Re: Umsteig auf Freie Software, Betriebssystem später?

Kristian Rink mail at zimmer428.net
Fr Mär 19 07:20:31 UTC 2021


Hi Ilu, alle;


Am 18.03.21 um 22:34 schrieb Ilu:
> 
> Am 18.03.21 um 20:59 schrieb Kristian Rink:
>> Nehmen wir mal an, wir könnten jetzt auf der grünen Wiese beginnen 
>> (und bräuchten weniger Ressourcen als AutoDesk, ...  beträchtliche 
>> Menge an  > Ressourcen, ... interdisziplinär ...
> 
> Diese Fachkräfte in dieser Anzahl gibt es auf dem Markt nicht, egal für 
> welches Geld.
> 

Das glaube ich gar nicht, sonst gäbe es solche Anwendungen grundsätzlich 
wohl nicht. Die interessantere Frage aber: Nehmen wir einen Entwickler, 
der tagsüber Kernlogik in AutoCAD pflegt und nach dem Dienst den Rechner 
ausschaltet und durch die Berge wandert. Wie bekommt man so jemanden, 
idealerweise noch mehrere davon, hinter FLOSS? Was braucht es dafür 
finanziell, organisatorisch, strukturell? Wer plant, führt, organisiert 
solche Projekte?

Der Wettbewerb mit proprietäre Software um *Nutzer* ist eigentlich nur 
das Ende der Kette. Der Wettbewerb um Fachkräfte für *Entwicklung* ist 
viel kritischer aus meiner Sicht.


>> Im Umkehrschluss: Warum haben wir über ein halbes Dutzend von 
>> halbfertigen Linux-Desktop-Umgebungen, eine unzählbare Menge von nur 
>> in Nuancen variierenden Linux-Distributionen, ... 
> 
> Weil *Freiwillige* offensichtlich genau darauf Lust haben.
> 

Dann wird es mit FLOSS aber nicht besser als mit proprietärer Software. 
Unter der Annahme, dass Software hinreichend komplex ist (und ich die 
keinesfalls selbst warten, pflegen, fixen kann, vermutlich auch nicht 
imstande bin, mit realistischen Mitteln Dritte dafür zu beauftragen) 
kann ich wählen zwischen Software, bei der ich auf die Gnade eines 
Herstellers angewiesen bin, oder Software, die von Lust und Laune von 
Freiwilligen abhängt. Die Frage, wen ich womit eher in meinem Sinne 
motivieren kann, ist für mich grad schwer zu beantworten. Nachhaltig 
scheint beides überhaupt nicht zu sein.



>> ... wo es für langfristigen Erfolg sehr viel wichtiger wäre - nämlich 
>> in die hochspezialisierten fachlichen Nischen?
> 
> Weil den Freiwilligen für Fachanwendungen ohnehin die Kompetenz fehlt.
> 

Ja. Ich glaube auch nicht an "freiwillige" Arbeit als Lösung für diese 
Probleme. Aber Communities könnten Ressourcen besser bündeln - 
mindestens dadurch, dass sie (theoretisch) die Menge an entbehrlich 
doppelt getaner Arbeit minimieren, die man hat, wenn proprietäre 
Anbieter Software in Wettbewerb im stillen Kämmerchen "gegeneinander" 
bauen.


> Diese Probleme kann man nach derzeitigem Sachstand nur angehen durch 
> Investition in Wine und Oberflächen wie PlayOnLinux (das leider 
> furchtbar elendiglich dahinkrebst). 1000 Stunden reichen nicht für eine 
> einzige Branchenanwendung, aber investiert in Wine schafft das Lösungen 
> für viele Branchenanwendungen.

Das verstehe ich nicht. Wie hilft WINE hier?

- Bei den "Altanwendungen", die ich loswerden will, ist nicht das 
Windows untendrunter, sondern die Anwendung selbst das Problem. Ob ich 
das alte Windows virtualisiere und ordentlich abschotte oder die 
Anwendung auf einen Emulator hebe, ändert nichts daran, dass ich nicht 
von der Anwendung wegkomme.

- Bei neuen (proprietären) Anwendungen, die ich kaufe und bei denen ich 
üblicherweise auch für Support bezahle, ist WINE eher schwierig, weil: 
Wie viele Hersteller gewähren Support für Anwendungen, die auf WINE 
laufen? Dann habe ich die Entscheidung zu treffen, ob ich aus 
politischen Erwägungen das Betriebssystem (die für mich eigentlich 
uninteressanteste Komponente in meiner Umgebung) austausche gegen einen 
Emulator, damit den Support für mein System wegwerfe und das Risiko 
fahre, meine Mitarbeiter potentiell zu blockieren, wenn ich irgendeinen 
Fehler finde, den der Hersteller mir in dieser Konstellation nicht lösen 
kann.



> Viel schlimmer sind behördliche Vorgaben:
> Betriebliche Steuererklärung geht - wegen verkorkstem Elster - nur mit 
> Windows/MacOS, keine Chance in Wine. In anderen Bereichen, zB 
> Gesundheitswesen, zwingen gesetzlich vorgeschriebene Zertifizierungen zu 
> Windows. Hier ist die FSFE gefragt, politischen Druck aufzubauen. PMPC 
> ist ein sehr guter Ansatz, denn es fördert beim Verordnungsgeber das 
> richtige Bewusstsein. 

Agreed. Das indes scheint gleichermaßen Leuchtturm und naheliegendster 
(vielleicht auch trivialster) Fall für PMPC: Software nach Vorgaben des 
Gesetzgebers, mit Behörden im Hintergrund. Hier *hätte* ich (politischen 
Willen und Bewusstsein vorausgesetzt) am ehesten die Möglichkeit, 
Strukturen zu schaffen, nicht nur Vorgaben, sondern auch den Rahmen für 
Software, Standards, ... zu schaffen, die diese Vorgaben umsetzen. Bei 
Fachanwendungen für privatwirtschaftliche Unternehmen, für die es einen 
Markt mit etablierten Lösungen gibt, sehe ich das deutlich kritischer...

Viele Grüße,
Kristian


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