Freie Lizenzen bei Nicht-Software (was: Freiheit bei anderen Werken)

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Do Apr 15 23:48:16 UTC 2010


Bernhard Reiter <reiter at fsfeurope.org> schrieb:
> Am Dienstag, 6. April 2010 20:32:37 schrieb Volker Grabsch:
> > Die 4 Grundfreiheiten für Software lassen sich auf andere Werke
> > übertragen, aber ihre gesellschaftliche Bedeutung ist dort geringer.
> > Dennoch ist die Wahrung dieser Freiheiten auch bei Nicht-Software
> > stets _anzuraten_.
> >
> > In _Ausnahmefällen_ ist eine Nicht-Änderungsklausel anzuraten,
> > aber nur dann, wenn das Werk _inhaltlich_ mit dem schöpfenden
> > Individuum bzw. der schöpfenden Organisation stark verbunden ist.
> >
> > Weitere Einschränkungen wie "Keine kommerzielle Nutzung" sind
> > jedoch _niemals anzuraten_.
> 
> Die Zusammenfassung mag den Stand der Diskussion wiedergeben.
> Ich schliesse mich den Ratschlägen jedoch nicht an.

Du hast die Ratschläge missverstanden. Sie geschahen allesamt unter
der Prämisse, dass die Werke ehrenamtlich bzw. in der Freizeit ent-
stehen. Über bezahlte Arbeit habe ich bewusst kein Wort verloren.

Wer mag, kann ein entsprechendes Kapitel gern ergänzen.

> Mir fehlt zum Beispiel die Abwägung der Nachteile für die Gesellschaft durch 
> geringere Qualität, falls Journalisten immer weniger Zeit für die Recherche 
> haben.

... was übrigens auch schon derzeit der Fall ist. Man vergleiche
beispielsweise Spiegel-Online mit dem Spiegelfechter-Blog. Aber
das ist ein anderes Thema. :-)

> Und die zur Verfügung stehende Zeit hat oft was mit der Finanzierung
> der Tätigkeit zu tun. Sprich, die Hauptsorge:
> 
> Am Dienstag, 6. April 2010 20:32:37 schrieb Volker Grabsch:
> > Die Hauptsorge und der Motivationskiller schlechthin ist
> > die Angst, andere könnten sich an den eigenen Werken materiell
> > bereichern, ohne etwas zurückzugeben. Dies führt bei vielen zu
> > überempfindlichen Reaktionen
> 
> Ist nicht pauschal von der Hand zu weisen. Wir haben eine Menge 
> professioneller Schreiber auf der Welt und wenig funktionierende Modelle für 
> Qualitätstexte im CC-BY, CC-0 oder CC-BY-SA Bereich.
> Das ist ein großer Unterschied zu Software.

Mag sein, aber auf den Hobby- / ehrenamtlichen Bereich trifft
meine Ausführung doch zu, oder?

> Es fehlt auch der Aspekt, dass einige Werke nicht in kleinen Schritten, 
> sondern als großer Entwurf aus einem Kopf zu einem bedeutendem Werk wurden.
> Die großen Medien haben eine Tendenz weniger konforme Werke einzudampfen
> und sie sind Portale der Aufmerksamkeit. Die Erlaubniss hier kürzen oder 
> Ändern zu dürfen, ist für mich schädlich für die Gesellschaft.

Bleiben wir doch mal realistisch: Die allermeisten Texte können
eine Überarbeitung gut gebrauchen. Nicht umsonst gibt es im
professionellen Bereich eine Trennung zwischen Autor und Lektor.

Kürzungen mit dem Ziel von "Konformität" oder "Harmonisierung"
sind natürlich immer kritisch zu sehen. Ditto für die grotesken
Auswüchse in der de-Wikipedia. Aber deshalb würde ich nicht das
Kürzen an sich verteufeln oder gar in der Lizenz verbieten.

Außerdem sind es doch _gerade_ die "in einem Rutsch
heruntergeschriebenen" Texte, die eine Kürzung am nötigsten
haben! ... auch wenn man das als Autor nicht gern zugibt.
Ich stolpere oft über Texte, die man um mindestens 50% kürzen
könnte, ohne dass etwas fehlen würde - ja, die meisten Texte
würden durch Kürzen sogar an Qualität _gewinnen_.

Das denke ich übrigens auch oft über eigene Texte von mir, wenn
ich Wochen später noch einmal über sie stolpere.

Das Kürzen ist eines der wichtigsten Werkzeuge zur Steigerung
der Qualität. Es zwingt einen, die Gedanken klarer zu fassen,
auf den Punkt zu bringen und das Wesentliche herauszuarbeiten.
Ein zu langer Text ist ein Text, der noch nicht ordentlich
überarbeitet wurde.

Wenn ich eine zu lange E-Mail schreibe, entschuldige ich mich
i.d.R. dafür, dass ich in Zeitnot war und daher keine Zeit
zum Kürzen hatte. Gelaber ist manchmal nervender als heftige
Tipp- und Rechtschreibfehler.

> Dem Buch Fahrenheit 451 sind sogar einige Änderungen erfahren, leider hat 
> Wikipedia dazu nur eine kleine Bemerkung:
> http://de.wikipedia.org/wiki/Fahrenheit_451#Weiteres

Hätten wir es mit freien Lizenzen zu tun, würden einfach beide
Versionen im Netz kursieren, und zudem wäre die geänderte, weiter
verbreitete Version gezwungen, auf die Änderungen hinzuweisen.

Will sagen, in einer "Freie-Software"-artigen Kultur wäre das
kein Problem.

> Für mich ist noch völlig offen, wie Nicht-Software-Werke kategorisiert werden 
> sollten und welche Bedingungen diese dann jeweils haben sollten, um der 
> Gesellschaft maximal zu nutzen.

Ist diese Kategorisierung wirklich wichtig? In der Software-Welt
kommen wir doch auch gut ohne aus. Ich würde höchstens zwei grobe
Unterteilungen vornehmen (bezahlt/ehrenamtlich und
neutral/tiefpersönlich), wie bereits in meinem Text erläutert.
Weitere Unterteilungen erscheinen mir nicht zielführend.

> Mein Verdacht ist, dass wir in den folgenden Kriterien suchen sollten:
> * Grade der Funktionalität
> * Nützlichkeit der Wiederverwendung in Teilen
> * Wie kann die Qualität vernünftig erhalten werden.

Ich persönlich finde alle 3 Punkte irrelevant.

* Funktionalität hängt von der Verwendung ab. Was für die einen
  eine nette Unterhaltung ist, kann für andere ein wichtiges
  Lehrmittel sein.

* Wiederverwendbarkeit in Teilen hängt davon ab, in welcher Form
  das Werk bereitgestellt wird. Ist es die originale Vektorgrafik
  oder nur eine gerasterte Version in niedriger Auflösung? Ist es
  ein gerendertes 3D-Video oder kommt man auch an 3D-Modelle heran?
  Ist es ein OGG, oder eine Menge von Samples mit Kompositions-
  Schema?

* Qualität ist zum Teil subjektiv.

  Nimm zum Beispiel das Untermixen eines Beats in ein Musikstück.
  Für die einen ist es dadurch wertvoller geworden, da leichter
  tanzbar. Für die anderen ist es eine Verhunzung.
  
  Oder nehmen wir Humor: Eine Satire kann das Original durchaus
  übertreffen, aber wer diese Art von Humor nicht mag, der wird
  dennoch das Original vorziehen.

  Und was ist mit Übersetzungen? Die kommen nur selten an das
  Original heran, aber wer die Originalsprache nicht beherrscht,
  für den ist die Übersetzung unendlich viel mehr wert als das
  Original.

  Außerdem: Wenn ein Werk unter freier Lizenz steht, dann bleibt
  die Qualität stets erhalten. Eine Variation kann besser oder
  schlechter sein. Doch ist sie tatsächlich schlechter, dann
  lässt man sie einfach links liegen und nimmt das Original.


Gruß,

    Volker

-- 
Volker Grabsch
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