Re: "Überwachungskapitalismus", Google und die FSF(E)

Kristian Rink mail at zimmer428.net
Mo Jan 14 10:30:45 UTC 2019


Hallo auch,

Am 14.01.19 um 10:41 schrieb Christian Imhorst:
> 
> Das ist jetzt eine nicht weiter durchdachte These von mir, die ich zur 
> Diskussion stellen möchte: Der Siegeszug und die Verbreitung eines 
> freien Betriebssystems hat zu mehr Unfreiheit geführt bzw. führt immer 
> noch dazu.
> 

Ja, das sehe ich ähnlich, in mehreren Punkten:

- Die Abgrenzung zwischen "Software Libre" und "Open Source" ist 
problematisch. An vielen Stellen haben wir mehr denn je "Open 
Source"-Code, der aber nicht zwingend "Software Libre" ist und sehr viel 
leichter in potentiell proprietären Produkten und Services untergebracht 
werden kann. Damit habe ich auf einer Seite Nutzer, die "Software Libre" 
aus idealistischen Gründen bauen, und auf der anderen Seite im 
schlimmsten Fall "Open Source" - Communities, die als kostenlose, 
verlängerte Werkbank für proprietäre Entwicklung dienen (möglicherweise 
etwas überspitzt gesprochen).

- An vielen Stellen ist "Software Libre" zwar nützlich, aber geht an der 
Lebensrealität der Mehrzahl der Menschen völlig vorbei. Wenn ich mir 
anschaue, wie viele Leute mit WhatsApp, Facebook, Google, ... überhaupt 
erst einmal in die Lage versetzt wurden, digitale Technologie zu nutzen, 
dann sehe ich eine extrem große Zielgruppe, für die die Freiheiten der 
GPL nahezu irrelevant sind: Das sind Leute, die *nie* in Software 
hineinschauen, geschweige denn diese verändern werden. Das sind auch 
Leute, die nie selbst einen Server von irgendetwas betreiben oder sich 
darüber Gedanken machen wollen, ob es einen solchen braucht. Das sind 
Leute, die nutzen WhatsApp oder Facebook als einen Dienst, der "einfach 
nur" funktioniert und sie Kontakt mit Menschen halten läßt, die ihnen 
wichtig sind. Das bekomme ich mit Argumenten der Privatsphäre schlecht 
und mit Argumenten der Software-Freiheit überhaupt nicht gegriffen. Bei 
Facebook oder WhatsApp ist es gleich, ob die Infrastruktur auf 
Open-Source-Software oder Software Libre aufsetzt - für die Nutzer 
ändert sich nix. Was bringt es mir, die "Sources für Facebook" zu haben 
und nutzen zu können, wenn ich keine Nutzer darüber erreiche?

- Ähnlich: Die ganze Thematik mobiler Geräte. In dem Umfeld gab es von 
vornherein nie die Möglichkeiten, die es immer gab bei PCs und Servern, 
die ja letztlich aus einer Umgebung und Welt kommen, in der die Nutzer 
über lange Zeit selbstverständlich gewohnt waren, ihre Hardware selbst 
zusammenzustecken und mit Software zu versehen. Mit Mobilgeräten ging 
das eher in Richtung Appliance, "verrammelt" und mit darauf 
zugeschnittener, herstellerkontrollierter Software versehen. Dort hat 
die SoftwareLibre- wie auch die OS-Community geholfen, weil die Software 
verfügbar war, darauf aufgesetzt werden konnte und das, was die GPL bei 
Einbettung in proprietäre Software verhindert, wie auch bei 
Cloud-Services (s.o.) bei Hardware total irrelevant ist: Was hilft es, 
Sources der Software zu bekommen, die ändern und auch geändert 
weitergeben und betreiben zu dürfen, wenn die an konkrete Hardware 
gebunden ist und an keiner Stelle gesagt ist, SoftwareLibre nur auf 
Hardware betrieben werden darf, auf der ich ohne Probleme auch 
modifizierte Varianten derselben Software fahren kann?


Ich hab viele Fragezeichen und keine wirklichen Ideen. :/

Viele Grüße,
Kristian


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Kristian Rink
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