Kommerz-Standpunkt

Oliver Heins olli at sopos.org
Mo Feb 22 10:05:28 UTC 2010


Reinhard Müller <mueller at fsfeurope.org> writes:

> Am Sonntag, den 21.02.2010, 22:32 +0100 schrieb Matthias-Christian Ott:
>> "Community Open Source" und "Commercial Open Source"
>
> Ich halte eine solche Unterscheidung für nicht sinnvoll. Zum Einen ist
> gerade bei Freier Software in sehr vielen Fällen eine sehr produktive
> Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Community zu finden, sodass
> sich gar kein Trennstrich ziehen lässt. Zum Anderen bestehen für den
> Anwender zwischen den beiden Varianten keine prinzipiellen Unterschiede,
> insbesondere nicht in der Freiheit.

So wie ich Stefan verstehe, geht es ihm vornehmlich um die
Unterscheidung zwischen Produktion und Produkt.  Die herkömmliche
Definition freier Software bezieht sich nur aufs Produkt, nicht jedoch
auf die Produktion.  Es wird eben nicht unterschieden, ob die Software
in freier Selbstentfaltung entwickelt wurde oder aber fremdbestimmt.

Grundsätzlich halte ich eine solche Unterscheidung für analytisch schon
sehr interessant.  Allerdings bezweifle ich, dass Software, die als
Auftragsarbeit oder in Rahmen eines Arbeitsverhältnisses geschrieben
wird, automatisch fremdbestimmt sein muss.  Die Frage ist, ob es (in
einem nicht trivialen Sinn[1]) nicht-entfremdete Lohnarbeit geben kann.
Ich halte das für möglich, da die Produktion von freier Software doch
*selbst im Rahmen eines Lohnarbeitsverhältnises* keine im klassischen
Sinne werthaltige Produktion[2] ist.[3]  Aber ich bewege mich da
möglicherweise auf dünnem Eis, schließlich ist auch proprietäre Software
im genannten Sinne nicht werthaltig.[4]  Die schönsten
Gedankenexperimente helfen hier aber wohl nicht weiter, und letztlich
müssten zur Beantwortung dieser Frage wohl arbeitswissenschaftliche
Untersuchungen her.

Beste Grüße,
 olli


Footnotes: 
[1]  Jede menschliche Arbeit ist notwendig Entäußerung und
Vergegenständlichung.  Mein Produkt tritt mir als selbständig gegenüber,
als etwas außer mir und unabhängig von mir existierendes.  In diesem
trivialen Sinn ist jede menschliche Arbeit Entfremdung.  (Mehr zu
entfremdeter Arbeit: http://de.wikipedia.org/wiki/Entfremdete_Arbeit) 

[2]  Im Gegensatz zum in den vorherrschenden Wirtschaftswissenschaften
üblichen Verzicht auf die Erklärung von »Wert« zugunsten einer bloßen
Preisbildungstheorie auf Basis einer Grenznutzenkalkulation geht es in
der von Stefan und dem Oekonux-Projekt geführten Diskussion sehr wohl um
die Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und damit um
Wert.  Nach der klassischen Arbeitswertlehre (zunächst Smith und
Ricardo, später auch Marx) wird der Wert einer Ware bestimmt durch die
in einer gegebenen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe darin notwendig
enthaltenen Mittel.  Im Falle von Software als Massenware geht dieser
aber gegen Null, da sich der Aufwand auf eine tendenziell unendlich
große Anzahl von Kopien verteilt.  Die einzelne Kopie verursacht keine
weiteren Kosten.

[3]  Jetzt wirds sehr akademisch, diese Anmerkung setzt die eingehende
Kenntnis der marxschen Mehrwerttheorie voraus: Strenggenommen ist der
Satz so nicht richtig.  Die Nichtwerthaltigkeit bezieht sich nur auf das
Produkt, nicht jedoch auf die Produktion.  Denkbar wäre etwa eine Firma
A, die Firma B den Auftrag gibt, eine Software zu entwickeln.  Firma B
erstellt diese Software, und dabei wird ein werthaltiges Produkt
hergestellt und auch Mehrwert produziert.  Wenn Firma A diese Software
-- ob frei oder unfrei ist dabei zunächst einmal egal -- dann als
Massenware veröffentlicht, werden die einzelnen Kopien wertfrei.  Wenn
sie als freie Software veröffentlicht werden, wird zudem der Sourcecode
wertfrei und es findet eine plötzliche Vernichtung von Tauschwert
statt.

[4]  Wobei allerdings auch hier die in [3] gegebene Unterscheidung gilt:
der Sourcecode der proprietären Software ist sehr wohl werthaltig, und
damit gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen der Produktion
proprietärer und freier Software.  Das führt mich zu der optimistischen
Annahme, dass die Produktion freier Software auch im Hier und Jetzt so
gestaltet werden kann, dass sie nichtemtfrendete Produktion ist, und
zugleich für ein Auskommen des Produzenten sorgen kann.

-- 
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