Re: "Überwachungskapitalismus", Google und die FSF(E)

GregorM64 gregor6464hp at posteo.de
Di Jan 15 00:15:05 UTC 2019


Hallo,

On 14.01.2019 13:45, Christian Imhorst wrote:

[...]

> 
> Die FSFE ist allerdings auch eine politische Organisation, die auf ihrer Webseite schreibt:
> 
> "Diese Rechte [Freier Software] stärken andere Grundrechte wie die Redefreiheit, die Pressefreiheit 
> und das Recht auf Privatsphäre."
> 
> Diese Grundrechte sehe ich in Gefahr, wenn die Massenüberwachung mit Hilfe Freier und Open-Source 
> Software durch die genannten Unternehmen weiter zunimmt und dazu von diesen Unternehmen Freie 
> Software durch Open Source-Software mit schwächerem Copyleft ersetzt wird. Freie Software sollte 
> daher wieder stärker vom Open Source-Begriff abgegrenzt werden, da beides meiner Meinung nach 
> unterschiedliche Ziele sind.
> 
> Viele Grüße
> Christian

Warum ist es relevant, ob die Massenüberwachung mit SoftwareLibre-Komponenten durchgeführt wird oder 
nicht? Die Menschen, die diese Massenüberwachung kontrollieren, sind die Haupt-Verantwortlichen. Sie 
könnten dafür auch proprietäre Software nutzen.

Andersherum geht es auch: Ich habe letztes Jahr einen Vortrag gehört, der heraustellte wie toll mit 
SoftwareLibre ein Hilfsprojekt für unterdrückte Menschen durchgeführt wird. Es geht darum, 
Verbrechen elektronisch zu dokumentieren. Das Projekt hätte allerdings ähnlich gut mit proprietärer 
Software durchgeführt werden können. Als Argument pro SoftwareLibre taugte es jedenfalls für mich wenig.

Die Bewertung von SoftwareLibre mit dessen konkreten Verwendungen zu verknüpfen führt zu 
Widersprüchen. (Klar, man könnte versuchen, Überwachungssoftware mit Waffen zu vergleichen: ist die 
Waffe das Übel oder der, der den Abzug drückt? Waffen werden aber auch zur Verteidigung eingesetzt 
etc. Was ist, wenn durch Überwachungs-SoftwareLibre in falsche Hände gerät? etc. etc.). Ich denke 
hier ist jeder Einzelne gefragt, ethische Abwägungen zu treffen (z. B. nicht an Überwachungssoftware 
mitzuentwickeln; eine einfache Bibliothek dagegen kann man vielleicht mit einem Hammer vergleichen, 
der per se eher neutral zu bewerten ist). Und um politisches Engagement kommt man bei diesen Fragen 
nicht herum.

Irgendwo steht bei der FSF, dass SoftwareLibre nicht den Anspruch hat, Allheilmittel zu sein, 
sondern notwendige Voraussetzung und positiver Katalysator für bestimmte Prozesse in einer 
demokratischen Gesellschaft. Auch wenn einmal die Voraussetzung geschaffen wäre (-> die meiste 
Software ist libre oder es gibt sogar ein Gesetz dafür), heißt das ja noch lange nicht, dass alles 
gut ist. Mit Macht und Gier beseelte Personen werden weiterhin versuchen mit allen zur Verfügung 
stehenden Mitteln andere Personen zu unterdrücken. Zum Erhalt von Grundrechten wird vermutlich immer 
gekämpft werden müssen.


On 14.01.2019 11:30, Kristian Rink wrote:

> Bei Facebook oder WhatsApp ist es gleich, ob die Infrastruktur auf Open-Source-Software oder Software Libre aufsetzt - für die Nutzer ändert sich nix. Was bringt es mir, die "Sources für Facebook" zu haben und nutzen zu können, wenn ich keine Nutzer darüber erreiche? 

Nicht viel. SoftwareLibre auf Facebook-Servern schützt die Rechte der Facebook-Serverbetreiber, aber 
nicht der Nutzer von Facebook. Daher gibt es ja z. B. die AGPL, weil am Ende ist relevant, dass das, 
was der einfache Bürger an Software nutzt, von anderen Menschen unabhängig kontrolliert werden kann, 
damit böswillige Funktionen dort gar nicht erst erscheinen oder einfach wieder ausgebaut werden können.

> Was hilft es, Sources der Software zu bekommen, die ändern und auch geändert weitergeben und betreiben zu dürfen, wenn die an konkrete Hardware gebunden ist und an keiner Stelle gesagt ist, SoftwareLibre nur auf Hardware betrieben werden darf, auf der ich ohne Probleme auch modifizierte Varianten derselben Software fahren kann? 

Nichts. Aber das Problem ist als solches schon länger bekannt :) Und es widerspricht dem Geist von 
SoftwareLibre:

- https://en.wikipedia.org/wiki/Tivoization
- https://www.gnu.org/proprietary/proprietary-tyrants.en.html

Gruß

Gregor



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