier wird fälschlicherweise der Copyleft-Charakter der GPL als
  wesentliches Merkmal Freier Software dargestellt, obwohl Copyleft
  nur eine Kategorie Freier Software charakterisiert.
  
  Zudem trägt dieser Satz zur Vermengung von Freier Software mit
  Freeware und Shareware bei, indem er den drei Begriffen nicht
  vorhandene Ähnlichkeiten unterstellt. Der Begriff Freeware
  bezeichnete zumeist kostenlose proprietäre Software, besitzt heute
  jedoch keine klare Defintion mehr, der Begriff Shareware bezeichnet
  ausschließlich proprietäre Software.
  
  Da Modifikationen weder bei Freeware noch bei Shareware möglich oder
  erlaubt sind, kann zudem eine Auswirkung auf modifizierte Werke kaum
  Kernpunkt dieser Arten von Software sein und somit auch nicht zu
  einer begrifflichen Verwirrung führen.
  
  Die Verwendung von negativ konnotierten Begriffen wie "viral" im
  Bezug auf den die Freiheit der Anwender und Entwickler schützenden
  Copyleft-Charakter der GNU General Public License (GPL) (wie
  z.B. auf Seite 12) trägt zur weiteren Verwirrung bei.
  
  Insgesamt offenbart die Studie leider bestenfalls ein
  oberflächliches Verständnis Freier Software, indem Vorurteile und
  Fehlinformationen unreflektiert als Tatsachen präsentiert werden und
  dann als Basis für die rechtliche Betrachtung dienen.
  
  So sind dann auch viele Ergebnisse, wie z.B die Aussage, die GPL
  erfordere, Derivate kostenlos abzugeben, rechtlich nicht
  haltbar. Zum Einen gibt es keine Verpflichtung zur Weitergabe und
  zum Anderen begrenzt die GPL bewusst nicht den Preis für eine solche
  Weitergabe.
  
  Lediglich der Preis für eine sich an den Verkauf der Software
  anschließende Verfügbarmachung des Sourcecodes wird begrenzt, um
  eine indirekte Einschränkung der über die Lizenz gewährten
  Freiheiten zu verhindern. Denn Zugriff auf den Sourcecode ist die
  Voraussetzung zur Wahrnehmung zweier der vier Freiheiten, die Freie
  Software definieren. [4]
  
  Die Rechtssicherheit Freier Software und speziell der GNU General
  Public License (GPL) ist bereits seit 1985 ein Thema, dem sich die
  Free Software Foundation intensiv widmet. So hat die FSF Europe
  beispielsweise im Februar 2003 das Fiduciary Licence Agreement (FLA)
  [5] herausgebracht, um speziell nach kontinentaleuropäischem
  Urheberrecht die bereits gegebene Rechtssicherheit Freier Software
  noch weiter zu erhöhen.
  
  Handlungsbedarf sieht die FSF Europe vielmehr in den rechtlichen
  Fragen proprietärer Software, deren Lizenzen nach ihren
  Erkenntnissen zum Teil erhebliche Rechtsunsicherheiten
  aufweisen. Leider fehlten bisher die Mittel, vergleichbare Studien
  zu diesem Thema vorzunehmen.
  
  
 [1] http://www.vsi.de/inhalte/aktuell/studie_final.pdf

 [2] http://www.opensource.org/advocacy/faq.html

 [3] http://www.gnu.org/philosophy/categories.html

 [4] http://www.gnu.org/philosophy/free-sw.html

 [5] http://fsfeurope.org/projects/fla/


Über die FSF Europe

  Die Free Software Foundation Europe (FSF Europe) ist eine
  gemeinnützige regierungsunabhängige Organisation, die sich allen
  Aspekten der Freien Software in Europa widmet. Zugang zu Software
  entscheidet, wer wie an der digitalen Gesellschaft teilnehmen kann.
  Daher erlauben die Freiheiten, Software zu verwenden, kopieren, ändern
  und weiterzuverteilen, wie sie in der Definition der Freien Software
  beschrieben werden, gleiche Chancen im Informationszeitalter. Diese
  Problematik ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und durch
  Unterstützung der Entwicklung Freier Software die Freiheit der
  Menschen zu gewährleisten, sind die Kernanliegen der FSF Europe, die
  im Jahr 2001 als Schwesterorganisation der amerikanischen FSF
  gegründet wurde.

   http://www.germany.fsfeurope.org
   

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