Re: "eine neue Lizenz für Open-Source Saatgut"

willi uebelherr willi.uebelherr at gmx.de
Mi Apr 26 07:08:54 UTC 2017


Lieber Ralf,

ich fuehre die diskussion mit der urspruenglichen adressen liste weiter. 
Die thematik ist ja zentral und fuer FreiFunk-Talk bestens geeignet. 
Auch fuer FSFde, um den engen rahmen "Software" etwas zu erweitern.

Dein PS war grossartig:
"meine Fragen und Beispiele lassen sich so ziemlich auf jeden Bereich
übertragen: Wissensvermittlung, Kommunikation, Ernährung, Bildung,
Mobilität/Fortbewegung, etc."

Ich glaube nicht, dass wir die antworten entlang konkreter beispiele 
finden werden. Die erste frage ist ja, agieren wir in einem sozialen 
raum oder in einer sphaere von zusammengehaeuften egoisten. Letzteres 
ist das, was wir haben und das notwendig in die dekonstruktion fuehrt.

Wenn wir also soziale gemeinschaften zur grundlage nehmen, dann ist das 
bestimmende die kooperation. Das ist auch rational, weil wir als 
einzelpersonen nicht existieren koennen.

Das wesentliche ist, dass diese gemeinschaften immer verteilt in grossen 
regionen existieren. Deswegen liegt es nahe, die netzstruktur als 
verbindung zu waehlen und zentralistische und zentralisierende apparate 
und konstruktionen vollstaendig aufzuloesen. Das hilft uns auch, einen 
grossen anteil des aufwands, den wir heute auf uns laden oder geladen 
wurde, zu beenden. Uebrig bleibt ein vernuenftiges mittelmass an 
lebensgrundlagen, das fuer alle gelten kann.

Aber auch da koennen wir massiv den aufwand reduzieren, wenn wir den weg 
der kooperation gehen. Die grundlage hierbei ist, dass das gemeinsame im 
lebensbedarf ueberwiegt. Und dass alle, unabhaengig ihrer spezifischen 
taetigkeiten, diesen grundbedarf haben. Dazu zaehle ich essen und 
trinken, geschuetztes wohnen, thermische und elektrische energie, 
kleidung, materiellen und immateriellen transport. Immateriell ist die 
telekommunikation.

Auf der basis des gemeinschaftlichen wirkens entsteht das, was wir dann 
"Wohlstand" bezeichnen. Diese gemeinschaften sind grundsaetzlich autonom 
und muessen deswegen auch unabhaengig sein, weil sie sonst nicht autonom 
agieren koennen. Das setzt aber immer die oekonomische unabhaengigkeit 
voraus. Hierzu: Oekonomie hat nichts mit geld zu tun. Das finden wir nur 
im Distributionssystem.

Das ist alles keine antwort auf deine fragen. Wir koennen auch keine 
antworten finden, weil sie immer lokal getroffen werden muessen. Die 
menschen im Rheinland koennen keine entscheidungen treffen, die fuer die 
menschen in Brandenburg oder Suedost Bayern geltung haben.

Wie in allen netzwerken treten auch hier die immateriellen 
austauschprozesse in den vordergrund, die wir ueber die 
telekommunikation organisieren. Und wenn wir uns in der struktur an 
unserer lebensweise orientieren, kommen wir notwendig zur verbindung 
lokaler netze, den gemeinden. Das waere dann das erste InterNet.

So naehern wir uns einem wichtigen grundprinzip: Global denken, lokal 
handeln. Das entspricht auch unserer lebensweise.

Wenn wir nun von solchen perspektiven geleitet werden, fuehrt das 
notwendig zum nachdenken, wie wir unsere lokale selbstaendigkeit 
erweitern. Wir konzentrieren uns also auf das, was lokal notwendig ist. 
Und so entsteht sofort ein grosser aktionsraum, den wir irgendwie decken 
muessen. Das wesentliche dabei sind die lokalen technischen 
infrastrukturen, weil sie fuer alles, was wir an materiellen 
lebensgrundlagen beduerfen, eine notwendige bedingung sind.

Das, was du beschreibst, ist ja mehr auf zersplitterung orientiert. Und 
das liegt nahe, weil die lebensweisen selbst zersplittert sind. Solange 
wir die loesung ausserhalb suchen, werden wir keine loesungen finden.

"Wie sähe denn Dein Modell aus bzgl. Verwertung von Lebens-/Arbeitszeit?"

Von "Ver-Wertung" koennen wir nicht sprechen. Aber in jedem materiellen 
resultat steckt die zeit neben den natuerlichen substanzen. Und unsere 
taetigkeiten bemessen wir in zeiteinheiten. Damit ist die zeit selbst 
das aequivalent. Von daher ist es einfach, einen wert-aequivalenten 
austauschprozess zu organisieren. Auch fuer die "Erbsenzaehler".

Tatsaechlich sind wir von unserem naturell her eher tolerant. Und das 
insbesondere dann, wenn uns soziale beziehungen verbinden. Das gilt auch 
fuer austauschprozesse, oder prozesse des gebens und nehmens, nach aussen.

Nach meinen erfahrungen ist das hauptproblem, eine hoechstmoegliche 
oekonomische unabhaengigkeit anzustreben. Das ist aber mehr ein problem 
der sozialen konditionierung und hat nur wenig mit der natuerlichen 
realitaet zu tun.

In den bereichen der technologie wird das besonders dominant. Aber da 
haben wir das netzwerk fuer freie technologie, wo sich alle beteiligen 
und unabhaengig davon alle die resultate nutzen koennen. Das bedeutet, 
dass wir die theoretischen fragen gemeinsam loesen und die praktische 
realisierung immer lokal.

So betrachtet tritt die telekommunikation in den vordergrund. Und da 
sehen wir auch den bruch in der geschichte, weil diese 
netzwerkstrukturen ohne telekommunikation nicht moeglich sind.

Ein grundsaetzliches psychologisches hemmnis ist die orientierung auf 
lieber nehmen als geben oder die indirekte form als skepsis, doch meist 
von anderen ausgenutzt zu werden. Du hast dies ja auch angesprochen. 
Aber das kann sich nur ueber positive erfahrungen aufloesen.

Das, was ich hier beschreibe, sind ja keine neuen dinge. In den letzten 
dekaden war die Pariser Kommune ein derartiger kristallisationspunkt. 
Aber auch die kommunalen bewegungen in Mexico, Ukraine und Spanien, Also 
dass, was wir als praktische anarchistische lebensformen begreifen. Die 
natuerlich immer als die groesste gefahr behandelt wurden und werden.

Im bereich der telekommunikation mit den "Community Networks" koennen 
wir das ja auch gut nachvollziehen. Obgleich ich sage, dass die 
aktivistInnen noch weit von den moeglichkeiten entfernt sind.

Ich wollte in meiner antwort andeuten, dass wir nur ueber allgemeine 
prinzipien einen zugang zu den loesungen der lokalen anforderungen 
finden. In der reduktion auf spezifische lokalitaeten fehlt uns das 
globale gemeinsame.

mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay


On 25/4/2017 22:32, R. Lohmueller wrote:
> Hallo Willi,
>
> vielen Dank für Deinen wirklich sehr ausführlichen Beitrag.
>
> Aber eigentlich hast Du nicht auf meine Frage geantwortet.
>
>>> Wie sähe denn Dein Modell aus bzgl. Verwertung von Lebens-/Arbeitszeit?
>
> Daß der heutige Mensch an und für sich parasitär zerstörerisch mit
> seinem Lebensraum umgeht, stimme ich Dir ganz klar zu.
>
> Bis es jedoch eine "nachhaltige Industrie" für die Ernährung und
> Versorgung der Menschen gibt, wird es wohl noch ein paar Generationen
> dauern.
> In der Zwischenzeit also was?
>
> - die Kleinzelle a la Kibbuz wäre vllt. so ein Ansatz, allerdings wohl
> kaum konkurrenzfähig und immens Raumintensiv.
>
> - Solidarische Landwirtschaft ist auch ein Ansatz. Seltsamerweise habe
> ich das Gefühl, dass man dort noch nicht so richtig weiss, wohin mit den
> Überschüssen der Produktion.
>
> Ich denke viele wären sehr wohl bereit, Wissen gegen Essen und
> Versorgung zu tauschen (von den Raupen "Nimmersatt" einmal abgesehen),
> aber es hapert bei den Konzepten immer an den Stichpunkten Neid und Gier
> und Habsucht.
>
> Ich kenne aus meinem Umfeld einige "junge" Familien, die sich in
> Mini-Tauschprojekten engagieren, meine Backsteine die beim Bau übrig
> waren gegen Deine drei Sack Kartoffeln. Aber sobald es dort um
> Wissenstausch geht ist seltsamerweise sofort Schluss. Nix mit ich bring
> Dir einen Nachmittag was bei und komm' dafür zwei Tage zum Abendessen.
> Wissen hat gefälligst umsonst zu sein - aber die Vermittlung soll auch
> für lau sein?
>
> Also wo sind die Ansätze bzgl. Verwertung von Lebens-/Arbeitszeit?
>
> Solange es noch Geld gibt, gilt das Prinzip der Vergütung von Waren und
> Leistungen. Und deshalb sehe ich es kritisch mit dem Open.
>
> Warum bekommt Alice aus meinem Beispiel oder der private Lehrer,
> Vordenker, Philosoph, Programmierer, Netzwerkguru, etc. keine
> angemessene Vergütung für seine Arbeit?
>
> Open as used with "free speak" heisst eben nicht "free beer".
>
> Man/frau muss inzwischen acht geben, bei Veröffentlichungen nicht von
> Trollen und Nasenbären angepöbelt und verhämt zu werden; ach ja von den
> allseits geliebten Nimmersatt "da muss aber das und das feature auch
> noch rein und zwar zügig!" abgesehen.
>
> Also jetzt was,
>
> Open und free und ausgenutzt?
>
> oder
>
> Open mit Lizenz die ignoriert wird?
>
> oder hast Du Beispiele zu
>
> any other genius ideas?
>
> Das soll jetzt kein Angriff gegen die "Open *" Kampagnen sein sondern
> sind ernst gemeinte Fragen.
>
> gruss
> ralf
>
> ps: meine Fragen und Beispiele lassen sich so ziemlich auf jeden Bereich
> übertragen: Wissensvermittlung, Kommunikation, Ernährung, Bildung,
> Mobilität/Fortbewegung, etc.
>




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