Ethische Lizenz, war: NC-Lizenzen

Dr. Michael Stehmann anwalt at rechtsanwalt-stehmann.de
Mi Mai 19 09:18:02 UTC 2021


Hallo,

natürlich hat der Urheber die Freiheit, Lizenzbedingungen zu 
formulieren, die beispielsweise auch ethische Bedingungen enthalten.

Und alle anderen haben die Freiheit, diese Lizenz dann eben nicht 
"Freie-Software-Lizenz" zu nennen, sondern als proprietär anzusehen.

Es ist jedem unbenommen, eine proprietäre Lizenz zu formulieren und 
durch seine Schöpfungen beispielsweise Milliardär zu werden.

Aber niemand kann gezwungen werden, eine Software-Lizenz als "frei" oder 
"Open-Source-Lizenz" anzuerkennen, wenn diese Lizenz seinen oder ihren 
Bedingungen nicht genügt. Und wenn "use for any purpose" eine dieser
Bedingungen ist, dann muss ein Entwickler, der hier Einschränkungen 
vornehmen will, eben akzeptieren, dass seine Software von dieser Person 
nicht "frei" genannt wird.

Diese Meinungsfreiheit gilt sowohl für einzelne Personen als auch 
kollektiv (beispielsweise für die FSF, FSFE, OSI, Debian etc.).

Es ist auch nicht so, als hätten die Menschen, denen Softwarefreiheit 
ein Anliegen ist, nicht auf neue Herausforderungen reagiert (Nutzung von 
Software mittels Internet -> AGPL; Bedrohung durch Softwarepatente und 
"Tivoisierung" -> GPLv3 etc.; Erweiterung des OSI-Katalogs um eine 10. 
Bedingung).

Die angesprochenen ethischen Fragen sind aber oft uralt (Krieg und 
Frieden, Töten von Tieren  des Verzehrs wegen etc.). Auch die Gefahren, 
die vom Technik ausgehen können, sind im Prinzip altbekannt (Missbrauch 
von Werkzeugen, "Dual Use", Schadens- und Zerstörungspotential bei 
Fehlern (daher wurde vor langer Zeit ein "Dampfkesselüberwachungsverein" 
gegründet), Zurechnung einer Schadenverursachung durch Gegenstände 
(Tiere, Maschinen, z. B. Kraftfahrzeuge, Gebäude etc. an Personen 
(Halter, Hüter, Eigentümer)).

Aus gutem Grunde wurden diese Fragen bisher in allgemeinen Gesetzen 
abgehandelt und nicht in individuell formulierten Lizenzen für einzelne 
urheberrechtlich geschützte Werke.

Wer übrigens tatsächlich gewillt ist, einen Angriffskrieg zu führen oder 
an einem Völkermord mitzuwirken, wird sich von der Verwirklichung seiner 
verbrecherischen Absichten kaum von den (zusätzlichen) Strafandrohungen 
oder finanziellen Ansprüchen des Urheberrechts abhalten lassen. Und das 
ethische, moralische oder rechtliche Urteil über einen Massenmörder wird 
wohl nicht wesentlich von einer tateinheitlich begangenen 
Urheberrechtsverletzung beeinflusst.

Wer mag, soll sich also mit anderen Menschen zusammentun und ein 
"Ethik-Siegel" für Software-Lizenzen kreieren. Nur soll nicht von mir 
oder anderen verlangt werden, solche Lizenzen gegen meine oder unsere 
Überzeugung als "frei" anzuerkennen.

Mit freundlichem Gruß
Michael



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