Re: Freie Wahlsoftware für den CDU-Parteitag

Carsten Knoll carsten.knoll at posteo.de
Di Nov 10 23:34:13 UTC 2020


Hallo Ilu,

On 10.11.20 23:01, Ilu wrote:
> Hallo Carsten,
> 
> dann will ich auch nochmal was zu den von Dir vorgeschlagenen tools
> schreiben:

vielen Dank für das (überwiegend) konstruktive Feedback. :)

> 
> Alle sind eigentlich für was anderes gedacht und werden von Dir
> zweckenfremdet und zusammengefrickelt.
> 
> - gpg wollen die fachkundigen Leute schon seit langem loswerden: nie
> auditierte, uralte Codebasis, die außer Werner Koch niemand versteht,
> und jede Menge Probleme hat (siehe
> https://latacora.micro.blog/2019/07/16/the-pgp-problem.html und die
> dazugehörige Diskussion an verschiedenen Stellen im Internet). Der
> Blog-Artikel wird kontrovers diskutiert, aber alle sind sich im
> Grundsatz einig, dass gpg keine Zukunft hat. Hint: Werner Koch ist 1961
> geboren.

Guter Punkt.
Alternativ-Vorschlag: OpenPGP

> 
> - die Funktionsfähigkeit von tor hängt ab von den exit nodes - wer die
> kontrolliert, kontrolliert das Netzwerk. Dieser Umstand wird bisher
> hauptsächlich für betrügerische Aktivitäten ausgenutzt (z.B.
> https://www.zdnet.com/article/a-mysterious-group-has-hijacked-tor-exit-nodes-to-perform-ssl-stripping-attacks/).
> Wahlen auf dieser Basis zu organisieren, setzt plötzlich ganz andere
> Anreize. Unter der in D geltenden Rechtslage kann ein exit node nur von
> Bürgern betrieben werden, die nichts zu verlieren haben - oder vom Staat
> oder von Geheimdiensten. Tor ist leicht zu kontrollieren, wenn man über
> ausreichende Mittel verfügt. Dein Vorschlag würde den erwünschten Zweck
> nicht erreichen und dazu tor unbrauchbar machen für seinen eigentlichen
> Zweck.

Guter Punkt. Dann ist Tor wahrscheinlich raus. Denn Rückkanal kann man
aber auch über verschlüsselte und anonymisierte Mails bauen. Mal sehen,
ob ich das noch in den Text einbaue. Habe es erstmal in den
Kritik-Abschnitt aufgenommen.


> - git hängt in Deinem Szenario allein ab von der Zahl der Server. Jeder
> einzelne ist leicht kompromittierbar, denn wenn man die repo instanz
> kontrolliert, kann man problemlos commits rausoperieren. Bei sehr vielen
> voneinander unabhängigen Servern mag git funktionieren.

Das kommt halt darauf an, was man für ein Bedrohungszenario annimmt.
Wenn ich einfach nur als user sicherstellen will, dass seit meiner
letzten Überprüfung nur neue Stimmen hinzugekommen sind, aber keine
verschwunden und keine verändert wurden, dann reich ein git server. Der
kann zwar beliebig die History andern aber nicht unbemerkt von den usern
(wenn sie regelmäßig pullen).


> 
>> Aber aus meiner Sicht ist der Alte Thread am Thema vorbei gegangen,
>> aus folgendem Grund: Ich habe einen Text zur Diskussion gestellt, der
>> ein Protokoll beschreibt, das auf Annahmen beruht.
> 
> Die Annahmen, die Du voraussetzt, stammen aus einer Phantasiewelt und
> nicht aus der Realität. Das ist ein Vorwurf der den Anhängern freier
> Software ohnehin schon gemacht wird. Freie Software kann in so einer
> Debatte *nur* verlieren, und absolut nichts gewinnen.

Ich sehe das anders: Online-Voting wird voraussichtlich über kurz oder
lang kommen. Genau so wie die Abschaffung des Bargeldes. Und dann halte
ich bei allen unbestrittenen Problemen eine dezentrale Lösung basierend
auf freier Software für viel besser, als eine proprietäre und
zentralistische.


Angesichts dieser Lage:

https://www.cdu.de/informationen-zum-kandidatenverfahren

"""
Digitale Parteitage mit digitalen Wahlen erachtet der Bundesvorstand
nach wie vor für sinnvoll. Dies ist allerdings rechtlich derzeit nicht
möglich. Deshalb hat der CDU-Bundesvorstand die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgefordert, nochmals zu prüfen, ob und wie
weitere Regelungen angepasst werden können, um digitale Wahlen sowohl
bei einem zentralen als auch bei einem dezentralen Parteitag zu
ermöglichen. Sofern hierzu eine Grundgesetzänderung erforderlich sein
sollte, sprach sich der Bundesvorstand für eine entsprechende Änderung aus.
"""

fände ich es gut, wenn die FSFE (ggf. gemeinsam mit anderen NGOs z.B.
der GI) eine Pressemitteilung herausbringen würde.

Hauptinhalt könnte sein:

- "digitale Wahlen" bergen erhebliche technische Risiken.
- Die Legitimität des Ergebnisses steht ggf. in Frage.
- Wenn wirklich eine digitale Wahl stattfinden soll, dann ist nur eine
Lösung basierend auf Freier Software und Dezentralität akzeptabel. Alles
andere wäre eine Farse und genau so ein Desaster wie das elektronische
Anwaltspostfach.


Gruß,
Carsten



> Am 10.11.20 um 19:50 schrieb mail at zimmer428.net:
>> Hi Carsten;
>>
>>
>> Am 10.11.20 um 17:50 schrieb Carsten Knoll:
>>>>
>>>> Nicht provozierend gemeint: Woraus schließt Du, dass das
>>>> funktionieren könnte?
>>>
>>> Für mich ist das ziemlich naheliegend. Die Diskussion um die
>>> Corona-Warn-App (Off-Topic-Alarmstufe Gelb) hat meiner Meinung nach hier
>>> schon eine gute Richtung vorgelegt:
>>>
>>
>> Glaubst Du, dass außerhalb eines informierten (kleinen) Kreises der
>> Umstand, dass die Anwendung FLOSS ist, merklich zu Vertrauen in das
>> Tool beigetragen hat? Dorth habe ich meine Zweifel.
>>
>>
>>>
>>> Ich will bei möglichst vielen Menschen zwei Aha-Effekte auslösen: 1. "
>>> Stimmt, für Wahlen sind Verschlüsselung und Anonymität wichtig." Als
>>> Gegenpol zu "Ich habe doch nichts zu verbergen!" und 2. "Achso, mit gpg
>>> kann ich also sicher verschlüsseln und mit tor anonymisieren. Gut zu
>>> wissen."
>>>
>>
>> Möglich, ja. Du hast aber mindestens zwei andere Möglichkeiten:
>>
>> (b) Den "Instagram"-Effekt: Die Leute nehmen das Produkt, das Ergebnis
>> wahr und interessieren sich nicht die Spur dafür, dass das Dingens im
>> Wesentlichen aus interessanten SoftwareLibre/OpenSource-Komponenten
>> gebaut ist - weil sie eben das Ergebnis interessiert, nicht die Bauteile.
>>
>> (c) Die Wahrnehmung entgleitet, wie leider häufiger bei FLOSS: Es
>> braucht eine gewisse Frickelei, um (jeweils für sich hinreichend
>> komplexe) generische Einzelkomponenten zusammenzuschalten, um ein
>> Ergebnis zu erzielen, das einigermaßen funktioniert und immer noch im
>> Blick auf Usability, Wartbarkeit, ... hinter einer auf den
>> Anwendungsfall optimierten Lösung zurücksteht.
>>
>> Zu gpg bin ich extrem skeptisch; die Leute in meinem Umfeld, die sich
>> professionell mit Kryptographie beschäftigen (Forschung,
>> professioneller Einsatz), äußern immer mal wieder mehr oder weniger
>> lautes Unverständnis, wieso das noch jemand ernsthaft für relevante
>> Use Cases nimmt. Ein paar Gründe dafür finden sich u.a. hier:
>>
>> https://latacora.micro.blog/2019/07/16/the-pgp-problem.html
>>
>> Ich bin nicht tief genug drin, um _alle_ der Argumente zu verstehen,
>> aber zumindest einen Großteil - und außerhalb von Use Cases im
>> FLOSS-Umfeld kenne ich derzeit niemanden mehr, der gpg wirklich nutzt.
>> Insofern wäre vielleicht auch gut, hierfür nicht allzu laut zu werben. ;)
>>
>>
>>> Dass ein einzelner Mensch bis auf den Maschinencode runter alles
>>> versteht halte ich eh für ausgeschlossen. Ich würde mich aber damit
>>> zufrieden geben wenn ich der Sicherheit des Systems genau so vertrauen
>>> kann wie der Sicherheit der Kombination von git, gpg und tor.
>>
>> Hier möchte ich deutlich mehr Sicherheit. Bei diesem Szenario und der
>> damit verbundenen Tragweite denke ich eher in Größenordnungen von
>> Software für Flugzeuge oder medizinische Anwendung: Maßgeschneiderte
>> Spezial-Lösungen, die per Vorgabe sowohl "Open Source" als auch formal
>> verifizierbar sein müssen, die einen sehr klar beschriebenen
>> Anwendungsfall haben und bei dem leicht(!) zeigbar ist, dass sie
>> diesen Anwendungsfall sicher abbilden. Die Komplexität der benannten
>> Tools selbst, zusammen mit der Komplexität des von Dir beschriebenen
>> Prozesses, scheint mir dort unbeherrschbar.
>>
>>
>>>
>>> Einfach bedeutet für mich zweierlei:
>>>
>>> 1. Einfach bedienbar (möglich über ein optionales GUI-Frontend)
>>> 2. Einfach verständlich (Rückführbarkeit auf etablierte Tools und
>>> Prinzipien)
>>
>> Zustimmung zu (1) unter der Maßgabe, dass das Frontend nicht optional,
>> sondern verpflichtend ist.
>>
>> Widerspruch zu (2). Das klingt sehr nach Golden Hammer. Warum? Warum,
>> wenn wir FLOSS wollen, für diesen Use Case nicht eine dedizierte
>> Software planen und bauen, statt Tools zusammenzuklemmen, die für
>> etwas anderes gedacht sind, die relativ viel Angriffsfläche (durch
>> Codebasis, Abwärtskompatibilitäten, potentielle Fehlbedienung, ...)
>> bieten und von denen es einen Großteil der Funktion hierfür vermutlich
>> nicht braucht?
>>
>>
>>>
>>>
>>>> Sehr viel niederschwelliger
>>>> als Zettel und Stift geht es im Moment kaum...
>>>
>>> Dieses Medium steht während der Pandemie voraussichtlich nicht zur
>>> Verfügung. Bzw. wenn doch (Briefwahl), muss man für Auszählung und
>>> Sicherung der Anonymität wieder ziemlich viel Vertrauen in die
>>> Akteur:innen stecken.
>>  >
>>
>> Meine Eltern wohnen wie leider zu viele in DE in einem "weißen Fleck".
>> Dort gibt es kein mobiles Internet, eine sehr dünne Leitung von der
>> Telekom, und wenn alle im Ort online sind, wird die schleichend
>> langsam und bricht gelegentlich auch mal zusammen.
>>
>> Wenn wir "digitale" Wahl wollen, dann müssten wir dieses Problem in
>> der Breite vorher lösen. Das sehe ich in realistischer Zeit nicht.
>>
>> Viele Grüße,
>> Kristian
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>> Alle Teilnehmer werden gebeten, sich gegenseitig vorbildlich zu
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