Interview "Warum unsere Schulen NICHT auf Microsoft (oder Apple) setzen sollten"

Bernd Wurst bernd at bwurst.org
Do Mai 4 10:07:55 UTC 2017


Hallo.

Ich bin in der Materie mittelbar drin weil meine Frau Lehrerin an einem
Gymnasium in Ba-Wü ist.


Am 04.05.2017 um 10:30 schrieb T. Schilde - Firetech Consulting:
> Seid Jahren betreue ich eine Schule die mittlerweile zu 100% von MS auf
> Linux migriert ist. Und zwar sowohl was den Lehrbetrieb für die Schüler
> (IT Raum, PCs in den Unterrichtsräumen) als auch die Verwaltung
> anbelangt.

Bei uns muss man Abi-Korrektur-Ergebnisse in eine Tabelle eintragen, die
Excel-Makros enthält. Die Makros erstellen dann standardisierte
Druckbögen. Eine alternative Abgabeform ist nicht vorgesehen. Treten
solche Fälle bei euch nicht auf?

Bei uns daheim habe ich extra für solche Sonderfälle eine virtuelle
Maschine.


> So gut das klingt so vielfältig sind die Probleme, denn trotz
> immer wieder gemachten Angebotes zur Schulung bzw. zu Grundkursen (viele
> Lehrer stehen mit IT auf dem Kriegsfuss, egal welches OS) wird dieses
> Angebot seitens der Lehrer mit dem Verweis auf die zu knappe verfügbare
> Zeit immer wieder abgelehnt. 

Seit ich indirekt beteiligt bin, weiß ich was "die knappe Zeit" wirklich
bedeutet und das Argument ist wirklich nicht vorgeschoben.

Es gibt aber noch mehr:
Eine gewisse Menge Lehrer verzichtet wenn möglich auf EDV. Da werden
Arbeitsblätter "zusammenkopiert" [1] und fertige Handout-Sammlungen von
den Verlagen gekauft. So kommt keine Routine im Umgang mit dem Werkzeug
"Computer" auf.

Dann gibt es aber noch das zweite Problem und das sind die Materialien
bzw. deren Lizenzierung. Es ist ja erstmal untersagt, als Käufer eines
Buchs dieses für jemand anderen zu kopieren. Jetzt gibt es für Lehrer
diese Sonderregelungen, dass sie "Auszüge" für den eigenen Unterricht
verwenden dürfen. Das ganze Buch kopieren geht nicht, was ist also
"auszugsweise"? Und wie ist es mit Veränderungen? Und dann der Hammer:
Digitale Kopien auf dem Rechner speichern darf man generell gar nicht.
Wenn man es also einscannt, hat man bereits gegen das Nutzungsrecht
verstoßen.

[1]: In der Tat haben wir einen Kopierer zu Hause und meine Frau macht
das auch so: Buchseiten kopieren, ausschneiden, Mosaik auf den Kopierer
legen, nochmal kopieren. Wir haben es mehrfach ausprobiert, mein
IT'ler-Herz kriegt jedes Mal fast nen Infarkt aber es ist so wirklich
deutlich schneller als mit digitaler Bildbearbeitung. Und dazu noch das
rechtliche Problem.

Weil: Als Beamter bist du ja auch sehr angreifbar wenn du wissentlich
unrechtmäßig handelst.

Soviel dazu, das bringt nämlich einerseits, dass viele Lehrer den Sprung
ins Digitale nie vollständig gemacht haben. Andererseits sind die
Zusatz-Dienste der Verlage auch Word-Dateien und Windows-Programme, wie
du unten schreibst.


> Die darauf befindliche Lernsoftware
> findet kein Interesse - statt dessen versucht man immer wieder irgendwie
> die Lernsoftware der Verlagshäuser zum Laufen zu bringen.........weil
> diese ja "kostenlos" von den Verlagen zur Verfügung gestellt wird und so
> schön zu den Lerninhalten der Bücher passt. 

Ich finde das ein spannendes Thema. Als ich vor einigen Jahren freie
Lernsoftware gesehen habe, konnte ich auch durch die rosarote
FSFE-Fellow-Brille immer noch erkennen, dass die Software Grütze ist.

Also nimmt der Lehrer lieber die proprietäre Grütze vom Verlag, als eine
andere Grütze weil bei letztem müsste er sich ja nicht nur einarbeiten
sondern auch noch rechtfertigen.

Auf meiner Liste der freien Software die für den Unterricht was taugt,
blieb damals nur GeoGebra übrig und das ist seither teilweise unfrei
geworden. :(

Ist die Situation denn besser geworden?


> Nur sehr wenige Lehrer interessieren sich für die
> Möglichkeiten der freien Systeme und schließlich steht ja auch keine
> Firma dahinter die mit Werbemitteln um sich wirft oder zu "Seminaren"
> mit Catering einlädt.......

In meinem Umfeld war noch nie ein Verlag mit Schulung oder gar Catering
unterwegs. Es war vielmehr schon mehrmals so, dass die Schule neue
Bildungspläne bekam und es maximal ein Buch auf dem Markt gab, das diese
rechtzeitig umgesetzt hat. Da erübrigt sich eine Bewertung der Inhalte
sondern man muss das eben nutzen.


> Ich bin mittlerweile (nach rund 6 Jahren) sehr desillusioniert was die
> Hoffnung anbelangt, dass Lehrer die Vorteile von OpenSource begreifen
> oder sich auch nur Ansatzweise für diese Problematik interessieren. Ja,
> einige wenige schon, aber viel viel zu wenige!

Die Verlage haben schlichtweg zu viel Macht. Siehe die Ausführungen zum
Copyright oben. Würde das Geld, das hier regelmäßig direkt oder indirekt
an die Verlage fließt für die Schaffung offener Lehrmaterialien
verwendet werden, dann sähe die Lehrwelt komplett anders aus. Lehrern
wurde in den letzten Jahren immer eingebläut, dass man bloß nichts
einscannen darf und bloß nichts kopieren darf. Der Geniestreich des
Schultrojaners hat das Vertrauen in die EDV dann auch nicht weiter
gesteigert.


> da kommt demnächst der nette Vertreter vom XYZ-Verlag
> und wirft mit ein paar CD's um sich, deren schlecht programmierte
> Programme dann wieder nicht unter Linux oder Wine zum laufen zu bringen
> sind und schon ist das System Sch**ße!

In letzter Zeit sehe ich zwei Arten von Software hier bei uns im Haus:
- Lehrmittel-DVDs, die eigentlich nur PDF-, DOC- und HTML-Dateien
enthalten aber eine EXE als grafisches Frontend weil die Inhalte-Dateien
nur mit kryptischen IDs benannt sind. Meine Lösung war ein Script, das
mit "strings" und Konsorten die Dateien durch geht und ordentlich
benennt. Jetzt braucht hier keiner mehr das grafische Frontend.

- Der Klett-Verlag vertreibt seit letztem Jahr den "Digitalen
Unterrichtsassistent". Das interessante daran ist, dass das eine
Browser-Anwendung ist, die auch komplett unter Linux läuft. Leider haben
die bei der DVD-Produktion die Dateinamen verkackt, so dass es in einem
Case-Sensitive-Betriebssystem eben doch nicht geht. Aber nachdem ich das
behoben hatte, läuft das Ding bei uns. Natürlich hat der Verlag außen
drauf geschrieben, dass es Windows erfordert. Eine entsprechende Mail an
den Verlag, dass das unter Linux laufen würde wenn man die Dateinamen
nicht versiebt hätte, blieb unbeantwortet.


Gruß,
Bernd


-------------- nächster Teil --------------
Ein Dateianhang mit Binärdaten wurde abgetrennt...
Dateiname   : signature.asc
Dateityp    : application/pgp-signature
Dateigröße  : 819 bytes
Beschreibung: OpenPGP digital signature
URL         : <http://lists.fsfe.org/pipermail/fsfe-de/attachments/20170504/c7121dd7/attachment.sig>


Mehr Informationen über die Mailingliste FSFE-de