FSFE-Matrix-Server (war: zu OT ... - jetzt wieder on topic Kommunikation in FOSS :-))

Kristian Rink mail at zimmer428.net
Di Okt 8 06:37:26 UTC 2019


Hallo Roland,
hallo Liste;

danke für die Kommentare. Einige Anmerkung neben viel Zustimmung und
viel Skepsis:



Am Montag, den 07.10.2019, 20:55 +0200 schrieb Roland Hummel:

> 
> Allerdings denke ich nicht, dass der Umstieg von Mail auf Chat
> irgendetwas am gegenseitigen Umgang ändert (und fände es
> arbeitsorganisatorisch fatal, Mail durch Instant Messenger zu
> ersetzen).
>

Das teile ich prinzipiell. Ich war und bin seit jeher Fan von E-Mail
und nutze das bevorzugt, wo immer möglich. Indes:



> ...denke ich auch nicht, dass unterschiedliche
> Mailinglisten-Antwort-Philosophien Grund dafür sind, dass Menschen
> weg von E-Mail hin zu Chat-Walled Gardens ziehen. Dahinter steckt
> pure (wenn auch mit entsprechender Werbemacht induzierte)
> Bequemlichkeit seitens der User und seitens IT-Administrationen eine
> (leider nachvollziehbare) Unlust, noch irgendetwas selbst zu hosten,
> denn das macht bei Problemen nur schlaflose Nächte, deswegen wird
> ausgelagert, was nur geht und wenn die halbe Belegschaft eh schon
> ihre "Schatten-IT" via Slack-Webapp betreibt, hat man 'ne Menge Ärger
> vom Tisch, wenn man solche Services zum offiziellen Standard erhebt. 

Wir haben auch Slack (dienstlich) in der Organisation, wo es langsam,
aber sicher E-Mail ablöst. Ich stimme Dir teilweise zu in dem
administrativen Herangehen und der Art und Weise, wie das System in die
Firma gekommen ist ("Schatten-IT" trifft es recht gut). 

Andererseits: Wir haben immer intern E-Mail gehostet. Wir (im
Wesentlichen ich) haben über fast eine Dekade intern XMPP gehostet. Die
"Schatten-IT" mit Slack ist, mit Blick auf unsere Nutzer, nur deswegen
entstanden, weil Slack an vielen Stellen aus Nutzersicht in den 2010ern
Anforderungen löst, die mit Mail und XMPP schlecht bis nicht zu
erfüllen waren. E-Mail ist *immer* formaler, und wir haben *immer*
Diskussionen wie "vernünftiges Zitieren/Antworten". Bei Slack haben
selbst die technisch unwilligsten Kollegen innerhalb weniger Tage
begriffen, wie Threads funktionieren. Dto XMPP: Für unseren Support-
Fall haben wir keine(!) Client-Konstellation gefunden, die es mit XMPP
über Plattform-Grenzen etwa erlaubt hätte, eingebettete Bilder oder
Code-Snippets an einer bestimmten Stelle im Kommunikationsverlauf zu
lassen und sicherzustellen, daß die auch in zwei Jahren noch dort und
noch auffindbar sind. Insofern: Einerseits hast Du mit "Bequemlichkeit"
sicher recht. Andererseits definieren die "großen" Dienste den Status
Quo dessen, was im Blick auf Nutzerfreundlichkeit, Bedienbarkeit,
Zugänglichkeit machbar ist. Je größer die Lücke zu "freien" Lösungen
wird, desto geringer wird die Akzeptanz für letztere, desto schwerer
wird es auch für Nutzer, diesen Preis für Freiheit zu akzeptieren. Das
ist wie in den späten 1990ern mit Windows vs. Linux: Für Idealisten,
Studenten, Hobbyisten war das eine schöne Sache, aber für viele
professionelle Anwender, die die Notwendigkeit hatten, mit dem Computer
bestimmte Aufgaben zu erfüllen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen,
war eine Entscheidung gegen proprietäre Software schlicht nicht
möglich, weil es entweder keine freien Alternativen gab oder diese
nicht gut genug waren (ich arbeite im Bereich der Bau-Informatik, wo
schwere und teure CAD-/Modellierungs-Lösungen nach wie vor den Markt
dominieren). Bei Messengern habe ich das mit XMPP ebenso gemerkt:
Irgendwann *wollen* die Leute nicht den wackeligen XMPP-Client als
zusätzliches Tool haben, das alles ein wenig schlechter kann als all
die anderen Werkzeuge, die sie privat nutzen.



Insofern:

> Ein Datenschutz, der dem Recht gerecht
> wird, aber unterm Strich nicht den Menschen, ist dann der Sargnagel
> für jede digitale Autonomie, denn mit einem vernünftigen
> Datenschutzanspruch wären freie, föderale Alternativen wie Mail und
> Matrix, betrieben in eigener Infrastruktur, alternativlos.

Ich denke, je früher wir von der Idee "selbstbetriebener" Infrastruktur
als Standardfall wegkommen, desto besser für uns und für "Freie
digitale Infrastruktur". Dieses Modell halte ich schlicht nicht für
zukunftsfähig bzw. langfristig sinnvoll. Es skaliert nicht - wir
brauchen nicht Tausende Leute, die im Klein-Klein solchen Kram
betreiben, sondern lieber viele Leute, die sich gezielt und strategisch
hinter Lösungen scharen mit dem Ziel, "Freie" Alternativen zu schaffen,
die nicht nur "Frei", sondern auch von Funktionalität, Bedienbarkeit,
Administrierbarkeit, ... auf Augenhöhe mit Slack und Co. sind. Ferner:
Eigenbetrieb gibt der momentane Arbeitsmarkt eigener Erfahrung nach
nicht her (es fehlen Fachleute, die das auch für KMUs leisten könnten).
Dafür ist die Nummer mit der Infrastruktur, die man heute auch in
mittleren Unternehmen schon hat, viel zu groß, wenn man Themen wie
DSGVO, Compliance, ... anhängt und "richtig" machen will. Dafür ist
auch das Risiko für alle anderen zu groß, wenn man an DDoS-Angriffe
durch gekaperte, schlecht gepatchte Systeme denkt, die von
"irgendjemandem" installiert und mehr oder weniger "betrieben" wurden.
Ich glaube, wir brauchen vielmehr einen robusten, datenschutzkonformen,
freien europäischen SaaS-Markt, der mit Ideen Freier Software vereinbar
ist und Nutzern, Firmen *trotzdem* die Möglichkeit gibt, dieses Stück
IT als spezialisierte Leistung genau so einzukaufen, wie man sich ein
Auto kauft (statt es selbst aus Einzelteilen zu bauen) oder sein Mittag
in einem Restaurant nimmt (statt sich die Tiere selbst zu züchten und
zu schlachten bzw. das Gemüse selbst anzubauen und zu ernten). 

Viele Grüße,
Kristian






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