Freie Standards in Krankenhäusern?

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Mi Feb 6 14:02:34 UTC 2013


Hallo Florian,

ich weiß nicht, ob ich dir meine Antwort weiterhelfen wird, oder
ob ich nur altbekanntes Zeug berichtet. Dennoch steuere ich einfach
mal bei, was ich zu dem Thema noch weiß.


Florian Schweikert schrieb:
> Zu letztem Punkt ein paar Fragen an die Experten:
> - Gibt es internationale bzw EU-weite Standards im Bereich Patientendaten?
> - Wenn ja, werden sie in der Praxis irgendwo auch eingesetzt?

Ich war mal an einem Projekt beteiligt, das ein wenig damit
zu tun hatte. Das ist aber längst abgeschlossen und inzwischen
habe ich (aufgrund von Zeitmangel und anderen/interessanteren
Projekten) keine Kontakte mehr. Dennoch:

Für die Bilddaten gibt es DICOM (früher ACR/NEMA). Das besteht
einerseits aus verlustfrei komprimierten Pixeldaten (Röntgenbilder,
Ultraschall, etc.), zum anderen aus Metadaten (Ort/Zeit/Körperposition,
aber auch Patienten-Daten wie Name, Geburtstag, etc.).

DICOM ist ein Binärformat und monströser Standard. Dort werden
auch Protokolle zum Übertragen und Archivieren der Daten definiert.

Ob DICOM auch für "reine" Patientendaten, losgelöst von den Bildern,
zum Tragen kommt, weiß ich nicht. Aber deren Attribut-Modell, also
welche Datenfelder vorgesehen sind, ist auf jeden Fall eine gute
Orientierung.

Die Geräte, die das Bildmaterial archivieren und auf Abruf bereit
halten, nennt man PACS:

https://de.wikipedia.org/wiki/Picture_Archiving_and_Communication_System

Die verschiedenen medizinischen Geräte, die die Bilddate erzeugen,
haben aber zum Teil eine sehr eigenwillige Interpretation des DICOM-
Standards. Am gruseligsten war es, als eine DICOM-Datei plötzlich
mittendrin zwischen Little Endian und Big Endian wechselte. Aber es
passierten noch viele andere gruselige Sachen.

Ich hatte an einer Software "DC-RAP" mitgewirkt, die solche DICOM-Dateien
stapelweise entgegen nimmt und aufsäubert, also 100% standardkonforme
DICOM-Dateien erzeugt, sodass nachfolgende Verarbeitungsprogramme
keine Probleme damit haben. Zudem wurden die Metadaten anhand einer
benutzerdefinierten Liste anonymisiert. Ziel war die Vorbereitung
der Daten für die Auswertung klinischer Studien in sog. "Blinded
Readings" (anderswo auch IRIR genannt).

Vor einigen Jahren hatte ich auch mal einen Vortrag darüber gehalten.
Das Thema "Freie Software" nahm dabei einen großen Stellenwert ein:

http://www.profv.de/dc-rap/

Weiterhin gibt es für die Verarbeitung von DICOM-Daten das bekannte
DCMTK, welches Freie Software ist:

http://dicom.offis.de/dcmtk.php.de

Allerdings konnte dieses (zumindest damals) in keiner Weise mit den
ganzen "schrottigen" DICOM-Daten umgehen. Gut, das waren auch nicht so
viele, aber in den Studien kommt halt viel zusammen, und wenn hunderte
Bilder plötzlich doch noch verwendbar sind, dann macht das schon was
aus. Daher die Entwicklung von DC-RAP.

Für die Visualisierung von DICOM-Dateien ist OsiriX die erste Wahl:

http://www.osirix-viewer.com/

OsiriX ist auch Freie Software, läuft aber ironischerweise ausschließlich
auf MacOS X. Ich hatte mal ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, das
Ding nach Linux zu portieren, habe das aber schnell verworfen, als
ich den Quelltext sah: Die Software benutzt durch und durch direkt die
MacOS-spezifischen APIs. Und zwar nicht nur das Standardzeug, was auch
durch freie Libraries wie GNUstep abgebildet wird, sondern auch intensiv
den ganzen Cocoa-Kram und was sonst noch an proprietären APIs in MacOS
zur Verfügung steht. Keine Chance. Die Entwickler haben bewusst _keinen_
Wert auf Portierung gesetzt.

Die gesamte OsiriX-Applikation ist im Prinzip ein aufwändiges Marketing-
Produkt, damit dem Apple den Fuß besser in die Medizin-Branche bekommt.

Aber es ist eine sehr gute Software, und es ist Freie Software, das muss
dem OsiriX zugestehen.


Gruß
Volker

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Volker Grabsch
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