"Digitalisierung" mit FLOSS?
Kristian Rink
mail at zimmer428.net
Di Apr 9 06:26:13 UTC 2019
Hi;
danke für die Gedanken.
Am 06.04.19 um 10:30 schrieb Christian Imhorst:
>
> Ist denn das, was dich umtreibt, dann SaaSS?
>
Jein. Die Antwort ist zweigeteilt. Einerseits: Klares "Ja", SaaS gehört
auf diese Liste. Und SaaS ist ein "Problem", in mancherlei Hinsicht,
aber SaaS ist beherrschbar. Weil: Zumindest in meinem Dunstkreis sind
Leute, die SaaS nutzen, immer noch solche, die sich im Klaren sind über
die Frage, was "Software" und "Software-Hosting" ist, und für die
SaaS-Optionen interessant sind, weil sie entweder helfen, Hosting und
Betrieb von Software wirtschaftlich beherrschbar zu bekommen oder,
solches überhaupt erst zu ermöglichen.
Wir nutzen professionell auch an einigen Punkten SaaS. Warum? Weil wir,
im Raum Dresden, seit mindestens einem Jahr eine weitere Stelle für
Operations/Systems Engineering besetzen müssten, der Markt derzeit
faktisch leer und Selbstbetrieb spätestens mit den
Dokumentations-Anforderungen der DSGVO zumindest für Kleinunternehmen
und kleine Mittelständler durchaus ein Stück aufwendiger geworden ist,
sprich mehr qualifizierte Ressourcen als vorher braucht.
Dann ist es gut, Software wie NextCloud oder Redmine zu haben, die
prinzipiell FLOSS oder zumindest Open Source ist, aber der "offene
Quelltext" ist hier nicht entscheidend. Entscheidend ist im
Zweifelsfall: Die Anwendungen sind komplex, fallen im Zweifelsfall
entweder dann um, wenn die eine Person im Unternehmen, die sie
beherrscht, Urlaub hat oder krank ist, oder fallen in einer Art und
Weise um, in der Reparatur schwer bis nicht möglich ist. Meine Historie
an Own/NextCloud-Updates, die aus unerklärlichen, nicht recherchierbaren
Gründen "schiefgegangen" sind und in einer Neuinstallation (und
mehrstündigen Downtime) endeten, ist leider länger, als ich mir das
wünschen würde.
Auf meine Idee, dieses Problemes Herr zu werden, hab ich für mich das
Etikett "LibreSaaS"[1] geklebt, und das ist der Weg, den wir zurzeit
versuchen, mit unserem lokalen RZ-Dienstleister umzusetzen, zunächst für
uns und idealerweise mittelfristig auch für andere Kunden. Ich sehe
durchaus, daß SaaS in der gegenwärtigen Arbeitsmarkt-Lage und auch vor
dem Hintergrund von Aspekten wie Spezialisierung in allen Gebieten (die
es auch außerhalb der IT gibt) ein langfristig valides Modell ist. SaaS
hat halt den Vorteil, daß ich etwa personelle Ressourcen für
Infrastrukturbetrieb anteilig bezahle, also nicht zwei Administratoren
vor-, qualifiziert und bei Laune halten zu müssen, die sich den Großteil
der Zeit bei mir langweilen und irgendwann abhanden kommen, weil es
anderenorts interessantere Aufgaben gib. Erwartungshaltung wäre, daß ich
es nurmehr "ethisch" vernünftig ordne und mit den richtigen
Anforderungen herangehe: Muss ich auf biologisch und nachhaltig
angebaute Zutaten verzichten, wenn ich nicht selbst koche, sondern mir
im Restaurant Nahrung von einem Experten zubereiten lassen muss? ;)
Das ist für mich aber der einfachere Fall. Der problematischere sind
Services wie beispielsweise AutoDesk BIM360[2]. Dort sieht die Sache
anders aus: Diese werden überhaupt nicht als "Software" wahrgenommen.
Dort ist *klar*, daß das nichts ist, was man lokal installiert und
selbst betreibt. Dort ist Software nur Mittel zum Zweck, aber im Kern
eher irrelevant. Solche Dienste werden bei einer guten Zahl der
beteiligten Kunden auch nicht von einer herkömmlichen IT-Abteilung (=
Leuten, die Workstations und Infrastruktur bereitstellen und pflegen),
sondern von einer eher fachlich gelagerten Abteilung, auf die man
derzeit gern Label wie "Digitalisierungsabteilungen" klebt und die die
Aufgabe haben, den Markt zu beobachten, Lösungen zu beurteilen und zu
werten und eine gute mittel- bis langfristige Strategie zu entwerfen,
wie die Dinge, die man am Markt vorgefunden hat, zusammenpassen können.
Dort ist Selbstbetrieb von Software nur in Ausnahmefällen überhaupt auf
dem Schirm. Dort haben wir alle Arten von Lock-In-Effekten von halbwegs
geschlossenen Kommunikationsplattformen bis hin zu Bindung der Daten an
bestimmte Werkzeuge für Anzeige und Bearbeitung - oder eben schlicht den
Umstand, daß alles auf zentralen Servern (im Falle von AutoDesk BIM360
denen von Amazon) läuft. Diese Wahrnehmung (Service = "Funktion", nicht
Software) geht weiter bei Dingen wie Trello oder Github.
Vielleicht ist das ein domänenspezifisches Problem - aber auch dann
fehlen mir wirklich Ideen, dem zu begegnen. Der einzige denkbare Ansatz,
den ich dort hätte, wäre: $Jemand, der in diesen Dingen sensibilisiert
ist, versucht, solch einen Dienst (der dann sicherlich auch Geld kosten
wird) aufzubauen in einer Art und Weise, die mit FLOSS-Ansätzen
irgendwie verträglich ist. Aber das sehe ich zurzeit überhaupt nicht.
Ich sehe eben nur, daß das langfristig für FLOSS durchaus zu einem
echten Problem werden kann...
Viele Grüße,
Kristian
[1]https://dm.zimmer428.net/2018/11/libresaas-revisited/
[2]https://www.autodesk.com/bim-360/
Mehr Informationen über die Mailingliste FSFE-de