(Halb-)freie Smartphone-Betriebssysteme (was: Elopocalypse: Warum der Nokia-Microsoft-Deal ein herber Rückschlag für freie Software i.a. ist)

olafBuddenhagen at gmx.net olafBuddenhagen at gmx.net
Mi Mär 2 08:11:06 UTC 2011


Hallo,

On Sat, Feb 26, 2011 at 06:21:32PM +0100, Florian Schweikert wrote:

> Aber im Grunde ist MeeGo wohl das beste aktuell entwickelte System in
> dem Bereich, "Standard"tools (gnu, pulseaudio, dbus, qt, etc) und die
> Möglichkeit auch Skriptsprachen wie zB Python einzusetzen und nicht
> auf ein bis zwei Sprachen gezwungen zu werden.

Nun, gehen wir Mal alle (mir bekannten) Alternativen durch:

Android: Die offizielle Version ist weitgehend frei (bis auf die
standardmäßig mitgelieferten Google-Apps); das System kann und wird von
den allermeisten Herstellern jedoch an die Kunden als proprietäres
System und ohne Root-Zugriff ausgeliefert. Installation weniger
restriktiver Versionen (oder ganz anderer Systeme) ist meist möglich,
aber nicht trivial, und von den Herstellern zumindest offiziell nicht
genre gesehen. Es gibt als vereinzelte Ausnahmen auch offenere Geräte;
und Android kann außerdem auf einigen inoffiziellen Geräten benutzt
werden. (Zum Beispiel OpenMoko Freerunner, und experimentell sogar auf
Apple iPhone.)

Android ist ziemlich ausgereift, mit unzähligen Geräten von vielen
verschiedenen Herstellern, und dem mittler Weile größtem Marktanteil
unter allen Smartphone-Betriebssystemen.

Das System benutzt bis auf Linux so gut wie keine Standardkomponenten.
Es hat eine (selbstgestrickte) UNIX-Schicht, die aber kaum benutzt wird
-- fast das gesammte System läuft in einer (teilweise selbstgestrickten)
Java-VM mit eigener (selbstgestrickter) Anwendungsumgebung.
Android-Software ist mit nichts Anderem kompatibel; und auch der
Entwicklungsprozess ist komplett geschlossen. Für GNU/Linux-Enthusiasten
ist das System daher völlig uninteressant.

MeeGo: Benutzt zum großen Teil Standard-Komponenten aus der
Desktop-GNU/Linux-Welt. Die offizielle Version von Intel ist komplett(?)
frei. Die Nokia-Variante ist auch größtenteils frei, ausgenommen die
proprietäre GUI.

MeeGo ist (in der Smartphone-Variante) noch nicht wirklich ausgereift,
und meines Wissens gibt es bisher keine offiziell unterstützte
Serien-Hardware. Entwickler-Versionen laufen (mit gewissen
Einschränkungen) auf dem Nokia N900 -- und dann auch standardmäßig als
freie Software und mit Root-Zugriff. Das N900 selbst ist halbwegs
Entwicklerfreundlich, und (mittler Weile) zum guten Teil auch mit
Dokumentation und/oder freiem Quellcode versehen. Darüber, wie offen
zukünfige offizielle Hardware (von Nokia oder auch anderen Herstellern)
sein wird, kann man jedoch nur spekulieren.

Der Entwicklungsprozess von MeeGo ist zwar teilweise offen, aber es gibt
in dieser Hinsicht auch recht erhebliche Einschränkungen und Probleme.

OpenMoko-Familie (SHR/FSO, QtMoko, und Andere): Benutzt weitestgehend
Standard-Komponenten, und ist komplett frei. Derzeit ist es ein reines
Community-Projekt, mit komplett offenem Entwicklungsprozess, aber
keinerlei kommerzieller Unterstützung. Ursprünglich für die
OpenMoko-Geräte gedacht (Neo1971 und vor allem Neo FreeRunner), die
extrem frei sind, aber mittler Weile ziemlich veraltet -- und offizielle
Nachfolger sind nicht geplant. (Derzeit wird allerdings ein
unoffizielles Upgrade von einem der OpenMoko-Distributoren im Alleingang
vorangebracht -- es bleibt spannend :-) )

SHR und insbesondere QtMoko sind auf dem FreeRunner mittler Weile
halbwegs benutzbar, aber noch nicht wirklich ausgereift. Außerdem sind
Portierungen von SHR auf verscheidene Andere Geräte in Arbeit (HTC Dream
A.K.A. T-Mobile G1, und teilweise auch andere HTC-Geräte; HP/Palm Pre;
Nokia N900; Apple iPhone) -- diese haben aber durch die großteils
proprietäre Hardware mit teils erheblichen Problemen zu kämpfen, und
sind noch mehr oder weniger weit von der Benutzbarkeit entfernt.

HP/Palm WebOS: Benutzt zum Teil Standard-Komponenten; viele Komponenten
sind aber auch proprietär, und der Entwicklungsprozess ist an sich wohl
recht geschlossen. Palm scheint jedoch recht offen für
Community-Entwicklungen zu sein -- sogar Entwickler alternativer Systeme
haben im Rahmen des Entwickler-Programs teilweise kostenlose Testgeräte
erhalten!

Die Palm-Geräte werden wohl normaler Weise ohne Root-Zugriff
ausgeliefert, aber es scheint nicht schwer zu sein, diesen zu erhalten;
und auch die Installation völlig anderer Systeme ist (zumindest bei der
Pre-Familie) erstaunlich unproblematisch.

Das System scheint ausgereift zu sein, und kam mittler Weile auf
mehreren Generationen von Geräten von Palm/HP zum Einsatz. Bisher wird
WebOS meines Wissens auf keine andere Hardware portiert.

LiMo/SLP: Benutzt zum großen Teil Standard-Komponenten (insbesondere bei
dem derzeit in Entwicklung befindlichen LiMo4), aber auch eine Reihe
proprietärer Komponenten; und der Entwicklungsprozess ist völlig
geschlossen.

Die bisherigen Versionen (bis LiMo r3) scheinen mehr oder weniger
ausgereift zu sein -- das System kam seit mittler Weile schon mehreren
Jahren auf mehreren Dutzend verscheidenen Geräten zum Einsatz; vor allem
von NEC und Panasonic, aber vereinzelt auch von diversen anderen
Herstellern. Einige frühere Mitglieder (wie LG) scheinen sich jedoch aus
der LiMo-Foundation zurückgezogen zu haben -- vermutlich um sich auf
Android zu konzentrieren.

Samsung bietet bisher nur wenige Modelle mit LiMo an, und diese zum Teil
auch nur exklusiv für Vodafone, oder nur in bestimmten Märkten. Sie
scheinen aber im Rahmen ihrer "Samsung Linux Platform" recht intensiv in
die Entwicklung von LiMo4 zu investieren. (Wobei ich nicht so recht
weiß, wie die genaue Beziehung zwischen LiMo und SLP ist... Nach den
bisher verfügbaren Informationen scheint es im Wesentlichen nur ein
anderer Name zu sein.) Es scheint also gut möglich, dass Samsung in
Zukunft stärker damit präsent sein wird.

Eine Community scheint es um LiMo bisher nicht zu geben. Das liegt
sicherlich zum Teil an dem geschlossenen Entwicklungsmodell; und auch
daran, dass das Ganze bisher scheinbar nicht an die große Glocke gehängt
wurde -- vermutlich aber vor allem an der Tatsache, dass LiMo-Geräte in
Europa und Nordamerika (als Hauptmärkten für freie Software) bisher so
gut wie gar nicht verkauft werden. Ich denke da kann sich in Zukunft
noch Einiges tun.

-antrik-



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