Re: Freie Software aus ethischen und politischen Gründen - Text gesucht

Geza Giedke geza at giedke.de
Mo Jul 14 08:13:38 UTC 2014


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sorry, Antwort ging irrtuemlich zunaechst nur an OP

Gruesse
 Geza

- -------- Original Message --------
Subject: Re: Freie Software aus ethischen und politischen Gründen - Text
gesucht
Date: Sun, 13 Jul 2014 11:49:41 +0200
From: Geza Giedke <ggiedke at fsfeurope.org>
To: Henry Jensen <hjensen at gmx.de>

Hallo Henry,

Richard Stallmans Essay-Sammlung "Free Software, Free Society"
http://shop.fsf.org/product/free-software-free-society-2/
ist die kanonische Quelle, aber meines Wissens nicht uebersetzt.
(Vielleicht koennte die FSFE das mal anstossen - entweder als
kollektive Uebersetzung in einem Wiki oder als Crowdfunding-Projekt
mit professionellem Uebersetzer...)
Auch in Williams' Stallman Biographie "Free as in Freedom" wird das
Thema gut besprochen, ebenso auch in Steven Levys "Hacker", insbes das
letzte Kapitel uber "den letzten Hacker" aber v.a. auch das erste
ueber die MIT-Hacker community. Lawrence Lessigs Buecher bringen
ebenfalls gute Argumente fuer Freie Software (und allgemeiner Freie
Inhalte), z.B. "Code".

Das Verweigern der 4 Freiheiten kann, finde ich, durch Beispiele
schnell zum konkreten moralischen Problem werden [1]:
* wenn ich ein Programm gekauft habe, das aber nicht zu jedem Zweck
einsetzen darf (z.B. einen eBook-Reader nicht, um Buecher der
"Konkurenz" zu lesen oder einen Browser nicht, um unliebsame Seiten
anzusurfen), sehe ich das als unzulaessige Bevormundung an
* wenn ich meine Daten einem Programm anvertraut habe, das meinen
Zwecken nicht mehr genuegt, ich aber keine Moeglichkeit (ausser
vielleicht reverse-engineering, was u.U. sogar verboten ist) habe,
herauszufinden, wie die Daten gespeichert sind, um sie in ein anderes
Programm zu importieren, sehe ich das als Geiselhaft meiner Daten an
* wenn ein Freund dringend ein Programm benoetigen wuerde, das ich
besitze, ich es ihm aber laut unfreier Lizenz nicht geben darf, obwohl
es mich nur ein paar Handgriffe kosten wuerde und dem Anbieter kein
Geld entgeht, da er sich die Lizenz nicht leisten kann, werde ich ohne
Freiheit 3 an der moralisch richtigen Handlung (Hilfsbereitschaft)
durch die unfreie Lizenz gehindert.
* wenn ich in einem Programm einen Fehler finde und korrigieren kann
oder weiss, wie eine fehlende Funktion hinzugefuegt werden koennte,
hindert mich das Fehlen von Freiheit 4 dara, meinen Beitrag zur
Verbesserung der Welt zu leisten und ich und andere muessen mit dem
fehlerhaften oder eingeschraenkten Produkt auskommen.

Man kann die o.g. Beispiele natuerlich immer als moralisch
unproblematisch darstellen: ich habe ja die unfreien Programme in
(freier) Entscheidung gewaehlt und der Anbieter dieser Programme
maximiert eben seinen Nutzen auf Kosten meiner Freiheit. Das sind wir
schliesslich auch in vielen anderen Bereichen unseres
Wirtschaftssystems gewohnt und dem Anbieter das zu verbieten, waere
auch eine Freiheitseinschraenkung. "Dem Nachbarn" helfen, koennte man
ja immer noch, indem man eben eine weitere Softwarelizenz kauft und
ihm schenkt.
Hier stellt sich dann die (aus meiner Sicht nicht abschliessend
geklaerte Frage) wie viele und wie starke Rechte an "geistigem
Eigentum" (Urheberrecht, Patentrecht usw) die Gesellschaft einraeumen
sollte. Da werden dann mE utilitaristische Moralsysteme (groesster
Nutzen der groessten Zahl) zu anderen Ergebnissen kommen, als rein auf
Vertraegen zwischen freien Individuen basierende. Wenn jemand eine
Diskussion dazu kennt, waere ich auch interessiert. Ein bisschen in
diese Richtung geht (wenn ich mich recht erinnere) "Common as Air" von
Lewis Hyde, allerdings ohne speziell auf Software Bezug zu nehmen.

Aus meiner Sicht zeigt der Erfolg von auf freiem Wissen basierten
Systemen (Wissenschaft, freie Software, Sprache, offene Gesellschaft,
Wikipedia), dass sie geschlossenen Systemen (Alchemie, proprietaere
Software, Ideologien u geschlossene Gesellschaften, Brockhaus), dass
zumindest aus utilitaristischer Sicht erstere moralisch "besser" sind.


Gruesse
 Geza

[1] Vielleicht sind wir aber schon so an unfreie Software gewoehnt,
dass uns v.a. Freiheiten 3+4 nicht wie moralische Rechte sondern wie
unzulaessige Ansprueche vorkommen. Wenn man diese Freiheiten aber auf
andere "Programme" (wie Kochrezepte, Sport-Uebungen oder politische
Programme) anwendet, sieht man mE schon, dass ein System, das diese
Freiheiten verweigert, nicht mit dem Ideal der offenen Gesellschaft
kompatibel ist.

On 07/12/2014 07:41 PM, Henry Jensen wrote:
> Hallo zusammen,
> 
> ich suche gute Texte darüber - vielleicht sogar deutschsprachige - 
> warum die Entscheidung für oder gegen freie Software eine ethische 
> und politische Entscheidung ist, und keine technische.
> 
> Hintergrund: Es kommt immer wieder das Argument, dass eine 
> "Nerd-Tooldiskussion" nicht gewollt sei und allein das Kriterium 
> der Nutzbarkeit zähle. Damit wird unterstellt, dass man GNU/Linux 
> lediglich aus Nerd-Sicht befürworte, weil es so geil sei, dass man 
> alles auf Konsole machen könnte, oder weil man die Software auf 
> Source-Ebene "hacken" könnte, oder ähnliches.
> 
> Das Argument, dass dies nicht so ist und aus ethischen Gründen 
> freie Software bevorzugt werden sollte, wird oft nicht verstanden.
> 
> 
> Da fehlt mir oft etwas konkretes zur Untermauerung. Das Verweigern 
> der vier Freiheiten ist in der praktischen Diskussion oft zu 
> abstrakt.
> 
> Viele Grüße,
> 
> Henry _______________________________________________ fsfe-de 
> mailing list fsfe-de at fsfeurope.org 
> https://mail.fsfeurope.org/mailman/listinfo/fsfe-de
> 
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