Re: Makroprogrammierung für Officeprogramme als erste Programmiererfahrung im Informatikunterricht

Erik 'egnun' Grun egnun at gmx.de
Mo Mai 23 04:12:41 UTC 2016


Hallo Liste,

danke für die vielen Rückmeldungen!
Es waren dann doch ein paar mehr als erwartet. :D

Hallo Bernd,

Am 20.05.2016 um 12:09 schrieb Bernd Wurst:
> Am 19.05.2016 um 20:36 schrieb Erik 'egnun' Grun:
>> Daraufhin kam mir der Gedanke: Wäre es eigentlich vertretbar, wenn
>> man an Schulen im Informatikunterricht statt mit Java, mit
>> Makroprogrammierung für (Libre)Office-Programme anfangen würde.
> [...]
>> Ein weiteres Problem bestünde darin, zu entscheiden welche
>> Office-Software, man dann für den Informatikunterricht nähme.
> 
> Hier hätte ich die größten Bauchschmerzen bei diesem Thema.
> Bisher ist es so, dass in der Praxis in den meisten Schulen Microsoft
> Office installiert ist und bei manchen dann noch OpenOffice/LibreOffice
> zusätzlich.

also bei meinen Überlegungen bin ich von der Schule ausgegangen, mit der
ich derzeit zu tun hab.
Die setzt fast ausschließlich auf OpenOffice, allerdings gibt es noch
ein paar Räume, in denen zusätzlich auch MS Office installiert ist.

> In den guten Schulen ist sogar ausreichend Lehrerkompetenz
> vorhanden um den Schülern die Arbeit mit beiden Programmen gleichermaßen
> innerhalb eines Unterrichts zu ermöglichen. Für diese guten Schulen wäre
> deine Idee eher ein Rückschritt.

Vorsicht, wir müssen unterscheiden zwischen Informatik und den anderen
Fächern.
Klar ist es von Vorteil, wenn die Geschichtslehrerin den SchülerInnen
bei der Recherche im Computerraum auch technisch helfen kann. (Eben weil
sie die Office-Programme bedienen kann)
Aber es ist etwas anderes wenn wir davon reden, dass den SchülerInnen
im Informatikunterricht verschiedene Programmierkonzepte beigebracht
werden sollen.

> Bei der normalen Nutzung eines Office-Programms ist der Unterschied,
> wenn man mal ehrlich ist, nicht besonders groß. Man kann mit den beiden
> bekanntesten Systemen gleichermaßen klar kommen, wenn man sich mal 5
> Minuten umsieht, was wo zu finden ist. Ein Lehrer kann also von Schüler
> zu Schüler gehen, egal welches Programm er einsetzt. Auch die
> schultypischen Tabellen-Formeln sind durchaus machbar.
> 

Ich habe eher das Gefühl, dass die Realität so aussieht, dass selbst
ein nicht unwesentlicher Teil der LehrerInnen sich selber
erst "mal [mindestens] 5 Minuten" umsehen muss,
bevor sie wissen wo was zu finden ist.

> Bei der Makro-Programmierung fällt das weg. Kaum ein Lehrer kann im Kopf
> so schnell von einer auf die andere Programmiersprache / API umschalten.
> D.h. der Unterricht wird dann mit einer der Lösungen gemacht und die
> Wahlfreiheit fällt weg.
> 

Im Informatikunterricht ist es eh so, dass alle SchülerInnen
mit der gleichen Software arbeiten, um die gleichen Sachen zu
programmieren.
Als wir das erste Mal im Unterricht mit Datenbanken gearbeitet
haben, haben wir mit OpenOffice Base gearbeitet.
Beim Programmieren und beim erstellen von Webseiten haben auch fast alle
mit den gleichen IDEs gearbeitet. Da gab es nur wenige Ausnahmen, die
dann mit anderen Programmen gearbeitet haben.
Aber am Ende haben alle die gleiche Programmiersprache benutzt.

Also, wenn man mit Makroprogrammierung anfangen würde, dann würden eh
alle mit dem gleichen Office arbeiten.

> Die Wahlfreiheit fällt zwar auch bei anderen Formen des
> Programmier-Unterrichts weg, aber wenn das eine auch für andere Zwecke
> genutzte Alltags-Software betrifft, ist die gefühlte Frustration größer.
> Dadurch werden diejenigen klar bevorzugt, die die vom Lehrer gewählte
> Software auch selbst gewählt hätten. Weil diese Schüler dann eine
> bekannte Umgebung haben und die anderen nicht. Vielleicht hat jemand
> schon vorher Makros programmiert und das Wissen ist dann entweder
> förderlich oder hinderlich, je nach dem unter welcher Umgebung der
> Unterricht gemacht wird.

Das wirst du aber nie verhindern können, da sich die SchülerInnen ja
bereits vor dem Beginn des Informatikunterrichts informieren können,
welche Programmiersprache/-umgebung/etc. eingesetzt werden wird.
Selbiges können natürlich auch gewissenhafte Eltern tun vor der
Anmeldung des Kindes an einer Schule.

> Nebenbei bemerkt: Ich habe im Informatik-Studium zwei mal das erste
> Semester erlebt, einmal als Student und einmal als Tutor. Bei meinem
> Jahrgang wurde mit C++ gemacht (weil: das muss jeder Informatiker
> lernen, entweder vor oder im Studium), der nächste dann mit Scheme. Ich
> fand die Variante mit Scheme viel besser, weil das kannte keiner vorher.

Siehst du, jetzt weiß ich, dass ihr mit Scheme gearbeitet habt und
kann es rechtzeitig lernen. (Abgesehen davon, dass ich mir eh nochmal
ein Lisp angucken wollte.^^)

> Kaum ein Schüler wird sich vor dem Studium überhaupt mit einer
> funktionalen Programmiersprache beschäftigt haben. Daher waren zuerst
> mal alle Studenten gleich. Vorheriges Halbwissen war nutzlos. Das hat
> den Unterricht (ich nenn das im ersten Semester mal so) enorm
> begünstigt. 

"Begünstigt" finde ich eher relativ, weil selbst wenn eine Schülerin
schon Erfahrungen hat, dann ist das doch eher das Signal für die
Lehrerin der Schülerin fordernde Aufgaben zu stellen.
(Ich möchte aber dazu sagen, dass ich diesen Ansatz mit "alle sind
gleicher vom Wissensstand her, da eine eher unbekannte
Programmiersprache eingesetzt wird" auch sehr positiv sehe)

> Zumal man für C++ für jede Aufgabe eine mehr oder weniger
> brauchbare Lösung im Netz findet. Bei Scheme ist der Fundus nicht so
> groß und die Lösungen sind meistens von Leuten die auch wirklich
> programmieren können.
> 

Was nicht ist,… ;)

> Als Schüler wollte ich immer was lernen was man später noch brauchen
> kann. Mittlerweile bin ich der Meinung dass es mehr bringt, Konzepte zu
> lernen damit man diese dann später auf seinen Anwendungsfall übertragen
> kann. Auch wenn es unpopulär ist.

Sicher ist es richtig und wichtig Konzepte als solches zu lernen,
aber du hast ja das Konzept nicht weniger gelernt, wenn du es zusätzlich
auch noch direkt angewendet hast.

Also du kannst ja nicht weniger gut mit Bedingungsanweisungen umgehen,
nur weil du ein Makro programmiert hast, dass auf bedingt auf
bestimmtes Nutzerverhalten reagiert.

> 
> Und außerdem: Dieser Ansatz würden den Schülern ja suggerieren dass
> Makros was gutes seien. Office-Programme können mittlerweile so viel, da
> läuft man Gefahr den Schülern Kram als Makros beizubringen, den man
> eigentlich gar nicht mit Makros machen sollte sondern der auch
> plattformübergreifend funktionieren kann. 

Das ist ein Punkt, den ich gut verstehe.

Vielleicht könnte man dem etwas entgegensetzen, wenn Lehrkräfte
ausreichend gut ausgebildet sind, um so etwas zu vermeiden bzw. auf
solche Aktionen von SchülerInnen eingehen zu können.
Also wenn eine Schülerin in den Unterricht kommt und ihr tolles, neues
Makro zeigt, dass es aber schon als Standardfunktion gibt, dass dann die
Lehrkraft dies entsprechend erklären und zeigen kann.
Wobei das natürlich nur innerhalb des Unterrichts funktioniert.

Andererseits macht es bei Freier Software weniger etwas aus.
Angenommen eine Schülerin interessiert sich über den Unterricht hinaus
noch für Makroprogrammierung und erstellt (z.B. im Auftrag einer Firma)
für ein Freies Programm "Office X" ein Makro.
Nun wird "Office X" nicht mehr unterstützt und das Office wird gewechselt.
Das neue Office wäre wieder Freie Software, dann hat die Programmiererin
immerhin die Möglichkeit sich das Wissen anzueignen,
um den Wechsel zu gestalten.

> Von Lieferanten, Kollegen oder
> Vorgesetzten benutzte Office-Programm-Makros sind eine der größten
> Stolpersteine bei der Wahlfreiheit des Office-Programms in Betrieben.
> 

Ja, das kann ich mir vorstellen.
Allerdings denke ich, dass die Steine um ein vielfaches kleiner sind,
wenn die Office-Software Frei ist.
(Ich habe allerdings kaum Programmiererfahrung)


Viele Grüße

-- egnun



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