Ist die Botschaft von Richard Stallman zu extrem?

Florian Snow floriansnow at member.fsf.org
Mo Feb 29 17:44:16 UTC 2016


Hallo zusammen,


Theo Schmidt <sus2006 at bluewin.ch>, Monday, 29 February 2016, 16:06:58 
CET:
> Es scheint mir nun, dass seine Botschaft selbst in unseren Kreisen
> nicht ernst genommen wird,

Teilweise stimme ich dir da zu.  Es setzt nicht jeder jede Warnung so 
um, dass die Gefahr für ihn nicht mehr besteht.  Ich denke aber nicht, 
dass die Botschaft völlig an allen vorbeigeht.  Steter Tropfen höhlt 
bekanntermaßen den Stein und mir ist es lieber, jemand macht sich 
Gedanken zu so einem Vortrag und setzt manches um als dass man sich gar 
nicht damit auseinandersetzt.


> FOSS-Anliegen

Das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel.  RMS bittet auch darum, 
nicht den Begriff FOSS, sondern FLOSS zu verwenden, weil bei FOSS der 
Eindruck entstehen könnte, es gehe um frei wie in Freibier.  Das ist 
natürlich nicht ganz das gleiche wie die von dir genannten Beispiele, 
aber du setzt eben auch nicht jede Bitte um.  Deswegen denke ich aber 
trotzdem, dass du dich intensiv mit dem Vortrag auseinandergesetzt hast 
und das ist gut.  So ist das denke ich bei vielen anderen auch.


> er konterte zurecht, dass auch andere FOSS-Gruppierungen Youtube
> verwenden.

Ich sehe das schon als Problem.  Andererseits finde ich es 
unproblematisch, wenn diese Videos _auch_ (also nicht ausschließlich) 
auf Youtube zu finden sind.  Der eine oder andere, der sich nie mit 
Freier Software auseinandergesetzt hat, stolpert vielleicht darüber und 
so lange, die, die sich der Überwachung bewusst sind, Alternativen 
haben, sehe ich kein Problem darin, Informationen an die Leute zu 
liefern, denen die Überwachung egal ist oder die gar nichts davon 
wissen.


> Auch Stallman selbst "bittet" nur, er setzt sich aber nicht
> durch.

Das wäre wohl auch schwierig umzusetzen.  Es ist ein öffentlicher 
Vortrag; so lange Videoaufnahmen erlaubt sind, darf man die eigenen 
Aufnahmen wahrscheinlich einfach veröffentlichen.  Bleibt nur das Recht 
am eigenen Bild und das gibt es in den USA soweit ich weiß nicht so wie 
in Europa und von daher beruft er sich vermutlich nicht auf sowas.  Ich 
bin aber kein Anwalt und kann diese Situation nicht 100%-ig einschätzen.  
In jedem Fall wäre es logistisch schwierig die Aufnahmen zu unterbinden 
-- es gibt so viele unfreie Plattformen und die FSF hat nicht die 
Ressourcen das alles zu prüfen.


> Verschwörung oder einfache technische Erklärung?

Keine Verschwörung.  Es ist einfacher einige große Plattformen zu 
durchsuchen als viele kleine.  Die vielen kleinen müsste man generell 
erst mal kennen und dann ist nicht gesagt, dass man da Metadaten in 
einem einheitlichen Format bekommt.


> Ist es nicht ein Gebot der Vernunft, auch im Kleinen vorsichtig zu
> sein?

Hier stimme ich voll zu.


> Hat er Recht oder ist er paranoid?

Mit dem was er über die Gegenwart sagt, hat er Recht.  Was er über die 
Zukunft sagt, ist oft schwer vorstellbar.  Bisher hatte er damit aber 
auch so gut wie immer Recht, vor allem wenn es Aussagen über ein Gebiet 
waren, auf dem er sich wirklich auskennt (also Computer, Software usw.).  
Was die "Linux"-Leute (ohne GNU) und die Open-Sourcler angeht, sehe ich 
es nicht ganz so extrem.  Ich finde es wichtig, die richtigen Begriffe 
zu verwenden, damit die Menschen sich mit unseren Idealen 
auseinandersetzen können.

Bei den Menschen, die andere Begriffe verwenden, ist es schwierig.  Es 
gibt Menschen, die "Open Source" sagen, aber den Freiheitsgedanken 
meinen.  Von denen würde ich mir wünschen, dass sie Freie Software 
sagen, aber immerhin stehen sie für die Freiheit.  Die Begriffe 
vermischen sich aber immer mehr, so dass man da nicht mehr ganz sauber 
trennen kann.  Prinzipiell hat RMS auch hier recht, aber auf 
Einzelpersonen bezogen ist die Sache viel schwieriger.  Und wenn ich mit 
Leuten zu tun habe, die "Linux" oder "Open Source" sagen, sind sie 
meistens zumindest offen für die Freiheit.  Oftmals erkenne ich mich da 
auch selbst wieder wie ich vor 10 - 15 Jahren gesprochen habe.  Deswegen 
antworte ich da und verwende ganz bewusst in meiner Antwort den 
richtigen Begriff.  Ich hoffe dann, dass sie sich weiter mit dem Thema 
auseinandersetzen und irgendwann auch Freie Software sagen.

Hin und wieder begegne ich aber auch Leuten, die da boshaft werden.  
Bisher konnte ich das ganz gut ignorieren, aber es gibt da manche 
Personen, die Leute, die Freie Software vertreten, als Extremisten 
abstempeln und das geht zu weit.  Das ist aber die Minderheit, zumindest 
so wie ich das erlebe.  Alle anderen sind aufgeschlossen und müssen nur 
noch überzeugt werden. :-)


> Oder hat Google/Youtube einfach "gewonnen" und wir können zumindest
> diesbezüglich nichts tun?

Man kann immer etwas tun.  Und man muss auch immer etwas tun.  Das ist 
manchmal schwer und deswegen hilft es, sich mit Gleichgesinnten 
auseinanderzusetzen.  Wer nichts tut, hat schon verloren, aber wer 
kämpft, sieht zumindest ab und zu einen Erfolg.  Wenn ich Bedenken habe, 
dass wir vorankommen, schaue ich mir an, wie weit Freie Software in den 
letzten 30 Jahren gekommen ist.  Anfangs war alles unfrei und inzwischen 
können wir (fast) alles in Freiheit erledigen.  Es gibt immer neue 
Hürden und ich denke SaSS (Service as a Software Substitute) und 
Hardware, die immer mehr verdongelt wird, sind eine große Gefahr.  Aber 
wir werden uns Lösungen überlegen und diese auch umsetzen.

Happy hacking!
Florian





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