Freie Lizenzen bei Nicht-Software (was: Freiheit bei anderen Werken)

Volker Grabsch vog at notjusthosting.com
Di Apr 6 18:32:37 UTC 2010


Matthias Kirschner <mk at fsfe.org> schrieb:
> Denke es wird Zeit, dass wir zusammenfassen...

Okay, hier ist mein erster Versuch.


Ich dachte zunächst an eine Stichpunktliste, aber Prosa erschien mir
angebrachter.

Die Zusammenfassung ist wahrscheinlich durch meine Sicht gefärbt.
Bitte ergänzt, korrigiert oder "entfärbt" einfach alle Stellen, die
euch unangenehm auffallen. Auch wäre es gut, wenn sich unter den
Korrekturlesern wenigstens eine Frau befindet, denn das Gendering
ist bestimmt noch verbesserungswürdig. Auch ein juristischer Blick
könnte nicht schaden.

Vielleicht gibt es dafür einen guten Ort im Wiki? Oder sollte ich
das besser auf meine Homepage packen über planet.fsfe.org
veröffentlichen?


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Freie Lizenzen bei Nicht-Software
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Zusammenfassung
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Die 4 Grundfreiheiten für Software lassen sich auf andere Werke
übertragen, aber ihre gesellschaftliche Bedeutung ist dort geringer.
Dennoch ist die Wahrung dieser Freiheiten auch bei Nicht-Software
stets _anzuraten_.

In _Ausnahmefällen_ ist eine Nicht-Änderungsklausel anzuraten,
aber nur dann, wenn das Werk _inhaltlich_ mit dem schöpfenden
Individuum bzw. der schöpfenden Organisation stark verbunden ist.

Weitere Einschränkungen wie "Keine kommerzielle Nutzung" sind
jedoch _niemals anzuraten_.


Technische Aspekte
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Die problemlose Übertragbarkeit der 4 Grundfreiheiten auf andere
Werke ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass sich jede
Freie-Software-Lizenz direkt auch für andere Werke verwenden
lässt. Denn jede Software kann ein Verbund von Texten, Grafiken,
3D-Modellen und Musik sein. Wenn eine Lizenz diesen komplexen
Verbund handhaben kann, dann erst recht auch einen einzelnes Foto
oder ein Musikstück.

Jedoch kann eine Software-Lizenz zu viel des Guten sein. Zum
Beispiel sind viele Passagen der GPL wirklich nur für Software
interessant. Daher gibt es vereinfachte Lizenzen wie die FDL oder
die CC-Lizenzen, die gezielt für Nicht-Software geschaffen wurden.

Bei diesen ist aber zu beachten, dass nicht alle unter ihnen die
4 Grundfreiheiten garantieren. So sind unter den CC-Lizenzen
_nur die Varianten "BY" und "BY-SA"_ frei. Die FDL ist nur dann
frei, wenn man _keinen Gebrauch von "Invariant Sections"_ macht.


Gesellschaftliche Aspekte
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Die 4 Grundfreiheiten haben jedoch bei Nicht-Software eine viel
geringere Bedeutung. Wer die Software-Werkzeuge anderer Menschen
kontrolliert, hat Macht über ihre Handlungsmöglichkeiten. Das ist
bei anderen Werken nicht der Fall. Daher werden die 4 Grundfreiheiten
nur für Software wirklich _gefordert_, während sie für Kunstwerke
lediglich _anzuraten_ sind.

Eine interessante Grauzone sind Computerspiele und Intros/Demos.
Diese sind zwar technisch gesehen Software, allerdings sind es
keine Werkzeuge, sondern eher Kunstwerke. Die 4 Grundfreiheiten
brauchen für diese Art von Software daher nicht gefordert werden,
sondern sind lediglich _anzuraten_. Ein Computerspiel kann jedoch
auch mehr als ein bloßer Zeitvertreib sein. Inzwischen sind viele
Spiele professionelle Simulationswerkzeuge, die sogar in der
Erziehung, Bildung und Ausbildung sinnvoll eingesetzt werden
können. Für diese wichtigen Werkzeuge sind die 4 Grundfreiheiten
daher wieder zu _fordern_, nicht nur anzuraten.

Auch bei Nicht-Software ist es schwer, eine klare Grenzen zu ziehen
zwischen Werkzeug und Kunst, zwischen Nützlichem und Spielerei. So
gibt es Spielfilme und -Serien, die nicht nur der Unterhaltung dienen,
sondern extrem gut recherchiertes Hintergrundwissen transportieren.
Sie können zu einem unerlässlichen Werkzeug im Schulunterricht und
in der Ausbildung werden. Es ist nicht klar, wieviel Macht ein Film-
Produzent oder ein Schulbuch-Verlag über das Bildungswesen hat, doch
diese Macht wird im digitalen Zeitalter sicher steigen. Daher könnte
man auch in diesem Bereich darüber nachdenken, die 4 Grundfreiheiten
zu _fordern_ statt sie nur anzuraten.


Persönliche Aspekte
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Es kann sehr im persönlichen Interesse der Autoren und Autorinnen
liegen, die 4 Grundfreiheiten auch bei Nicht-Software zu wahren,
selbst wenn hierzu keine gesellschaftliche Notwendigkeit besteht.
Das gilt ganz besonders für Werke, die ehrenamtlich bzw. in der
Freizeit entstehen.

Wer sich einmal im Bereich der Freien Software engagiert hat, weiß,
dass die 4 Freiheiten nicht nur politische Forderungen sind. Sie
sind ein Erfolgsrezept, eine solide Basis für dezentrale Kooperation.
Jede Künstlerin und jeder Künstler sieht es gern, wenn das eigene
Werk von vielen gelesen, gehört oder angeschaut wird. Doch es ist
noch viel schöner, wenn sich dabei Gleichgesinnte finden, die das
Werk nicht nur konsumieren, sondern es weiterentwickeln, oder sich
auf andere Weise kreativ damit auseinander setzen.

Zudem steuert man immer gern etwas zu einem Pool bei, aus dem man
sich auch selbst frei bedienen kann. Zumindest, solange es fair
zugeht. Die Hauptsorge und der Motivationskiller schlechthin ist
die Angst, andere könnten sich an den eigenen Werken materiell
bereichern, ohne etwas zurückzugeben. Dies führt bei vielen zu
überempfindlichen Reaktionen wie dem Verwenden einer CC-Lizenz mit
NC-Klausel (keine kommerzielle Nutzung), die natürlich nicht mehr
frei ist.

Vergleicht man diese Einstellung mit dem Erfolgsmodell der Freien
Software, erkennt man schnell das Problem. Denn ein wichtiger Teil
dieses Erfolges geht darauf zurück, dass sich die Freie-Software-
Gemeinschaft eben _nicht_ von Software-Firmen abkapselte und alles
Kommerzielle verteufelte. Es wurde stets klargestellt, dass es
um Freiheit und nicht um Freibier geht. Jeder kommerzielle Mitspieler
ist herzlich willkommen, solange er Freie Software produziert.

Wer mit einer NC-Klausel liebäugelt, sollte stattdessen lieber
die SA-Klausel (Weitergabe unter gleichen Bedingungen) verwenden.
Die FDL enthält solch einen Passus von Hause aus. Er sorgt dafür,
dass jede Abwandlung des Werkes, auch jede kommerzielle, wieder in
den Pool gelangt und von jedem frei weiterverwendet werden kann
- ganz nach dem Vorbild der Freien Software. Die "bösen Firmen"
haben dann die Wahl, ob sie ihr Werk der Gemeinschaft zurückgeben,
oder mit dem Autoren andere Konditionen (z.B. finanzielle Vergütung)
vereinbaren.

Das heißt, eine freie Lizenz schafft hier die gleiche Fairness,
aber bietet mehr Verbreitungsmöglichkeiten um bekannt zu werden.
Eine NC-Klausel hingegen bringt all diejenigen in Probleme, die
das Werk in einem Blog mit Werbebannern zeigen, oder die eine große
Sammlung freier Werke gegen einen aufgerundeten Rohlingpreis auf
DVD vertreiben. Es dürfte kaum Interesse der Künstler sein, diese
Art von "kommerzieller Nutzung" zu verbieten. Und dennoch tun es
die meisten, obwohl sie diese Probleme mit einer freien Lizenz
(CC-BY-SA oder FDL) elegant umgehen könnten.


Unveränderliche Werke
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Die Wahrung der 4 Grundfreiheiten ist bei fast allen Werke äußerst
wünschenswert, sowohl für die Gesellschaft als auch für die Autorinnen
und Autoren selbst. Mit einer Ausnahme: Es gibt Werke, die mit dem
schöpfenden Individuum bzw. der schöpfenden Organisation besonders
stark verbunden sind.

Dabei geht nicht um die natürliche Bindung, die jeder zu seinen
Werken hat, sondern um eine besondere inhaltliche Bindung: eine
Autorin, die ihre politischen Ansichten formuliert, ein Autor,
der ein persönliches Erlebnis schildert, oder eine Organisation,
die eine offizielle Erklärung herausgibt.

In solchen Fällen ist es notwendig, eine unfreie Lizenz zu verwenden,
die Abänderungen des Werkes verbietet. Dennoch sollten alle übrigen
Freiheiten gewahrt bleiben, um eine weite Verbreitung des Werkes
zu ermöglichen. Insbesondere ist auch hier eine NC-Klausel äußerst
kontraproduktiv. Stattdessen sollte einfach die CC-Lizenz "BY-ND"
verwendet werden, oder die FDL mit einer das ganze Werk umspannenden
"Invariant Section".

Ist die inhaltliche Bindung hingegen _nicht_ gegeben, so ist die
bloße Sorge um "Verunstaltung" des Werkes _kein_ guter Grund für eine
Unveränderlichkeits-Klausel. Denn es gibt künstlerische Freiheiten,
die niemand seinen Mitmenschen verwehren darf: Karrikaturen, Parodien,
Satire, und so weiter. Wer das nicht möchte, darf sein Werk nicht
veröffentlichen. Und wer das nicht so eng sieht, benötigt auch keine
Unveränderlichkeits-Klausel, und ist daher einer freien Lizenz besser
beraten.

Das Versuch, Plagiate zu verhindern, ist eine weitere Fehlanwendung
dieser Klausel. Denn Plagiate sind ohnehin verboten. Niemand darf
ein abgeändertes Werk als das eigene ausgeben. Auch hier spricht
nichts gegen eine freie Lizenz.

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So, ich bin gespannt auf eure Kommentare.

Gruß,

    Volker

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Volker Grabsch
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