[FSFE PR][DE] "Freie Software in der Bundesregierung" - Offener Brief an Dr. Uwe Küster

Georg C. F. Greve press@germany.fsfeurope.org
Thu, 13 Dec 2001 21:13:52 +0100


"Freie Software in der Bundesregierung"

          Offener Brief an den Bundestagsabgeordneten und Mitglied des
      Ältestenrates, Dr. Uwe Küster von Georg Greve, Präsident der FSF
                                                               Europe.

       [ http://fsfeurope.org/de/articles/article-13.12.2001.de.html ]



Sehr geehrter Herr Dr.Küster,

seit einiger Zeit verfolge ich mit großem Interesse die Debatte um
einen möglichen Umstieg des Deutschen Bundestags auf das GNU/Linux [1]
System und habe in diesem Zusammenhang die Stellungnahme von Herrn
Kelber sowie die Erwiderung des LIVE-Vorstandsmitgliedes Daniel Riek,
gelesen.

Ich gehe damit konform, daß emotionale und ideologische Fragen nicht
zur Grundlage einer solchen Entscheidung gemacht werden dürfen,
vielmehr müssen funktionelle und sicherheitsrelevante Aspekte
Beachtung finden.
Gerade deshalb darf die Debatte nicht auf die Frage "Windows oder
GNU/Linux" verkürzt werden. Vor der Entscheidung über das spezifische
System steht eine grundsätzliche Frage, deren politische Dimension
weit über die Informationssicherheit und auch über die von Daniel Riek
angesprochenen wettbewerbspolitischen Aspekte hinausgeht. Diese
Grundsatzfrage muß ebenfalls unbelastet durch emotionale, ideologische
oder gar polemische Beiträge beantwortet werden.

Die Informationstechnologie und die Software, auf der sie beruht,
gewinnt zunehmend Bedeutung und ist bereits heute unverzichtbar. Durch
ihre Omnipräsenz entscheidet der Zugang zur Software in wachsendem
Maße über unsere Fähigkeit, am gesellschaftlichen und politischen
Leben teilzunehmen, Wissen auszutauschen, zu kommunizieren. Sie
determiniert unsere berufliche Zukunft und gibt vor, in welchem Rahmen
wir das in der Europäischen Grundrechte Charta verankerte Recht auf
Meinungs- und Informationsfreiheit wahrnehmen können.

Der Beschluß des Deutschen Bundestages über die Förderung Freier
Software in der Bundesverwaltung ist Ihnen sicherlich bekannt. [2] Er
hebt sich insofern positiv von der Masse ab, als die Freiheit bereits
eine Rolle in der Definition Freier Software spielt, beschränkt sich
das Bewußtsein für Freie Software doch zumeist auf die Erkenntnis, daß
verfügbare Quellen einen sicherheitstechnischen Vorteil bringen.

Dabei wird vernachlässigt, daß Freie Software neben den bekannten
Vorteilen auch gerade die Grundrechte auf Meinungs- und
Informationsfreiheit wahrt. Freie Software definiert sich über die
Freiheit,
 * Software unbegrenzt und für jeden Zweck verwenden zu dürfen.
 * untersuchen zu dürfen, wie eine Software funktioniert und sie
   den eigenen Bedürfnissen anpassen zu dürfen. Zugang zum Quelltext
   ist dafür eine Voraussetzung. 
 * Software kopieren und an Andere weiter geben zu dürfen.
 * Software zu verbessern und die Verbesserungen allen zum
   allgemeinen Wohl zugänglich machen zu dürfen. Zugang zum Quelltext
   ist dafür eine Voraussetzung.
Somit gewährt Freie Software Freiheiten, die in unserer Zeit
essentiell sind. Die durch ihre Omnipräsenz vom Wirtschafts- zum
Kulturgut gewordene Software sichert als Freie Software nicht nur die
Grundrechte aller Bürger sondern auch die Markt-, Wahl- und
Wettbewerbsfreiheit.

Es ist allgemein bekannt, daß das Bundesinnenministerium im September
einen Rahmenvertrag mit Microsoft geschlossen hat. [3] Weniger bekannt
ist, daß das Ministerium in diesem Zusammenhang keinerlei
Handlungsspielraum hatte.
Wie Ihnen jeder IT-Spezialist bestätigen wird, würde eine vollständige
und plötzliche Umstellung der IT-Struktur des Ministeriums inklusive
Schulung der Nutzer Monate in Anspruch nehmen, in denen das
Ministerium seinen Aufgaben effektiv nicht mehr nachkommen könnte. Die
Arbeit für Monate ruhen zu lassen, ist jedoch eine eher akademische
Möglichkeit.
Das Ministerium besitzt in dieser Frage also keinerlei
Entscheidungsfreiheit. Es ist hochgradig abhängig von den Interessen
eines einzelnen Unternehmens. Ähnliches gilt für den Rest der
Deutschen Regierung.

Dieses Problem ist jedoch nicht Microsoft-spezifisch, sondern vielmehr
ein allgemeines Problem proprietärer Software, deren System auf die
Erzeugung von Monopolen angelegt ist.
Im Gegensatz dazu bietet Freie Software die Freiheiten, Software
unbegrenzt auch nach Vertragsende zu verwenden und den Anbieter frei
zu wählen. Damit bietet Freie Software zudem Wettbewerbsfreiheit, da
mehrere Anbieter miteinander konkurrieren können. Bei proprietärer
Software ist dies nur scheinbar der Fall, da alle Anbieter selber
vollständig vom Hersteller ihrer Software abhängig sind.
Bei Betrachtung dieser Situation wird unmittelbar ersichtlich, daß bei
proprietärer Software nicht nur der Endverbraucher, sondern auch die
gesamte um seine Betreuung entstandene Wirtschaft von den Interessen
eines einzelnen Unternehmens abhängen.

Aus diesen Überlegungen folgt, daß Freie Software Kommunikations-,
Wettbewerbs- und Monopolfreiheit gewährt.  Darüberhinaus sichert Freie
Software die Unabhängigkeit der Politik.
Da das Postulat einer unabhängigen Regierung notwendige Bedingung
unseres politischen Systems ist, sollte also in allen
funktionskritischen Bereichen ausschließlich Freie Software eingesetzt
werden.

Es existieren mehrere Freie Systeme, die technisch ausgereift und
zuverlässig sind. Neben dem GNU/Linux System wird es in den nächsten
Jahren noch das GNU/Hurd System geben und auch die aus der "Berkeley
Source Distribution" (BSD) entstandenen Systeme FreeBSD, NetBSD und
OpenBSD sind Freie Software.
Die Entscheidung zwischen diesen Systemen sollte wiederum
ausschließlich aufgrund praktischer, funktionaler und
sicherheitsrelevanter Aspekte und unter Berücksichtigung der
Nachhaltigkeit erfolgen.

Wie bereits angedeutet wurde, sind Unabhängigkeit und
Entscheidungsfreiheit nicht nur für die Regierung, sondern auch für
Unternehmen maßgebliche Werte. Noch detaillierter auf die volks- und
betriebswirtschaftlichen Vorteile Freier Software einzugehen würde an
dieser Stelle jedoch zu weit führen.
 
Die FSF Europe und insbesondere die Herren Bernhard Reiter und Werner
Koch, unsere deutschen Ansprechpartner, stehen zu weiteren Gesprächen
gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,
Georg Greve
FSF Europe, Präsident


[1] Wie Ihnen vermutlich bekannt ist, geht das System auf die
Bemühungen des GNU-Projekts zurück, aus dessen Arbeit in Verbindung
mit dem Linux-Kernel das vollständige Betriebssystem wird. Dieses
GNU/Linux System ist die Basis jeder sogenannten "Linux-Distribution".

[2] Siehe http://linux.kbst.bund.de/bundestag/bt-pp14.199.html.

[3] Siehe http://www.heise.de/newsticker/data/kav-27.09.01-000/.