[FSFE PR][DE] OB-Wahl in München: LiMux Erfolg ausbauen, Umstellungsschmerzen abarbeiten

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Mo Mär 10 11:11:25 UTC 2014


 = OB-Wahl in München: LiMux Erfolg ausbauen, Umstellungsschmerzen abarbeiten =

[Online lesen: http://fsfe.org/news/2014/news-20140310-01.de.html]

Die Free Software Foundation Europe veröffentlichte heute gemeinsam mit
dem Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur München[1]
ihre Freie-Software-Wahlprüfsteine für die Wahl der Oberbürgermeisterin
bzw. des Oberbürgermeisters der Stadt München am 16. März 2014[2]. Die
OB-Kandidatinnen und -Kandidaten konnten sich zu Fragen hinsichtlich
Freier Software und Offener Standards in München im Allgemeinen und des
LiMux-Projekts im Speziellen sowie sicherer Kommunikationsmöglichkeiten
und der kommunalen Datenweitergabe äußern.

Neben den bereits im Stadtrat vertretenen Parteien SPD, CSU, Grüne, FDP,
Die Linke, Bayernpartei und ÖDP legten auch AfD sowie Piraten ihre
Positionen dar. Die fast vollständige Umstellung der Münchner
Verwaltungs-IT auf Freie Software, das sogenannte LiMux-Projekt, wird
außer von der CSU grundsätzlich als Bereicherung für die Stadt gesehen.
Sehr erfreulich ist auch, dass die Aspekte Freiheit und Unabhängigkeit
von proprietären Softwareanbietern inzwischen von den Politikerinnen und
Politikern mindestens als ebenso wichtig betrachtet werden wie die
Kosten.

Trotz ihres umfassenden Bekenntnis zu Freier Software wurden jedoch
immer wieder Probleme mit der Software in der Verwaltung genannt. Diese
stehen aber offenbar eher mit der IT-Organisation an sich als der
eingesetzten (Freien) Software in Zusammenhang. Es besteht aber den
Aussagen nach der Wille, diese technischen und organisatorischen
Probleme gezielt und unter Beibehaltung von Freier Software zu lösen.
Auch wurde mehrheitlich geschrieben, dass der Einsatz von Freier
Software in weiteren Bereichen, insbesondere des Bildungswesens,
anzustreben sei. Mit Erstaunen nehmen wir allerdings auch die
Verwechselung von Freier Software, also Software die man verwenden,
untersuchen, weitergeben und ändern darf, mit kostenloser Software
(Freeware) durch Josef Schmid/CSU zur Kenntnis. Auf dieses
Mißverständnis scheint seine in weiten Teilen ablehnende Haltung
gegenüber dem LiMux-Projekts begründet.

Gesichterte elektronische Kommunikation halten fast alle Befragten im
Moment noch für zu komplex und daher auch noch nicht massentauglich. Es
wird als Alternative auf die Briefpost und das persönliche Gespräch
verwiesen. Beim kommunalen Datenhandel sprechen sich fast alle dafür
aus, vor der Weitergabe die Erlaubnis der Bürgerinnen und Bürger
einzuholen (Opt-In) statt ihnen nur ein Widerspruchsrecht einzuräumen
(Opt-Out).

 == Einige Ergebnisse der Befragung ==

Nennt man München und Freie Software in einem Satz, folgt mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch kurz darauf der Begriff *LiMux*. Dieser aus den
Wörtern Linux und München gebildete Projektname steht für die Umstellung
der städtischen IT-Systeme auf Freie Software und stellt ein
international wahrgenommenes Leuchtturmprojekt dar. Die Stadt München
begab sich mit diesem bis dato beispiellosen Vorhaben klar in eine
Vorreiterrolle für andere Kommunen, Länder und Firmen in der ganzen
Welt.

Diese Einschätzung teilt auch eine deutliche Mehrheit der Befragten. Das
Thema LiMux, stellvertretend für Freie Software und Offene Standards,
steht also für die Münchner Kandidatinnen und Kandidaten genauso auf der
Tagesordnung wie z.B. Defizite bei Kita-Plätzen oder die Untertunnelung
des Englischen Gartens. Dabei wird LiMux nicht nur positiv bewertet.
Durchweg alle Kandidatinnen bzw. Kandidaten, die bereits in engerem
Kontakt mit der Stadtverwaltung stehen, berichten von Schwierigkeiten
beim Einsatz der Software. So schreibt Michael Mattar von der FDP "Die
Unzufriedenheit bei den städtischen Mitarbeitern ist enorm." Ähnliche
Aussagen waren auch bereits von Sabine Nallinger, Grüne, während des
Wahlkampfs zu hören. Brigitte Wolf von der Partei Die Linke sieht auch
Probleme und regt an: "Die Unzufriedenheit mit dem LiMux System kann
sicherlich nur reduziert werden indem die Anwenderinnen und Anwender
umfangreicher im Umgang mit dem System geschult werden." Wo diese
Schwierigkeiten herkommen, beschreibt Nallinger so: "Wir haben anfangs
den Aufwand unterschätzt. Das hat aber auch damit zu tun, dass wir
keinen Überblick hatten, wie heterogen und vielfältig die Software-
Landschaft der Münchner Stadtverwaltung war." Auch wenn man
berücksichtigt, dass in grossen Verwaltungen fast immer eine gewisse
Unzufriedenheit mit der bestehenden IT-Lösung existiert: Es scheint,
dass hier LiMux auch einen Teil der mit jeder Umstrukturierung und
Konsolidierung einher gehenden Unzufriedenheit zugerechnet bekommen hat.

Der Großteil der Befragten spricht sich daher dafür aus, diese
Unzufriedenheit systematisch abzuarbeiten. Stellvertretend schreibt
Michael Mattar von der FDP: "Wir werden in der neuen Amtsperiode in
jedem Fall gezwungen sein, diese Schwächen systematisch zu eruieren und
einen Maßnahmekatalog zu erstellen, um die Schwierigkeiten in der Praxis
abzubauen. Ich gehe davon aus, dass dies gelingen wird, da ein
Systemwechsel sicher zu unvertretbaren Kosten führen würde." Diese
Standard-Vorgehensweise für komplexe Systeme unabhängig vom Hersteller
scheint lediglich Josef Schmid, Kandidat der CSU, nicht zu unterstützen.
In seiner Argumentation bedient er sich leider auch längst vergessen
geglaubter Klischees, so stellt er die Behauptung auf, dass Freie
Software kostenlos sein müsse. Er weist darüber hinaus in seiner Antwort
darauf hin, dass die Verbreitung Freier Software nicht in den Bereich
der kommunalen Daseinsvorsorge gehöre. Andere Parteien zeigten in Bezug
auf die zentrale Rolle der Informationstechnologie für Gesellschaft,
Wirtschaft und Bildung deutlich mehr Bewusstsein und waren sich in
unterschiedlicher Ausprägung einig, hier mehr für den IT- und
Wissensstandort München tun zu wollen.

Die Enthüllungen von Edward Snowden haben der Weltöffentlichkeit
schmerzhaft vor Augen geführt, dass es eine flächendeckende
Überwachungsmaschinerie gibt, vor der man sich nur schwer schützen kann.
Unbestritten effektiv ist aber nach wie vor der Einsatz von starker
Kryptographie in quelloffener Software. Daher wollten wir wissen, ob man
mit den Kandidatinnen und Kandidaten verschlüsselt kommunizieren könne
und ob es Ideen gibt, wie sichere Kommunikation mit der Verwaltung
aussehen könnte.

Die ÖDP hat das Thema nach eigener Aussage schon länger auf ihrer
Agenda: "Diese Problematik (Industriespionage) haben wir bereits in
unseren Anträgen 2003 angesprochen." Bemängelt wird aber, dass die
gängigen Verschlüsselungsverfahren für Normalanwenderinnen und -anwender
noch zu kompliziert seien. Einen konkreten Lösungsansatz beschreibt
Brigitte Wolf, Die Linke: "Vielmehr würde ich mich dafür einsetzten,
dass die Stadt ihren Bürgerinnen und Bürgern Informationen über die
Software und Handhabung bereit stellt und erklärt, wie diese
funktionieren und warum sie wichtig sind. Dabei benötigen wir sicherlich
Schulungen für die Beschäftigten. Hier würde ich mich dafür einsetzen,
dass diese obligatorisch sind und schon während der Ausbildung angeboten
werden. Eine weitere Option wäre es, die interne Kommunikation der
städtischen Stellen auch über vertrauliche E-Mail-Kommunikationskanäle
laufen zu lassen, hier handelt es sich oftmals ja auch um sensible
Daten." Zusammenfassend ist das Bewusstsein parteiübergreifend
geschärft, aber es hapert oft noch an der konkreten Umsetzung. Treffend
beschreibt der Kandidat der Bayernpartei, Horst Münzinger, den Anspruch:
"Der Schutz persönlicher Übermittlungskanäle und Daten vor dem Zugriff
durch Dritte hat in der Kommunikation zwischen öffentlichen Stellen und
Bürgern absoluten Vorrang."

Im Jahr 2013 wurde ein neues Bundesmeldegesetz verabschiedet, welches
unter Anderem die Weitergabe von Meldedaten zu gewerblichen Zwecken neu
behandelt. Bürgerinnen und Bürgern wird zwar die Möglichkeit gegegeben,
der Weitergabe der Daten in einigen Fällen zu widersprechen (Opt-Out),
doch wird über diese Möglichkeit nur zurückhaltend informiert und setzt
eine aktive Handlung voraus. Wir wollten daher wissen, ob die
Kandidatinnen und Kandidaten sich nicht dafür einsetzen wollen, dass die
Weitergabe nur nach der Zustimmung durch die Betroffenen erfolgen darf
(Opt-In). Aus den Antworten nahezu aller Parteien ließ sich entnehmen,
dass die Opt-In-Variante zu präferieren sei. Dieter Reiter von der SPD
merkt allerdings an: "Wir geben zu bedenken, dass nicht nur Parteien,
sondern auch viele Organisationen und Privatpersonen bei einem Opt-in-
Verfahren Nachteile in Kauf nehmen müssten. Kommerzielle hingegen kaufen
sich ihre Daten notfalls teuer woanders." Sabine Nallinger von den
Grünen setzt die Prioritäten dagegen deutlich anders: "Es gibt ein Recht
auf informationelle Selbstbestimmung, das muss gerade für obligatorisch
erhobene Daten von Behörden gelten. Staatliche Melderegister sind keine
Grabbeltische der Privatwirtschaft. Nur die Daten von den Bürgerinnen
und Bürgern, die explizit einem Verkauf der eigenen Daten zustimmen,
werden weitergegeben (Opt-In-Verfahren). Das Interesse der
Werbewirtschaft und von Adresshändlern muss hintanstehen."

 == Verweise ==

- Die FSFE Wahlprüfsteine der Wahl der Oberbürgermeisterin bzw. des
  Oberbürgermeisters der Stadt München 2014[3]

    - Wahlprüfsteine vergangener Wahlen:  Nordrhein-Westfalen[4]

    - Schleswig-Holstein[5]

    - Saarland[6]

    - Berlin[7]

    - Bremen[8]

    - Rheinland Pfalz[9]

    - Baden Württemberg[10]

    - Sachsen Anhalt[11]

-

  1. http://www.ffii.de/
  2. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201403-germany-bayern-muc.de.html
  3. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201403-germany-bayern-muc.de.html
  4. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201205-germany-nrw.de.html
  5. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201205-germany-schle-hol.de.html
  6. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201203-germany-saarland.de.html
  7. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201109-germany-berlin.de.html
  8. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201105-germany-bremen.de.html
  9. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201103-germany-rheinland-pfalz.de.html
 10. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201103-germany-baden-wuerttemberg.de.html
 11. http://fsfe.org/campaigns/askyourcandidates/201103-germany-sachsen-anhalt.de.html

  == About the Free Software Foundation Europe ==

  The Free Software Foundation Europe (FSFE) is a non-profit
  non-governmental organisation active in many European countries and
  involved in many global activities. Access to software determines
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