Re: Input zu Marktverzerrung durch öffentlichen Code

Stefan ste at fsfe.org
Di Jun 26 07:57:14 UTC 2018


Hallo Erik,

meine laienhaften Anmerkungen zum Thema:

Ich würde zunächst deutlich darauf hinweisen, dass jede(r) den
öffentlich finanzierten Code verwenden, anpassen und in seine eigenen
Produkte integrieren kann, wenn der Code unter entsprechenden Lizenzen
veröffentlicht wird. Insb. wenn der Code unter einer freizügigen Lizenz
steht (z. B. MIT), kann der Code also auch zur Verbesserung /
Erweiterung proprietärer Programme verwendet werden. Diese
Nutzungsmö*glichkeit steht jeder Marktteilnehmerin / jedem
Marktteilnehmer offen. Ich würde hier versuchen den Unterschied zu
Freeware möglichst klar aufzuzeigen. Freeware kann zwar von jedem /
jeder genutzt, aber in der Regel nicht in eigene Konkurrenzprodukte
integriert werden.

An dieser Stelle würde mich auch interessieren, mit welcher
Argumentation Elsterformular veröffentlicht wird. Es gibt bestimmt auch
Marktteilnehmer(innen), die gerne eine solche Software verkaufen würden.
Anders als bei freier Software können die Marktteilnehmer(innen)
allerdings nicht auf den Quellcode von Elsterformular aufbauen. Die
Marktverzerrung durch die Freeware Elsterformular dürfte somit stärker
sein als bei freier Software, weil für einen Markteintritt zunächst der
Funktionsumfang von Elsterformular nachprogrammiert werden muss, bevor
man zusätzliche Funktionen verkaufen kann.

Für mich stellt sich auch die Frage, in welchem Umfang überhaupt
öffentlich finanzierte Software existiert, die in Konkurrenz zu privat
finanzierter Software steht. Meist dürfte es sich doch bei der Software,
die mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, um Software handeln, für
die der Markt keine passende Lösung bereitstellt (und falls doch, wäre
es interessant, warum man die marktübliche Lösung nicht lizenziert hat).

Viele Grüße

Stefan


On 21.06.2018 14:33, Erik Albers wrote:
> Hallo Alle,
> 
> wir erstellen gerade ein Broschüre für unsere Public Money? Public Code!
> Kamapagne, welche als Entscheidung- und Verständnishilfe für Politiker und
> Entscheidungsträger dienen soll. In dieser Broschüre möchten wir zb
> Missverständnisse zu Freier Software aufklären, positive Beispiele des
> Einsatzes Freier Software anführen und natürlich die unzähligen Vorteile
> Freier Software aufzählen. Ziel ist, dass der Leser bei der Lektüre ein
> umfassendes Verständnis und zugleich valide Argumente zum Einsatz und der
> Förderung Freier Software in der öffentlichen Verwaltung bekommt. Die Länge
> soll zwischen 16 und 24 DinA4-Seiten betragen.
> 
> Eine Seite wollen wir dem Thema "Marktverzerrung/Wettbewerbsrecht"
> (Arbeitstitel) widmen. Es geht darum, dass als Hauptargument gegen die
> Veröffentlichung des Codes staatlich finanzierter Softwareentwicklung häufig
> von Marktverzerrung die Rede ist. Dabei wird vorgeworfen, dass private Akteure
> nicht mit "vom Staat kostenlosen zur Verfügung gestellter Software"
> konkurrieren könnten und so die Wettbewerbsfreiheit eingeschränkt wird.
> Dagegen argumentieren wir, dass die Wettbewerbsfreiheit gestärkt wird, weil in
> Freier Software und Offenen Standards weniger Pfadabhängigkeiten stecken.
> 
> Letztendlich finden wie eine ähnliche Argumentation ("kostenlose staatliche
> Dienste stellen Wettbewerbsfähigkeit privater Akteure in Frage") in vielen
> Sparten. Zum beispiel in der Konkurrenz zwischen zwischen privaten
> Medienakteuren und den Öffentlich-rechtlichen (siehe als Maßnahme hier das
> Depublikationsgesetz).
> 
> Nun hat mir erst letzte Woche wieder ein IT-Manager von BBC erklärt, sie
> versuchen seit längerer Zeit bereits ihre Eigenentwicklungen unter Open Source
> Lizenzen zu veröffentlichen, dürfen dies aber nicht aus den oben angeführten
> Gründen. In der Schweiz hingegen hat dieselbe Argumentation zwar jahrelang für
> Rechtsunsicherheit bei OpenJustitia geführt, hat aber dieses Jahr dann einen
> positiven Ausgang gefunden und Kanton Bern erlaubt fortan die Veröffentlichung
> eigener Software unter freier Lizenz [1].
> 
> Nun die Fragen:
> * Wie können wir die Argumentation, dass staatlich finanzierte Entwicklung
> Freier Software den Wettbewerb zerstört, bestmöglich entkräften?
> 
> * Was gibt es für Argumentationsstrategien, dass Freie Software hingegen den
> Wettbewerb fördert?
> (jenseits der üblichen nicht-Abhängigkeiten)
> 
> * Welch andere Überlegungen können in diesem Kontext eingebracht werden, um
> eine tatsächliche oder gefühlte Wettbewerbsverzerrung auszubalancieren? (zb
> Versorgunspflicht des Staates, Kopplung öffentlicher Gelder an öffentliche
> Güter oder ähnliches)
> 
> * Gibt es noch mehr Beispiele innerhalb Europas, in denen ähnlich wie in der
> Schweiz entschieden wurde, dass die Veröffentlichung Freier Software eben
> nicht den Wettbewerb gefährde?
> 
> Ich freue mich auf euren Input.
> 
> Beste Grüße,
>    Erik
> 
> [1]
> https://netzpolitik.org/2018/schweiz-kanton-bern-erlaubt-die-veroeffentlichung-eigener-software-unter-freier-lizenz/
> 




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