Freie Inhalte um jeden Preis? | war: Re: Created with Free Software Stempel

Johannes Näder johannesnaeder at gawab.com
Do Mär 25 20:19:38 UTC 2010


Hallo Volker,

Am Donnerstag 25 März 2010 19:53:12 schrieb Volker Grabsch:
> Aber ein langer, gut ausformulierter Blog-Eintrag, der fast an ein
> Tutorial, eine Howto oder eine journalistische Publikation herankommt
> - nun, dieser sollte von anderen verwendet und weiter ausgebaut werden
> können. Im einfachsten Fall zu einem Wikipedia-Artikel, im besten Fall
> zu einem ganzen Buch.

das sehe ich anders. Wer als Autor einen qualitativ hochwertigen Text fürs 
Internet schreibt, sollte sich nicht dafür rechtfertigen müssen, dass er ihn 
nicht unter einer freien Lizenz anbietet. Dafür kann es viele Gründe geben - 
angefangen vom Wunsch, den Text noch erfolgreich verkaufen zu wollen, bis hin 
zur Angst vor Entstellung. Außerdem hat er Zeit und Mühe investiert und folgt 
ja vielleicht noch anderen Interessen als dem sehr altruistischen Ziel eines 
Zuflusses zur "geistigen Allmende" - kann man ihn dafür verurteilen?

> Ich kann dieser Geisteshaltung einfach nichts abgewinnen. Da investiert
> jemand viel Freizeit in etwas, und sorgt dann durch die Lizenz dafür, dass
> andere so wenig wie möglich damit anfangen können.
> Ich meine, was soll das? Wenn man seine Freizeit in etwas
> steckt, und dabei vielleicht sogar auf Vorhandenem aufbaut,
> dann sollte man doch ein großes Interesse daran haben, dass
> andere möglichst viel damit anfangen können.

Vielleicht ist das jetzt etwas plakativ: Wenn ich mich hinsetze und eine 
Erzählung von Kafka lese oder Radiohead höre, dann kann ich viel damit 
anfangen, dann habe ich etwas davon - Genuss, Faszination, vielleicht 
Erkenntnis. Und das alles, obwohl ich das Stück nicht remixe und die Erzählung 
nicht umschreiben kann: Ich darf es nicht und ich will es auch nicht.
Vielleicht wollen das andere, dessen bin ich mir schon bewusst. Aber darum 
geht es mir hier nicht, sondern darum, dass "Nutzen" sich nicht darin 
erschöpft, Derivate eines Werks zu erstellen. Ich würde sogar davon ausgehen, 
dass dies die seltenere "Nutzungsform" selbst von freier Musik ist.

Was die Freiheit angeht: Man wird den vier Freiheiten nicht gerecht, wenn man 
sie 1:1 auf andere Inhalte als Software überträgt und entsprechende 
Forderungen stellt. Bei Software (und Hardware) geht es um die materiellen 
Grundbedingungen unserer Kommunikation sowie vieler kultureller und sozialer 
Praktiken, die durch proprietäre Software in diffuse Abhängigkeit von diffusen 
Kräften geraten. Bei Inhalten geht es - den Zugang mal vorausgesetzt - 
schlimmstenfalls um Einschränkungen unserer Kreativität oder (wie im Fall des 
Stempels) um etwas Mühe für jemanden, der zusätzliche Arbeit hat, weil er 
einen Text neu formulieren muss. Das ist zwar lästig und schränkt ihn in 
seiner Handlungsfreiheit ein, es kann ihn jedoch nicht desubjektivieren. Bei 
proprietärer Software ist das anders: Sie hat das Potenzial, uns zu einem 
Spielball zu machen, von dem wir nicht mal wissen, wer ihn spielt.

Kurz: Für mich geht es hier um Freie Software, nicht aber um Freie Inhalte um 
jeden Preis.

Beste Grüße
Johannes



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