Re: "eine neue Lizenz für Open-Source Saatgut"

willi uebelherr willi.uebelherr at gmx.de
Mi Apr 26 22:40:40 UTC 2017


Liebe freunde,

hier die antwort von David. Grandios. Dass er so manches anders sieht, 
liegt doch nahe und wir brauchen die Vielfalt. Sie ist das Leben. Die 
monotonie ist der tod.

Lieber David,

ich war ja begeistert, deine kritische reflektion zu lesen. Das hatte 
ich tatsaechlich nicht auf der FSF-de-liste erwartet. Gut, ein vorurteil.

"Dass sich gerade das Rationale langfristig durchsetzen wird, ist noch
nicht unbedingt klar."

Wir haben andere bedingungen. Technisch sind wir in der lage, die 
verbindung jeder person mit jeder anderen person auf unserem planeten 
herzustellen. Und das ohne zwischenschicht wie private oder staatliche 
instanzen. Die vorraussetzung ist nur, dass wir es selbst organisieren. 
Also private oder staatliche strukturen aus der telekommunikation 
entfernen. Nur die lokalen netze, die gemeinden, klein bis gross, 
agieren und verbinden sich.

Diese moeglichkeit gab es noch nie. Die menschen waren auf 
vermittlungsinstanzen angewiesen. Sowohl im technischen wie im 
inhaltlichen. Auf dieser grundlage entstanden die medien. Filter und 
Selektion.

Insofern sollten wir erstmal anfangen, diese moeglichkeiten auch zu 
nutzen. Da muessen wir dann nicht mehr klagen und jammern. Einfach 
selbst aktiv werden.

Zur zeit als wert-aequivalent.
"Das ist so nur halb richtig. Ich glaube, es ist sehr schwer bzw
unmöglich, den gesellschaftlichen Beitrag zu messen."

Wir muessen nicht messen, wenn wir keine "Erbsenzaehler" sein wollen. 
Wir koennen es.

Das wesentliche ist, dass wir die spekulativen wertzuordnungen 
unterschiedlicher taetigkeiten aufloesen. Alle taetigkeiten, die 
nuetzlich und notwendig sind, wenden wir an. Allen unsinn vermeiden wir.

So lommen wir auch dazu, alle militaerischen und paramilitaerischen 
strukturen und deren infrastrukturen aufzuloesen. Und ebenso diese 
parasitaeren staatlichen monsterstrukturen. Wenn wir dem folgen, bleibt 
nicht mehr viel uebrig.

Verbunden mit der beteiligung aller, sofern sie gesundheitlich dazu in 
der lage sind, reduziert sich der allgemeine mittlere aufwand auf unter 
10 stunden / woche. Es ist klar, dass wir, abhaengig von der taetigkeit, 
verschiedene zeitverteilungen anwenden. Wir koennen auch mehrere wochen 
konstant durcharbeiten und sind dann mehrere monate frei. Das ist 
wichtig in allen konstruktiven bereichen.

Insgesamt haben wir wieder zeit, uns dem studium und den experimenten 
zuzuwenden. Oder eben andere dinge zu tun.

"Geld? Hast du vermutlich nicht im Sinn gehabt, aber auch das ist
teilweise Mangelware und deshalb nicht zu vernachlässigen."

Ja, das geldsystem habe ich bisher noch nicht angesprochen. Es ist eine 
farce, eine fata morgana, ein billiges theater.

Wir koennen beliebig geld selbst entstehen lassen. Nur es hilft nicht. 
Weil geld arbeitet nicht. Als abstraktes wert-aequivalent ist es leicht 
handhabbar. Aber nur unter vermeidung der spekulativen wertzuordnung.

Die einzige moegliche objektive wertzuordnung ist die zeit. Weil nur aus 
unseren taetigkeiten etwas sinnvolles entstehen kann. Aber dann brauchen 
wir keine virtuelle waehrung und haben den vorteil, dass die 
zeiteinheiten ueberall gelten koennen.

Ob wir dafuer papierzettel verwenden, bleibt den menschen in ihrer 
lokalen umgebung ueberlassen. Die konsequenz ist, die reichen koennen 
sich ihre Dollars und Euro an die wand kleben. Niemand will diesen dreck.

"Das hat übrigens auch Stallman gemacht, mit beachtlichem Erfolg. Deine
Kritik an ihm verstehe ich noch nicht ganz, obwohl ich auch einiges an
ihm kritikwürdig finde."

Das ist natuerlich eine sehr subjektive erfahrung. Ausgangspunkt war, 
dass ich die unabhaengigkeit in der technologie anstrebe und dies nach 
buerokratischen sperren dann in der versammlung ofensiv vertreten 
konnte. R.Stallman's einzige reaktion: Venezuela ist 20-30 jahre zurueck 
und jeder gedanke daran, die hardware selbst zu gestalten und 
herzustellen, ist utopie. Er, der von hardware ueberhaupt keine ahnung hat.

Aber das ist das system, wie die USA in Latein Amerika agiert. Die 
eigenen faehigkeiten und moeglichkeiten werden missachtet. So konnte 
John Kerry das ende der Monroe-doktrin nach 200 jahren verkuenden, weil 
sie real ueberall implementiert wurde. Sie wird nicht mehr gebraucht.

Lateinamerika, von Mexico bis Chile/Argentinien, ist der sklaven 
hinterhof von Nordamerika und Europa. Und das wird taeglich in den 
schulen, universitaeten und oeffentlichen institutionen zelebriert. Und 
selbstverstaendlich in den privaten institutionen.

Das heisst, dass systematisch jede entstehung von selbstaendigkeit im 
keim erstickt wird. Und das zumeist mit staatlichen gewaltsystemen der 
lokalen eliten.

Das ist auch der grund, warum ich mit den staatlichen institutionen 
nicht nur in Venezuela in solch massive konflikte eintrat. Und weil auch 
da fuer mich die freie telekommunikation immer an erster stelle stand, 
und immer mit dem ziel, dass dies aus den gemeinden heraus entsteht, war 
ich notwendig ein feindobjekt. Das fuehrte dazu, dass in den staatlichen 
institutionen der ALBA-staaten das statement umging, dass mit mir nicht 
diskutiert werden darf. Deswegen die blacklists und der ausschluss aus 
allen inneren kreisen von staatlichen projekten wie z.b. in Ecuador beim 
FLOK (Free/Libre Open Knowledge) Society projekt. Ein Mittelklasse 
Mastprogramm.

Richard Stallman faehrt auch auf dieser schiene und will die 
importabhaengigkeit in LA erhalten. Wenn ich sehe, wie die Latinos heute 
in den IGF (Internet Governance Forum) strukturen der UN und ISOC 
(Internet Society) listen mit IETF und IRTF agieren, dann ist da Richard 
Stallman nicht allein.

Open Source war der geburtsmodus. Es gab nichts anderes. Dass er nun so 
tut, als waere das sein erfolg ist einfach laecherlich.

mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay


-------- Forwarded Message --------
Subject: Re: [WLANtalk] "eine neue Lizenz für Open-Source Saatgut"
Date: Wed, 26 Apr 2017 11:22:15 +0200
From: David Rabel <david.rabel at gmx.de>
To: fsfe-de at lists.fsfe.org

Lieber Ralf und Willi,

ein paar Anmerkungen:

On 26.04.2017 03:06, willi uebelherr wrote:
> Wir muessen in grossen zeitraeumen denken. Und da wird sich das prinzip
> "Wissen ist immer Welterbe" durchsetzen, weil es rational ist. Das, was
> wir heute sehen, ich laecherliches luegenspektakel.

Dass sich gerade das Rationale langfristig durchsetzen wird, ist noch
nicht unbedingt klar. Menschen handeln oft irrational und stecken
außerdem in vielen Herrschaftsstrukturen, die es ihnen verbieten, sich
für das rational Richtige zu entscheiden, selbst wenn sie es erkennen.


> Mit der geleisteten zeit fuer die realisierung von ideen und
> modellbildungen sind wir eingebettet in ein grosses geflecht von
> beitraegen an gemeinschaftlichen aufgaben. Wir koennen auch sagen, dass
> die meisten menschen in den sogenannten industrialisierten laendern
> parasitaer existieren. Sie tragen nichts bei, obwohl sie einen enormen
> aufwand verursachen.

Das ist so nur halb richtig. Ich glaube, es ist sehr schwer bzw
unmöglich, den gesellschaftlichen Beitrag zu messen.

Ein paar Dinge wie Werbung, Handel, Finanzwesen, etc tragen
gesamtgesellschaftlich nichts bei, da sind wir uns vielleicht einig.
Verfechter des Kapitalismus würden aber vielleicht schon behaupten, dass
sie nötig sind, damit die Wirtschaft überhaupt funktioniert.

Der nächste Punkt wären Militär, Polizei, Richter, Anwälte,
Fahrkartenkontrolleure, etc. Da gehen die Meinungen schon stärker
auseinander, weil nach mehreren Generationen Propaganda in den Köpfen
der meisten Menschen drin ist, man bräuchte die, um die Guten (uns) vor
den Bösen zu schützen.

Wie ist es aber mit dem ganzen Technologie-Sektor? Mehr Technologie
bedeutet, die gleichen Aufgaben könnten mit weniger Aufwand gemeistert
werden. Theoretisch bräuchte doch schon lange keiner mehr hart arbeiten,
wenn man sich die Produktivitätssteigerung der letzten paar Hundert
Jahre mal anschaut. Die gewonnene Produktivität kommt aber scheinbar nur
der Wirtschaft zu Gute. Es gibt noch ein paar Superreiche, aber die
können gar nicht so viel ausgeben, wie sie haben (und reinvestieren mehr
als sie für sich privat ausgeben). Außerdem wächst objektiv in den
Industrienationen der Wohlstand. Aber das äußert sich nur in größeren
Fernsehern und neuen Smartphones, vielleicht noch mehr Reisen und
dickere Autos.
Worauf ich hinaus will: Hat technologischer Fortschritt auf unserem
Niveau für die Gesellschaft irgendeinen Wert? Insbesondere eingebettet
in ein Wirtschaftssystem, das nicht auf das Wohlergehen der Menschen
ausgerichtet ist?

Also ich denke, wir verursachen nicht nur enormen Aufwand, sondern haben
auch eine enorme Produktivität. Parasitär ist es nur insofern, als dass
es unüberlegt und egoistisch ist, aber da ist der Rest der Welt nicht
besser. Gefährlich ist es, weil es immer weiter wächst und dabei nicht
auf das Wohl der Menschen ausgerichtet ist.


> Ich denke, an dieser stelle koennen wir ansetzen. Das ziel ist, dass
> jede person mindestens der gemeinschaft gibt, was sie von ihr nimmt. Wir
> koennen diese bilanz auch auf groessere zeitraeume ausdehnen.

Das halte ich nicht für sinnvoll. Wie oben geschrieben, halte ich es
kaum für möglich, das überhaupt zu bemessen. Und was wollen wir
überhaupt als Grundlage dieser Messung nehmen?

Geld? Hast du vermutlich nicht im Sinn gehabt, aber auch das ist
teilweise Mangelware und deshalb nicht zu vernachlässigen. Wären nicht
die leeren Sozialkassen ein ständiges Theme, würde ich vermutlich schon
lange von Hartz IV leben und etwas sinnvolleres als Lohnarbeit mit
meiner Zeit anfangen.

Beitrag zur materiellen Produktivität? Da müsste jede zweite
Free-Software-Entwicklerin sich mit 30 zur Ruhe setzen können, weil sie
ihren Beitrag geleistet hat. Aber auch hier ist die Verrechnung beinahe
unmöglich. Wie viele Lines of Code kostet ein Haarschnitt? Ohne
irgendwelche wahllosen subjektiven Kriterien (sei es ein freier Markt,
sei es investierte Arbeitszeit) lässt sich das nicht messen.

Beitrag zu einem besseren Leben für alle? Da wird das Aufrechnen noch
unmöglicher. Aber klingt doch am sympathischsten.


Ich bin ja der Meinung, dass Menschen einfach das geben sollten, was sie
für sinnvoll halten und sich absprechen sollten, wer was bekommt. Ich
bin mir sicher, das gibt hin und wieder Streit um die Verteilung, aber
ich bin mir auch sicher, dass dann weniger Leute verhungern müssten und
dass wir auf die meisten "parasitären" Tätigkeiten verzichten könnten,
genauso wie auf grenzenloses Wachstum und die daraus resultierende
Zerstörung der Welt. Und dann würde sich die Frage nicht stellen, ob
Software oder Saatgut frei sein sollte. Dann würde nämlich alles andere
tatsächlich keinen Sinn machen.

Also um es auf den Punkt zu bringen, fühle ich mich da am ehesten im
kommunistischen Anarchismus zu Hause.


> Sollen wir diesen wahn, den wir heute erleben, ernst nehmen? Ihn
> respektieren? Sich uns an ihm orientieren? Sollen wir uns selbst zu
> wahnsinnigen umformen?

Das sind gute Gedanken. Ernst nehmen wahrscheinlich schon. Aber ich gebe
dir Recht, dass wir uns auch nicht zu sehr davon das Hirn umkrempeln
lassen sollten.
Manchmal sollten wir einfach die Welt naiv betrachten und die
Scheuklappen des gerade herrschenden Systems ablegen.
Wirtschaftssysteme, Staaten, etc, das alles ist vergänglich und wir
haben oft deutlich mehr Möglichkeiten, etwas anders zu machen, als wir
denken. Wir müssen uns dessen nur erstmal bewusst werden und auch mal
dickköpfig unsere Vorstellungen umsetzen.

Das hat übrigens auch Stallman gemacht, mit beachtlichem Erfolg. Deine
Kritik an ihm verstehe ich noch nicht ganz, obwohl ich auch einiges an
ihm kritikwürdig finde. Aber sein Handeln halte ich unterm Strich doch
für richtig und wichtig. Ich fände es auch eher bedenklich, wenn ich
alles von ihm toll fände. Ich will Ideen folgen und nicht Menschen.

Viele Grüße
   David

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