Ethische Lizenz, war: NC-Lizenzen

Volker Diels-Grabsch v at njh.eu
Mi Jul 28 00:20:09 UTC 2021


Hallo Antje,

die Diskussion wurde hier schon einmal vor nicht allzu langer Zeit
geführt, daher ist es in meinen Augen vollkommen verständnis, dass die
Beteilung diesmal nicht so hoch ist, denn die meisten werden nicht so
motiviert sein, ihre Argumente immer wieder vorzutragen.

Davon abgesehen ist die Diskussion wirklich uralt.  Sie ist so alt wie
die ersten Freie-Software-Lizenzen, denn selbstverständlich gab es
diese Ideen schon damals.  "Gefährliche Algorithmen" und all das gibt
es ja nicht erst seit Deep Learning, früher waren es halt andere
Fortschritte, die vielen von uns Programmierern Bauchschmerzen
bereiteten.

Ich persönlich finde die Idee hinter ethischen Klauseln in
Softwarelizenzen übrigens trotz aller Probleme immer noch sehr
reizvoll, sie hatte mich schon damals fasziniert, als ich das erste
Mal davon hörte.

Von einem "schnellen Abschmettern" kann hier wirklich nicht die Rede
sein, sondern eher von einer Zusammenfassung der Probleme, wie sie
seit Jahrzehnten bestehen und an denen sich bis heute nichts
wesentlich geändert hat.  Die immer wieder als "neu" vorgetragenen
Argumente sind bestenfalls alter Wein in neuen Schläuchen, sie sind
hundertfach in verschiedensten Gruppen und Sprachen durchdekliniert
worden.

Wenn dieses - wiegesagt durchaus sehr interessante! - Vorhaben zu
irgendeinem Erfolg führen soll, kann das nur gelingen, wenn man
zuallererst diese Probleme anerkannt, möglichst vollständig auflistet
systematisch an Lösungen arbeitet.  Und das ist sehr viel harte und
zeitaufwändige Arbeit, von der nicht klar ist, ob das Ergebnis den
Aufwand wert sein würde.  An dieser Stelle ist es absolut
kontraproduktiv, diese Probleme kleinzureden oder gar wegdiskutieren
zu wollen.

Nehmen wir zum Beispiel das Problem, dass Ethik starken kulturellen
Einflüssen unterliegt, und auch innerhalb einer Kultur zwischen
Individuen abweicht.  Hier bieten sich zwei Lösungsmöglichkeiten an,
doch jede wäre mit sehr hohem Aufwand verbunden: Man könnte einen
ethischen Grundkonsens erarbeiten, ähnlich der Deklaration der
Menschenrechte.  Oder man könnte verschiedene ethische Lizenzen
koexistieren lassen, ähnlich wie Copyleft und Permissive Lizenzen
nebeneinander existieren.

Ersteres würde ein sehr diverses internationales Team erfordern.  Ich
wüsste keine Person, in die die notwendige Anerkennung und
Ausstrahlung in allen relevanten Kulturen und Subkulturen besitzt, um
ein solches Team überhaupt zusammenzustellen und lange genug
zusammenzuhalten.  Selbst, wenn das gelänge, müsste immer noch ein
Konsens erarbeitet werden, das ist das wahnsinnig großes Unterfangen.
Und wie auch immer das Ergebnis aussähe, wäre nicht klar, ob ganz am
Ende dieser Konsens aus substanziell mehr als dem bereits
existierenden Konsens der 4 Grundfreiheiten bestehen würde.

Die zweitere Lösung wäre ein bewusst gewählter Wildwuchs an Lizenzen.
Wer eine Software schreibt, die 10 Libraries mit unterschiedlichen
ethischen Klauseln enthält, würde sie alle in seiner eignen Lizenz
auflisten müssen.  Der potentielle Nutzerkreis könnte durch die 10
Lizenzen bereits stark eingeschränkt ein.  Jetzt kommt eine
11. Library hinzu.  Kann ich in vertretbarer Zeit entscheiden, ob ich
diese verwenden sollte oder nicht?  Was, wenn die Nutzerschaft nun so
stark eingeschränkt ist, dass sie ohnehin nur noch für drei Nutzer auf
der Welt in Frage kommt?  Und wie behält man den Überblick?  Die
meisten sind bereits mit den existierenden 5-10 Standardlizenzen
überfordert, und das trotz existierender hervorragender Tools zur
Code- und Lizenzanalyse. Zudem müsste man die ethischen Klauseln in
irgendeiner Form vereinheitlichen in einer Art riesiger Checkliste.
Diese Form der Standardisierung kann ewig dauern und viele freiwillige
Helfer "verbrennen".  Oder keine Checkliste, alles Prosa, doch dann
können einem die Tools nicht mehr zuverlässig helfen, man bräuchte
letztendlich eine Rechtsabteilung dafür.  Dann könnten es sich
praktisch nur noch große Unternehmen leisten, ethische Lizenzen
einzusetzen.

Und das ist nur eines der vielen Probleme, die es zu beackern gäbe.

Ein anderes wäre die Durchsetzbarkeit: Welche ethischen Klauseln
würden sich tatsächlich per Urheberrecht dank Handelsverträge
effizienter durchsetzen lassen als z.B. die direkte Anwendung des
Strafrechts?  Und sind die Strafen via Urheberrecht empfindlich genug,
und wenn nicht, würde eine lizenzverletzende Software dann wenigstens
schneller vom Markt verschwinden?  Wenn all das nicht gegeben ist,
wäre eine solche Klausel es gar nicht wert, weitere ausgearbeitet zu
werden.  Und welche Klauseln würden in die Schranken des Urheberrechts
fallen, und damit im Rahmen einer Softwarelizenz per se ungültig sein?
Und diese Schranken sehen von Land zu Land verschieden aus, als
fiktives Beispiel: Welchen Sinn hätte eine Anti-Atomkraft-Klausel,
wenn sie nur in den Ländern durchsetzbar wäre, die sich ohnehin im
Atomausstieg befinden?

Oder schreibt man trotzdem alle Klauseln in die Lizenz, egal wie
unwirksam, einfach als symbolische Geste?  Doch wie stellt man dann
sicher, dass die Urheber im Fall eines Verstoßes das jeweils
effizientere Recht anwenden?  Wie stellt man sicher, dass sie nicht
unwissenderweise zum falschen Zeitpunkt auf das Urheberrecht setzen
und dann mit großem Aufwand eine "Strafe" erwirken, die die Gegenseite
aus der Portokasse bezahlt?

Kurz: Auch hinter dem Problembereich "Durchsetzbarkeit" steht ein
astronomischer Arbeitsaufwand, der zudem ein breit aufgestelltes Team
von juristisch hinreichend qualifizierten Freiwilligen benötigt.

Und so weiter.

Befürworter von ethischen Klauseln in Softwarelizenzen kommen und
gehen, und das seit Jahrzehnten.  Aber, soweit ich weiß, hat sich
niemand ernsthaft den Herausforderungen gestellt.  Und das ist in
keiner Weise abwertend gemeint, es ist einfach eine sehr harte Nuss.


Viele Grüße
Volker


Antje Kazimiers wrote:
> Hallo Liste,
> 
> Schade, dass die Idee der ethischen Lizenzen hier so schnell abgeschmettert
> wird.
> 
> Am 22.07.21 um 22:17 schrieb Dr. Michael Stehmann:
> > Wenn irgendetwas überall auf der Welt strafbar ist und der Täter oder
> > die Täterin dennoch zur Tat schreitet, wird sie die (zusätzliche)
> > Strafbarkeit eines Lizenzverstoßes wohl kaum aufhalten.
> > 
> > Dann ist eine entsprechende Einschränkung der Lizenz als präventive
> > Maßnahme sinnlos und bloße "Symbolpolitik".
> > 
> > Wenn etwas nur in einigen Ländern strafbar ist, würden die Entwickler
> > mit einer entsprechenden Einschränkung versuchen, die Wertvorstellungen
> > ihres Landes oder ihrer Länder, die den jeweiligen Strafvorschriften
> > zugrundeliegen, weltweit durchzusetzen.
> > 
> > Das mag man einerseits Chauvinismus nennen.
> 
> Ich glaube nicht, dass man seine Vorstellungen von Ethik versucht,
> durchzusetzen und dass das eine Form von Chauvinismus ist.
> 
> Mich erinnern diese ethischen Klauseln in Softwarelizenzen eher an sowas wie
> GLS Gemeinschaftsbank oder Strom von den Bürgerwerken also in dem Fall
> Genossenschaften, die bei der Investition von Geld / Stromerzeugung auf die
> Ökobilanz / Nachhaltigkeit schauen und da strengeren ethischen Prinzipien
> folgen. Wem das nicht so wichtig ist, geht zu einer anderen Bank oder einem
> anderen Stromerzeuger, wer die ethischen Klauseln in der Lizenz nicht
> einhalten möchte, nutzt halt eine andere Software.
> 
> Der Vergleich passt jetzt nicht 1:1 aber zumindest haben die Lizenzinhaber
> das Recht, gegen Lizenzverstoß vorzugehen.
> 
> Ich sehe es aus der Sicht einer Entwicklerin: Es ist doch ein ehrenwertes
> Ziel, Software "für den guten Zweck" entwickeln zu wollen und bei
> proprietärer Software mag man vielleicht noch Kontrolle über den
> Anwendungsfall haben aber bei Open Source nicht mehr. Also wenn man z.B.
> Datenanalyse-Algorithmen entwickelt, kann das wichtig sein für Wissenschaft
> und Forschung aber in Bezug auf Überwachungstechnologien problematisch.
> 
> Da scheint mir ethische Lizenzen ein interessanter Gedanke.
> 
> Viele Grüße
> Antje

> _______________________________________________
> FSFE-de mailing list
> FSFE-de at lists.fsfe.org
> https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de
> 
> Diese Mailingliste wird durch den Verhaltenskodex der FSFE abgedeckt.
> Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu
> behandeln: https://fsfe.org/about/codeofconduct


-- 
Volker Diels-Grabsch
----<<<((()))>>>----


Mehr Informationen über die Mailingliste FSFE-de