"Digitalisierung" mit FLOSS?
Kristian Rink
mail at zimmer428.net
Do Apr 11 06:31:53 UTC 2019
Hallo alle;
Am 10.04.19 um 13:32 schrieb Christian Imhorst:
>
> Denn auf der anderen Seite ist das vorhandene Internet durch Digitale
> Rechte Minderung, bereits vorhandenen Uploadfiltern,
> Überwachungskapitalismus etc., kaputt. Da finde ich den Ansatz der FSF
> richtig, wenn sie sagt, dass ein neues Internet her muss. Eventuell mit
> P2P oder evtl. auch Zeronet.
>
Kein Widerspruch. Mir wäre es auch recht und wichtig, ein neues,
besseres Internet zu bauen. Technologisch glaube ich, daß wir mit
ZeroNet, IPFS und dergleichen ein paar gute Möglichkeiten auf der Hand
haben, die auch richtig "gut" werden könnten, würden wir uns darauf
fokussieren (was ich insbesondere bei sozialen Netzwerken nicht sehe -
dort fließt zurzeit, glaube ich, die Kraft eher in "verteilte Systeme
aus kleinen zentralistischen Strukturen" wie Mastodon oder das gesamte
Fediverse).
Ansonsten: Wir müssen darauf achten, daß viele der Diskussionen, die wir
in der Hand haben, mittlerweile(?) nicht mehr technischer, sondern
gesellschaftlicher Natur sind, weil anno 2019 "das Internet" eine sehr
viel breitere Nutzerschaft hat, die sehr viel heterogener ist als früher
und sehr viel diversere Anforderungen hat. Ja, das Internet ist kaputt,
aber nicht erst durch Uploadfilter oder DRM, sondern schon vorher
gewesen. Einige willkürliche Beispiele:
- Uploadfilter. Ich finde die Idee extrem problematisch, sehe im
Gegenzug aber auch, daß beispielsweise Flickr jetzt genau mit so etwas
beginnen, aus einem klaren Problem heraus: Das Verteilen von Bildern, an
denen man keine Rechte hat, ist auf der Plattform leider seit Jahren
schon ein Problem, und offensichtlich stört sich niemand in der Breite
daran. Gleiches gilt für Hatespeech und "fragwürdige" Inhalte: Ich bin
mit einem Internet großgeworden, in dem es teilweise noch
selbstverständlich war, daß es Newsgroups oder Mailinglisten mit
Moderatoren gab, die illegalen, bösartigen oder schlicht per der
dortigen Regeln unerwünschten Content geblockt oder Nutzer gesperrt
haben. Das ist zurzeit deutlich schwieriger, weil die Nutzermenge sehr
viel größer ist, aber es gibt klar Leute, denen diese Gegebenheiten
schaden. Ich will keine Uploadfilter, aus verschiedenen Gründen, aber
ich sehe, daß sie ins Feld geführt werden als (theoretisch) durchaus
valide Lösung für Probleme, die wir bislang nicht besser gelöst haben.
=> Wir brauchen eine Idee, wir wir in einem globalen, sehr großen Netz
mit Rechten an "Inhalten" umgehen. Wenn ich GPL-Software oder Bilder
unter CC-BY-SA ins Netz werfe, habe ich *natürlich* die
Erwartungshaltung, daß sich jene, die damit etwas tun, an diese meine
rechtlichen Ideen zulässiger Nutzung halten. Wie kann jemand, der etwa
Musik als "all rights reserved" oder auch nur CC-NC-ND auf seiner
Website zum Download oder eben auf CD zum Kauf anbietet, sicherstellen,
daß diese Rechtsvorgabe respektiert wird? Auch Dreck wie DRM ist an
vielen Stellen letztlich nur die Folge des Umstands, daß wir hierfür
keine andere/bessere Lösung haben.
- Überwachungskapitalismus: Auch nervig und potentiell extrem
gefährlich. Gleichermaßen aber hat sich die überwiegende Mehrheit der
Internet-Nutzer offensichtlich still darauf geeinigt, daß digitale
Inhalte nichts kosten dürfen (Paywalls sind auch eher böse als
akzeptiert) und Werbefinanzierung eigentlich der einzige Weg ist, der
derzeit noch bleibt. Im Umkehrschluss werden mit Werbung und Trackern
vollgestopfte Pages mit Adblockern genutzt - und es wird sich noch über
die "dreisten" Anbieter beklagt, die ihren Content nicht ohne Werbung
online, ggfs. gegen Spenden, "verschenken" wollen, sondern die
Notwendigkeit haben, davon Journalisten/Autoren, Fotografen,
Infrastruktur, Server, Bandbreite, ... planbar zu bezahlen. Dasselbe
gilt für Apps in den großen App-Stores: Viele Nutzer schimpfen über
Tracking etwa in Android-Apps aus Google Play, lassen aber teilweise
unter den Tisch fallen, daß es in einer nicht unbeträchtlichen Zahl der
Fälle "kostenlose" Varianten (mit Werbung/Tracking) und bezahlte
Varianten (ohne Werbung/Tracking) gibt. Letzteres scheint aber eine
Option zu sein, die gar nicht erst nicht in Betracht gezogen wird.
Gleichermaßen werden "alternative" App-Stores wie F-Droid in letzter
Zeit wieder und wieder durch die Medien gescheucht als Alternativen zu
Google und Go., die tracking- und werbefrei und natürlich kostenlos sind.
=> Wir brauchen eine Finanzierungsidee für Dienste, Inhalte, ... im
digitalen Zeitalter, in der es auch für Zeitungen, Verlage, Autoren,
Musiker, ... Möglichkeiten gibt, irgendwie von ihrer Arbeit leben zu
können. Momentan dürfen wir sicher sein, viele von denen als "Gegner" zu
haben, weil wir für sie funktionierende Strukturen - an vielen Stellen
leider *durchaus* zugunsten einer vorrangig auf "kostenlos" ausgelegten
Herangehensweise - zerschlagen und keine Alternativen offerieren. Das
ist weder fair noch nachhaltig und wird am Ende, wie wir sehen, zu
Konsequenzen führen, die schlecht sind (Vertreter genau dieser Lobbies,
die grenzwertige Gesetze forcieren; focus.de oder andere
Clickbait-News-Sites, die nur darauf aus sind, mit faktisch *nicht*
recherchierten oder redaktionell bearbeiteten +++NEWS-TICKER+++s Geld
über Anzeigen zu verdienen; ...). Ein fairerer / sinnvollerer Adblocker
im Browser würde nicht auf Seiten die Werbung unterdrücken, sondern über
die *gesamte* Page ein schwarzes Overlay legen mit Text der Art "diese
Site ist tracking-/werbefinanziert, Du möchtest lieber Inhalte
konsumieren, die nachhaltiger und fairer entstanden sind". ;)
- Software: Ich habe im Firmenumfeld mit Google Apps for Enterprises zu
tun. Mag ich nicht, aus verschiedenen Gründen, aber ich muß neidlos
zugestehen, daß Verfügbarkeit, Integration der einzelnen Komponenten,
Nutzbarkeit auch für *völlig* unversierte Endnutzer, ... durch andere
Anbieter und Lösungen unerreicht ist. Konkret der Wechsel bei Kontakten
und Kalendern von eigener ownCloud dorthin war interessant: Plötzlich
ist die Notwendigkeit von Support für Endnutzern in diesen Bereichen
intern faktisch weggefallen. Es gibt keine Probleme mehr -
augenscheinlich funktioniert die Lösung einfach noch, und das
Schlimmste, weswegen man 'mal gefragt wird, ist, warum der eine
Besprechungsraum im Google Calendar noch nicht zu sehen ist. Früher(TM)
war das anders: Mit ownCloud und Thunderbird als Desktop-Client gab es
*beständig* mit Kalendern und Adressen und Synchronisierung dieses Krams
irgendwelchen Ärger, und bei Nutzern, die parallel dazu noch mit
mehreren Geräten (Laptop, Smartphone) unterwegs waren, ging das faktisch
nie. NextCloud (wie ich privat lerne) ist um einiges besser, aber immer
noch Meilen hinter Google. Das ist Mist. Ich weiß, warum das so ist,
deswegen bin ich bereit, dort (mindestens privat) Kompromisse zu machen.
Aber ich verstehe jeden, der nicht imstande oder willens ist, sich
diesen Aufwand auf den Schirm zu holen für eine Lösung, bei der er sich
Freiheit der Software und Autonomie der Daten erkauft mit einer in
Größenordnungen schlechteren bzw. teils überhaupt nicht mehr gegebenen
Nutzbarkeit.
=> Wir brauchen Modelle für "professional grade" SoftwareLibre. Ich
*möchte* einen Dienst wie Google Apps for Enterprises selbst hosten
können. Ich erwarte nicht mal, daß ich den geschenkt bekomme, sondern
wäre durchaus bereit, dafür auch Geld zu bezahlen. Momentan gibt es das
aber in sehr wenigen Fällen; in der Mehrzahl der FLOSS-Projekte erlebe
ich dann Diskussionen in der Art: "Das ist Software, die von
Freiwilligen in ihrer Freizeit gebaut wird und die Du kostenlos nutzen
darfst, also sei dankbar und hab keine Ansprüche". Das ist in vielen
Fällen nicht die Herangehensweise, die man will oder braucht.
Nur meine €0,02 dazu...
Viele Grüße,
Kristian
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