What defines freedom? / freedomdefined | Funktionale und nichtfunktionale Werke

micu micuintus at gmx.de
Mo Dez 15 15:26:13 UTC 2008



Hallo Matthias, hiho alle,

ich möchte mir erlauben, noch einmal die Böse-Lizenz/Liebe-Lizenz-Diskussion 
aufzugreifen, weil ich sie einfach zu interessant finde :).

> NC macht ein funktionales Werk unfrei 
> (ich glaube hierin waren sich alle bisherigen Teilnehmer der Diskussion
> einig).

[...]

> Bei Dokumentation nimmt es mir Freiheit! Bei Software nimmt es mir
> Freiheit! Bei einem Lexikon nimmt es mir Freiheit. Das sind aber alles
> funktionale Werke.


Ich halte diese Aufteilung von Werken, die unter das Urheberrecht fallen, 
in "funktionale" und "nichtfunktionale Werke" ehrlichgesagt für wenig 
zielführend, da sie subjektiv ist und eigentlich nur von dem Einzelnen im 
konkreten Fall getroffen werden kann.

Natürlich stellt Software tendenziell eher ein "funktionales" Werk dar als 
z.B. ein Hollywood-Film. Aber wir sollten hier imho nicht zu sehr mit einer 
Hacker-Perspektive herangehen. Einem Musiker nimmt ein Musikstück, das unter 
NC oder unter ND steht, unter Umständen viel mehr Freiheit als eine semifreie 
Software, die er zu ändern in vielen Fällen eh nicht in der Lage ist; oder 
einem Bürgerrechtsaktivisten eine Grafik unter ND, die er eigentlich gerne 
für seinen Flyer verwenden würde und die er dazu anpassen muss (einen 
Ausschnitt wählen, Kontrast ändern etc.). Falls er den Flyer in gedruckter 
Fassung gegen Geld vertreiben möchte, um seine Unkosten zu decken und Spenden 
für den guten Zweck zu sammeln, kann er auch keine Werke mehr mit NC 
verwenden. Ich spreche aus eigener Erfahrung ;-).

Wie man zu diesen Fragen steht, hängt vermutlich auch stark davon ab, ob man 
das "free" in freie Software und freie Inhalte als deskriptive oder normative 
Aussage sieht --- also ob man der Meinung ist, dass alle Inhalte frei sein 
sollten oder nicht. Ich persönlich gehe mit der Definition von 
freedomdefined.org d'accord, da die vier Freiheiten für mich freie Inhalte 
und freie Kultur ausmachen [1]: dass man sie zu jedem Zweck verwenden (0), sie 
studieren (1), sie verändern (1) und (veränderte Versionen) weitergeben kann 
(2+3). Damit hängt zusammen, dass ich nicht der Meinung bin, dass 
alle Inhalte notwendigerweise frei sein *müssen* --- nicht einmal alle 
Software; für mich ist das "frei" also deskriptiv.

Ich will auch gar nicht verneinen, dass bei manchen Arten von Werken die 
Freiheit wichtiger ist als bei anderen. So glaube ich schon, dass es für die 
Demokratie und Freiheit einer (Informations-)Gesellschaft sehr zuträglich 
ist, wenn

	a) ein Großteil der von ihr eingesetzten Software --- insbesondere 
           essentielle Teile wie der BS-Kernel, Systemsoftware (glibc, gcc, 
           etc.) --- frei ist oder zumindest

	b) für jeden bedeutenden Anwendungsfall eine funktionierende freie 
           Alternative existiert.

Aber man sollte das, wie gesagt, nicht verallgemeinern. Zum Beispiel sehe ich 
persönlich nicht, warum ein Computerspiel wie World of Goo [2, 3], das ich 
fast schon als Kunstwerk betrachte, nun unbedingt frei sein muss: Das 
Vertriebskonzept sagt mir zu [4], der Preis ist veretretbar, die Software ist 
DRM-frei und es wird für GNU angeboten (hoffentlich endlich bald mal! - noch 
läuft es nur unter Wine). Was will ich mehr? ;-) Okay: Nun will vielleicht 
jemand darin herumhacken oder das Spiel auf eine andere Plattform portieren 
und diese neue Version auch seinen Mitmenschen zur Verfügung stellen. Aber 
hier sehe ich keinen großen Unterschied zu einem Spielfilm, den jemand gerne 
remixen würde oder den er anderen in einem anderen Format (damit er z.B. auch 
auf dem Openmoko läuft :-)) gerne zur Verfügung stellen würde. Beides sind 
für mich Kunst-/Unterhaltungswerke.

Noch ein Beispiel: Open Access. Zu der Frage, ob für den offenen Zugang zu 
wissenschaftlichen Informationen tatsächlich all diese vier Freiheiten (die 
auch in der Berlin Declaration [5] für Open Access vorgesehen sind) von Nöten 
sind, hatte ich eine sehr interessante Diskussion mit einem 
Rechtswissenschaftler auf den 2. Berliner Open-Access-Tagen. Wir sind zu dem 
Schluss gekommen, dass zumindest für Aufsätze (für Primärdaten sieht das 
schon wieder ganz anders aus) eigentlich der kostenlose Zugriff und die 
Kopierbarkeit ausreichend sind. Denn bei Open Access geht es in erster Linie 
darum, dass man kostenlosen Zugang zu den Information (also den Ideen) 
erhält, und eben nicht so sehr um *freie Kultur*; also das Remixen von 
bereits veröffentlichen Aufsätzen. Aber auch dazu gibt es andere Ansichten 
von durchaus rennomierten Leuten [6].

Okay - so far ;).


Viele Grüße, 

micu
==========================
[1] Anscheinend sehen das RMS, Lawrence Lessig, Angela Beesley und Benjamin 
Mako Hill ähnlich? => 
<http://freedomdefined.org/index.php?title=History&oldid=1735>.

Interessant finde ich außerdem, dass die FSF für Werke der Meinung zwar 
ND-Lizenzen "erlaubt", diese aber in der Liste nicht als "freie Lizenzen" 
bezeichnet: 
<http://www.fsf.org/licensing/licenses/index_html#OpinionLicenses>

[2] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28914/1.html

[3] http://www.worldofgoo.com/

[4] Es wird über das Netz verbtrieben und das Geld fließt fast ausschlielich 
an die Entwickler.

[5] http://oa.mpg.de/openaccess-berlin/berlindeclaration.html

[6] http://archiv.twoday.net/stories/4851871/
-- 
GnuPG:		https://www1.inf.tu-dresden.de/~s3418892/micuintus.asc
Fingerprint:	1A15 A480 1F8B 07F6 9D12 3426 CEFE 7455 E4CB 4E80

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