Re: Input zu Marktverzerrung durch öffentlichen Code

Geza Giedke ggiedke at fsfe.org
Fr Jun 22 16:58:57 UTC 2018


Hallo Erik,

[nochmal mit neuem Absender, da der erste Versuch irgendwo haengen
geblieben ist]  interessante Fragestellung. Unten ein paar Gedanken in
Ergaenzung zu Rolands Beitrag:

Erik Albers wrote on 21.06.2018 14:33:
> Eine Seite wollen wir dem Thema "Marktverzerrung/Wettbewerbsrecht"
> (Arbeitstitel) widmen. Es geht darum, dass als Hauptargument gegen die
> Veröffentlichung des Codes staatlich finanzierter Softwareentwicklung häufig
> von Marktverzerrung die Rede ist. Dabei wird vorgeworfen, dass private Akteure
> nicht mit "vom Staat kostenlosen zur Verfügung gestellter Software"
> konkurrieren könnten und so die Wettbewerbsfreiheit eingeschränkt wird.
> Dagegen argumentieren wir, dass die Wettbewerbsfreiheit gestärkt wird, weil in
> Freier Software und Offenen Standards weniger Pfadabhängigkeiten stecken.
 [...]

> Nun die Fragen:
> * Wie können wir die Argumentation, dass staatlich finanzierte Entwicklung
> Freier Software den Wettbewerb zerstört, bestmöglich entkräften?

Zerstoert denn das staatliche Bauen von Strassen den Wettbewerb? Den
Wettbewerb der "Strassenbetreiber" schon - aber dafür schafft es erst
die Grundlage für den fairen und produktiven Wettbewerb von
Transportunternehmen, Lieferanten, Befoederungsunternehmen - all denen,
die die Strassen nutzen bis hin zu pendelnden Arbeitnehmern und nicht
bloss auf dem heimischen Dorfmarkt verkaufenden Bauern.

Software koennte als die Infrastruktur der Informationsgesellschaft
angesehen werden und Freie Software schafft erst den Boden fuer fairen
Wettbewerb zwischen darauf basierenden Dienstleistungen (Installierung,
Wartung, Customization, Verwendung zur Problemloesung, Bugfixes,
Schulungen, Weiterentwicklung, Hardwareverkaeufe usw.)
Dieser Wettbewerb wird zwar (zum Glueck) keine Monopole wie MSFT
hervorbringen, aber viele gute mittelstaendische Arbeitsplaetze.


> * Was gibt es für Argumentationsstrategien, dass Freie Software hingegen den
> Wettbewerb fördert?
> (jenseits der üblichen nicht-Abhängigkeiten)

Freie Software macht den Netzwerk-Effekt (dem sich MSFTs, Facebooks,
Googles dominate Stellung verdankt) *allen* zugänglich; statt in
unproduktive Monopolgewinne (vgl die >300Mrd die MSFT, AAPL, GOOGL usw
zu 0% Zinsen auf der hohen Kante haben) fuehrt das zu schnellerer
Entwicklung und weniger Bugs fuer alle.

nur freie Software erlaubt das Basar-Entwicklungsmodell im
groesstmoeglichen Massstab, mit dem damit einhergehenden Gewinn an
effizienter Entwicklung; (vgl z.B. die Vielzahl von Hardware, auf den
GNU/Linux laeuft mit der von Windows)

Freie, quelloffene Software schafft den effizientest denkbaren Markt,
da alle relevanten Informationen offenliegen und in die Entwicklung,
Ressourcenallokation usw. einfliessen koennen. Erfahrungen und
Verbesserungen, die an einem Programm gemacht wurden, koennen schnell
und unkompliziert anderswo verwendet werden (das Rad muss nicht mehrfach
erfunden werden), Bugs werden schneller gefunden ("with many eyeballs,
all bugs are shallow"), man unterliegt nicht dem "not invented
here"-Effekt...

> * Welch andere Überlegungen können in diesem Kontext eingebracht werden, um
> eine tatsächliche oder gefühlte Wettbewerbsverzerrung auszubalancieren? (zb
> Versorgunspflicht des Staates, Kopplung öffentlicher Gelder an öffentliche
> Güter oder ähnliches)

ich sehe eine grosse Aehnlichkeit zwischen der Freien-Software-Welt und
dem erfolgreichsten menschlichen Unternehmen ueberhaupt, naemlich der
Naturwissenschaft: grob gesprochen (und etwas idealisiert) funktioniert
die Wissenschaft seit der Aufklaerung nach Prinzipien, die denen der
freien Software und insbesondere dem Basar-Entwicklungsmodell aehneln:
Publizieren der neuen Ideen und der zugrundeliegenden Methoden wird
verlangt, jeder kann die Ergebnisse dann nutzen, weiterentwickeln oder
(auch zu wirtschaftlichen Zwecken) verwenden, jeder kann die "Bugs" in
andere Leute "code" (papers) finden und beheben; Kritik is willkommen
und ueblich, inkrementelle Verbesserung, release-early-release-often,
meritokratische Orientierung (Hauptzahlungsmittel ist Anerkennung, nicht
moentaere Anreize).
Niemand stellt (soweit ich weiss) in Frage, dass die staatliche
Forschungsfinanzierung sinnvoll ist und dass in der (trotzdem - oder
meiner Meinung nach eher: gerade auch deswegen) Wissenschaft ein
intensiver und produktiver Wettbewerb herrscht.


> * Gibt es noch mehr Beispiele innerhalb Europas, in denen ähnlich wie in der
> Schweiz entschieden wurde, dass die Veröffentlichung Freier Software eben
> nicht den Wettbewerb gefährde?


kein Gerichtsurteil, aber die ein Regierungsvertreter (der baskischen
Regierung), der "open source" (sic, sorry)  software fuer eine
Schluesseltechnologie fuer sein Land haelt:
https://www.librecon.io/open-technologies-are-strategic-for-the-future-of-basque-industry-2/?lang=en

Gruesse
 Geza



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