OpenSource-Strategien

Jörg Schmidt joesch04 at web.de
So Dez 5 15:36:45 UTC 2010


Hallo Henry,

Henry Jensen schrieb:
> Ich spreche hier ebenfalls nicht für die FSFE, aber ich denke, warum
> sollte sich die FSFE von Ökonux distanzieren?

WEil es, meiner Meinung nach, nützlich für die FSFE wäre, insofern sie
damit das Signal senden würde sie ist nicht einverstanden mit
beispielsweise den Dingen die Mathias bereits kritisiert hat und sich
steht auf dem Boden von sachlicher Diskussion und macht sich eine
eigenartige Vermischung des Marxismus mit Linux (z.B. "doppelt freier
Lohnarbeiter" im Marxismus und "doppeltfreie Software" bei Ökonux) nicht
zu eigen.

Gerade da hier im Thread mehrfach betont wurde das die FSFE bürgerliche
DEmokratie gutheißt fände ich schon deshalb die Distanzierung von
'Pseudo-Marxisten' sinnvoll.

Und um diese Dinge zu sagen brauche ich nicht zu werten - vielleicht ist
also Kommunismus besser oder vieleicht bürgerliche DEmokratie, sicher
ist jedoch beide beschreiben ganz unterschiedliche Betrachtungs- und
Handlungsweisen.

> Aus Sicht der FSF ist das sicher richtig. Dies hat u. a.
> folgende Gründe

Unbestritten, aber muß man deshalb so unflexibel sein nicht einmal über
Änderungen nachdenken zu wollen?

> > Die stillschweigende Annahme das der Begriff "Freie Software" der
> > vorzugsweise zu verwendende Begriff sei ist jedenfalls reine
> > Arroganz und diese entspringt aus einer im Kern markt- und
> > wettbewerbskritischen Position.
>
> Das kann ich nicht so sehen. Der "Wettbewerb" zwischen freier und
> proprietärer Software ist aus meiner Sicht schlicht kein
> marktwirtschaftlicher, sondern ein ethischer.

Dann kann man hier weiter nichts sagen, denn Ideologie ist Ideologie.

> Marktwirtschaftlicher Wettbewerb würde bedeuten, dass sich das Produkt
> durchsetzt, welches den größten Nutzen zu den geringsten Kosten bringt

genau und so geschieht es, geschieht es ganz konkret.
Ich stehe als freiberufliche Experte für OOo jeden Tag an dieser Front
und sorge mit meiner Arbeit dafür das sich OOo, in genau dieser Art
Wettbewerb, gegen MS Office durchsetzt.

> Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Openoffice.org und MS
> Office befinden sich sowohl im marktwirtschaftlichen

Ja, das ist mein konkretes Tagesgeschäft.

> wie auch
> im ethischen Wettbewerb.

Nein.

Meinethalben glaube Du weiter an ethischen Wettbewerb, von den
Unternehmen und Verwaltungen der öffentlichen Hand die OOo nutzen
interessieret sich dafür niemand die Bohne, das ist ganz deutlich so
denn sonst wären entsprechende Dinge Teil von Ausschreibungen und
Pflichtenheften.

> Würde MS Office nun freie Software werden
> befänden sich beide Produkte immer noch im marktwirtschaftlichen
> Wettbewerb, aber nicht mehr im ethischen.

Auch das kann meines ERachtens so nicht automatisch stimmen, denn wäre
Ethik ein Maßstab gäbe es natürlich auch Abstufungen von freier Lizenz
zu freier Lizenz, denn Lizenzen mit stärkerem oder schwächerem Copyleft
würden sich dann hinsichtlich ihres 'Etikwertes' unterscheiden.
Gerade in Veröffentlichungen der FSF werden solche UNterschiede immer
wieder klar deutlich gemacht, z.B. wenn dafür geworben wird bevorzugt
copyleft-starke Liztenzen wie die GPL einzusetzen. Das wäre unnötig wenn
die Lizenzen hinsichtlich ihrer Freiheitsverteidigung (oder dann auch
Ethik) völlig gleich wären.

> Die Freie Software Bewegung macht keine Aussage dazu, welches das
> marktwirtschaftlich bessere Produkt ist. Sie sagt nur, welches das
> ethisch bessere Produkt ist.

Ich frage mich was solche Statements sollen.

Ich jedenfalls lehne o.G. scharf ab, denn natürlich definiert sich das
bessere Produkt, in einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft (keineswegs
also allgemein in jeder Gesellschaft), über den Markt.
Und natürlich sieht das auch die Freie Softwarebewegung nicht anders,
denn z.B. Einsicht in den Quellcode und das REcht zur WEiterentwicklung
und Weitergabe sind keine ethischen FRagen sondern handfeste Vorteile im
Wettbewerb, beispielsweise dort wo es um Absicherung von getätigten
Investitionen dreht.
Wie handfest die sind kannst Du daran ermesssen wieviel Geld Du bezahlen
mußt das Dir Firmen die Branchenlösungen entwickeln auch den Quellcode
zur Verfügung stellen. Und selbst das was Du da zahlst wiegt ja noch
nicht freie Software auf denn es beinhaltet üblich nur die
Code-Anpassung für eigene Zwecke, nicht die Weitergabe.

> > Worum es im Eigentlichen geht, und was Vertreter des Begriffes
> >"OPen Source" längst erkannt haben ist das sich die Art
> Software über
> > die wir hier reden (also die die 4 GRundfreiheiten umfasst) sich nur
> > dann gesellschaftlich durchsetzt wenn sie sich im realen
> Wettbewerb am
> > Markt durchsetzt.
>
> Das ist eben der Irrtum der "Open Source" Vertreter. Denn als
> Unternehmer wirst Du wissen, dass der Markt manipulierbar ist

richtig und auch jeder der OpenSource verbreitet arbeitet ebenfalls so,
denn jede Werbung, egal für was auch immer ist Einflussnahme ist
Manipulation und natürlich werbe ich, sowohl in meiner Community-Arbeit,
als auch beruflich für OpenSource, ist  doch völlig normal.

Und wem hier wirklich meine Offenheit Werbung mit Manipulation
gleichzusetzen, aufstößt der denke doch bitte nach, dann wird er
erkennen das das tatsächlich so ist.

> Den idealen "Wettbewerb" in der
> Marktwirtschaft gibt es ebenso wenig,

ES gibt auch nicht einen Einzigen der ernsthaft sowas behaupten würde.
Marktmodelle sind Modelle und als Solche bekanntermaßen fehlerbehaftet,
genauso wie das Bohrsche Atommodell. Allein lassen Modelle trotzdem
zielführendede SChlussfolgerungen zu, sowohl im Bereich der Wirtschaft
wie im Bereich der Naturwissenschaft.

> Umgekehrt wird ein Schuh draus. Der Kampf um die Position im
> Markt kann
> nur dem Zweck dienen, die Menschen davon zu überzeigen, dass freie
> Software die ethisch bessere ist.

Egal ob man etwas ethisch oder aufgrund marktwirtschaftliche
Produkteigenschaften für besser erachtet, erst kommt die Überzeugung das
man es als besser erachtet und dann kommt die Nutzung und/oder der Kauf
und damit die Verbesserung des Standes des entsprechenden Produktes im
Markt.

> Hat sich die Idee der Freiheit des einzelnen gegenüber Feudalismus und
> Leibeigentum durchgesetzt, weil sie marktwirtschaftlich besser ist?

JA GENAUSO IST ES!

Hier liegt nämlich ein Grundfehler der Interpretation bestimmter
geschichtlicher Entwicklungen, denn beispielsweise wurde der
amerikanische Bürgerkrieg NICHT deshalb von den Nordstaaten gewonnen
weil sie gegen die Sklaverei waren (also quasi moralischer) sondern weil
sie erkannt hatten das Kapitalismus bessere Profite ermöglicht, also
durch die Ausbeutung freier Arbeiter mehr zu holen ist als durch die von
Sklaven - auch wenn das vordergründig widersinnig zu sein scheint.

> Hat sich die Idee der freien Rede und der freien Presse durchgesetzt,
> weil sie marktwirtschaftlich besser ist?

Ja sicher, denn das Bürgertum hatte es schlicht satt sich vom
Standesadel ein Lebenlang aufgrund der zufälligen Geburt gängeln zu
lassen ohne Chance auf Aufstieg durch eigene Lebensleistung. Bürgerliche
Macht war jedoch nur denkbart durch hinreichende Befreiung der Arbeiter,
auch in Form von Pressefreiheit.

> Wenn man jemanden versucht von der Freiheit zu überzeugen und der sich
> im Nachhinein für die Unfreiheit entscheidet kann man nichts machen,
> weil das dem Selbstverständnis der Freiheit widersprechen würde, das
> ist soweit korrekt.
>
> Aber die Überzeugungsarbeit als solche muss dennoch sein.

GANZ ZWEIFELFREI, darum geht es mir ja um Überzeugungsarbeit und nicht
um Verbote.

Die FSF hätte es gerne gesehen wenn das OOo-Projekt bestimmte
OOo-Extensions von seinen Seiten verbannt (=auf ihren Seiten verboten)
hätte. Genau diesem Ansinnen hat das OOo-Projekt mit dem Argument
widersprochen das man seine Nutzer lieber selbst denken ließe und mit
ihnen diskutiere statt ihnen bestimmte Dinge einfach vorzuenthalten.

Die Leute hingegen davon zu überzeugen bestimmte Extensions nicht zu
benutzen ist etwas was der FSF völlig frei steht, was meine VOLLKOMMENE
Unterstützung findet, hinsichtlich des Vorgehens.
Nur darum ging es hier eben nicht.

> Denn ohne die
> könnten wir gleich aufgeben.

Nicht nur das, Überzeugungsarbeit scheint mir eine der wesentlichsten
Aufgaben die es für freie Software zu leisten gilt, eine der
Wesentlichsten!

> Mit den Gegnern der Freiheit wurde in der französischen
> Revolution auch
> nicht gerade zimperlich umgegangen...

Wenn Andere etwas falsch machen ist das kein Argument es selbst zu
wiederholen. ZUmal ja diejenigen die man wegen der PDF-Reader anprangert
garkeine klaren Feinde von Freier Software sind sondern meist garnicht
wissen das sie in Augen von manchen Anhängern freier Software etwas
falsch machen.
Für mich sind jedenfalls die Leute die hier kritisiert werden Leute die
ich gerne als VERBÜNDETE freier Software gewinnen würde.

> > Man stelle sich einmal den Aufschrei vor wenn irgendjemand
> auf die Idee
> > käme Vertreter freier Softzware zu analysieren und dann
> > beispielsweise öffentlich anzuprangern das sie Elektronik
> benutzen die
> > unter beschämenden Arbeitsbedingungen in China produziert wird
>
> Aha, jetzt kommst du auch mit ethischen Argumenten, nicht mit
> marktwirtschaftlichen.

Nein das ist KEINE Etik, ich rede hier von ganz einfacher menschlicher
Fairnis, von angemessenem Umgang miteinander.

> Die Frage wäre also, wie steht die freie Software Bewegung zu freier
> Software, die unter unethischen Bedingungen hergestellt wird?

Naja, aber ich hatte diese Frage hier nicht aufgeworfen.

Meine Frage war eigentlich nur wie die FSFE dazu steht das man Firmen
und Institutionen für Etwas anprangert, von dem Diejenigen meist nicht
mal verstehen das sie sich, in den Augen der FSFE, falsch verhalten.




Gruß
Jörg





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