Re: Wann ist es legitim, die vier Freiheiten einzuschränken?

willi uebelherr willi.uebelherr at gmx.de
Fr Mär 31 16:38:47 UTC 2017


Lieber Michael,

du hast in meiner wahrnehmung die problematik sehr gut gefasst. Meinen 
dank dafuer.

Lieber Uwe,

wenn du schreibst:
"Sorry, aber das ist mir zu platt.", dann kann ich das natuerlich auch 
auf deinen hochverehrten Adorno anwenden und damit auch fuer deine 
interpretation, weil du dich darauf beziehst.

Es hilft nichts. Wir muessen schon selbst eine klarheit finden.

Nehmen wir die Software. Eine ausfuehrungsanweisung fuer prozessoren, 
die eingebettet sind in ein system verschiedener einheiten mit 
unterschiedlichen funktionen, nach innen und nach aussen gerichtet. Wir 
bedienen uns dieser einheiten, um daten zu generieren oder zu 
verarbeiten, die dann fuer uns anwendbare funktionalitaeten 
repraesentieren. Wir arbeiten ja nicht mit den daten selbst, sondern 
immer mit ihrer interpretierbaren repraesentation.

Wir befinden uns in einem informellen raum, der keine materielle instanz 
kennt. Das aendert sich erst, wenn ueber unsere interpretation 
materielle prozesse, von polizei/militaer-aktion bis ventil, entstehen.

Software selbst kommt aus einem freien raum. Sie entstand in 
oeffentlichen einrichtungen, universitaeten und deren forschungs und 
experimentellen umgebungen, wo die datenverarbeitung mit 
datenverarbeitenden systemen ihre formen annahmen. Die datenverarbeitung 
selbst ist ja uralt.

Die methoden der datenverarbeitung, die algorithmen, sind ja auch sehr 
alt. Es geht also bei software nur um eine andere instanziierung in 
einem materiellen system.

Wenn wir dem folgen koennen und wollen, dann kann Software niemals etwas 
neues sein. Schon von daher ist eine private aneignung in form von 
Patenten (z.b. CR/LF von IBM als einfaches beispiel) oder Lizenzen, dem 
verteilungsrecht der nutzung, ausgeschlossen. Und dies wird erweitert 
wenn wir erkennen, dass die inneren methoden von vielen anderen, 
zeitgleich oder vorher, erarbeitet und angewandt wurden.

Ich nehme an, weil du das zumindest ahnst, weichst du auf eine "platte 
Form zur Diskussion um Freiheit" aus. Das ist ja immer die einfachste 
loesung. In der begruendung fuer geldsysteme ("fiat" geld, "es werde" 
geld aus dem lateinischen) findet ja das gleiche statt. Oder in allen 
diskussionen um repraesentative politische systeme, staat und 
gewaltapparate. Alles dinge, die fuer eine person, ausgestattet mit 
verstand, um ihn anzuwenden, voellig irrational sind.

Du willst ueber konkrete restriktionen bei nicht-freier software reden? 
Dann tue es. Wenn eine software nicht frei ist, koennen wir sie nicht 
studieren. Nicht ueberpruefen. Nicht ihre maengel aufloesen. Nicht ihre 
funktionalitaet unseren anforderungen anpassen. Nicht selbstbestimmt 
anwenden. Was gibt es wichtigere restriktionen als jene?

Fuer uns kann es ja noch andere gruende geben. Die massive 
dezentralisierung oeffnet das grosse potential, das sich in kleinen und 
lokalen einheiten optimal entfalten kann. Zentralisierte strukturen 
zerstoeren und/oder blockieren dieses potential.

Diese sozialen prozesse im umgang mit datenverarbeitenden systeme setzen 
notwendig die freie hardware voraus oder machen sie notwendig. Wenn wir 
damit beginnen, oder mehr und mehr tiefer eintauchen im umgang mit 
datenverarbeitenden systemen, dann verstehen wir immer besser, welcher 
unsinn dort implementiert wird. Und sehr schnell erkennen wir, dass dies 
zumeist von aussen aufgezwungen wird. Und wir werden fragen, wer hat 
denn nun solche interessen und kann sie erzwingen?

Michael hat voellig recht wenn er schreibt:
"Daher mein Appell einmal die Gesellschaftsvisionen offenzulegen ...".

Weil da liegen die intentionen und motivationen der einzelnen akteure. 
Die "platte Propaganda" dient nur der verschleierung.

mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay


On 31/3/2017 10:23, Dr. Michael Stehmann wrote:
>
> Hallo,
>
> über Freiheit nachzudenken und zu diskutieren, ist in Bezug auf ein
> soziales Wesen, wie den Menschen, gar nicht so einfach. Hinzukommt noch,
> dass wir derzeit doch recht stark auf die Gesellschaft anderer Menschen
> in verschiedener Hinsicht angewiesen sind.
>
> Daher mein Appell einmal die Gesellschaftsvisionen offenzulegen, auf
> deren Basis man hier argumentiert, beispielsweise pro und contra
> Eigentum, Urheber- oder Patentrecht etc..
>
> Freiheit hat IMO auch zwei Richtungen, was zu beachten ist, damit man
> sich nicht missversteht.
>
> Freiheit von ...
>
> beispielsweise Hunger, Not, Willkürherrschaft, Ausbeutung etc.
>
> und
>
> Freiheit zu ...
>
> beispielsweise zum Studium des Quellcodes, zur Weitergabe von Software,
> zur beliebigen Nutzung derselben etc.
>
> Insoweit hat IMO Freiheit sowohl "negative" als auch "positive" Aspekte.
>
> Ein Beispiel findet sich im BGB (§ 903):
>
> "Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte
> Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere
> von jeder Einwirkung ausschließen."
>
> Da findet sich zunächst der "positive" Aspekt ("nach Belieben
> verfahren") und sodann der "negative" ("andere von jeder Einwirkung
> ausschließen" - Abwehr von Eingriffen Dritter).
>
> Gruß
> Michael
>


-------- Forwarded Message --------
Subject: Re: Wann ist es legitim, die vier Freiheiten einzuschränken?
Date: Fri, 31 Mar 2017 10:11:42 +0200
From: Uwe Altmann <uwe.altmann at altsys.de>
To: fsfe-de at lists.fsfe.org

Hi Willi

Am 30.03.17 um 21:00 schrieb willi uebelherr:
 > Wenn ihr ueber lizenzen sprecht, egal jetzt welche, dann akzeptiert 
ihr den allgemeinen
 > ausschluss im ersten schritt. Weil ohne diesem akt ist keine 
selektive vergabe von
 > nutzungsrechten moeglich.
 >
 > Dem steht das "copyleft" gegenueber. Also von vornherein oeffentlich 
und frei. Ohne
 > einschraenkungen. Auch fuer die verwendung fuer etwas, was wir selbst 
grundsaetzlich
 > ablehnen.
 >
 > Wir koennen einen freien raum nicht durch selektion auf uns genehme 
freie mitglieder oder
 > anwendungen erzeugen. Wenn wir wir einen freien raum erreichen 
wollen, dann nur ueber die
 > befreiung von allen restriktionen.

Sorry, aber das ist mir zu platt.

1. Auch die GPL verbietet eine Menge Dinge wie z.B. Weitergabe der 
Software ohne Nennung der Lizenz. Oder die Veränderung der Lizenz. Nach 
Deiner Definition schränkt sie damit Deine Freiheit ein. Du merkst, wo 
das hinführt?

2. "Freiheit ist einzig in bestimmter Negation zu fassen, gemäß der 
konkreten Gestalt von Unfreiheit" (oder einfacher: Freiheit ist /nur/ da 
beschreibbar, wo sie eingeschränkt wird.) Hat zumindest Adorno gedacht - 
und der war definitiv klüger als ich es je sein werde. Soll sagen 
"Freiheit" oder gar "Grenzenlose Freiheit" (eigentlich ein
Pleonasmus) ist nicht beschreibbar - nur Ihre Einschränkungen. Reicht 
auch meistens.
Sinnvoller als über "befreiung von allen restriktionen" zu reden wäre, 
sich vielleicht zwei bis drei davon vorzunehmen - wenn die dann erledigt 
sind, sehen wir weiter :-)

Mit freundlichen Grüßen
Uwe Altmann




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