Weizenbaum: Wir gegen die Gier

Bernhard Reiter reiter at fsfeurope.org
Do Apr 24 12:14:50 UTC 2008


Hallo Ingmar,

On Tuesday 25 March 2008 17:51, Ingmar Redel wrote:
> Ich gebe dir also ganz recht: ich mag diesen oft aktionistischen,
> defensiven Weg, dieses ständige "hinterherrennen" auch nicht.

dann solltest Du, genau wie ich, nach besseren Wegen suchen.
Irgendwie scheint allgemein die Geräuschkulisse zu steigen (auch durch immer 
"treffendere" Kampagnen) und deshalb werden die Leute schwerhörig.
Sprich, ich bestreite den einfach Zusammenhang:
Mehr Kampagnen -> Mehr aktive Leute.

> Mir wäre es lieb, wenn die Menschen sich gemeinsam um alle wichtigen Themen
> kümmern würden. Dann würde ein permanenter Dialog um die Themen der
> Gesellschaft ablaufen und es würden gemeinsam Entscheidungen getroffen.
> Aber so ist es eben heute nicht.

Ich würde sagen: Doch so ist es.
Aber angesichts der allgemeinen größeren Wissensanhäufung sind die Prozesse
länger und voneinander abhängiger geworden. Ein Symptom davon ist,
dass es allgemeine Gelehrte gibt es kaum noch. 

> Und darum rennen wir oft den Geschehnissen hinterher. Aufklärung und
> Kampagnen für direkte Demokratie könnten dem eine gewisse Abhilfe
> schaffen, um mehr Partizipation der Bevölkerung zu erreichen. 

Direkter Demokratie stehe ich skeptisch gegenüber, auch der versprochenen
Wirkung. Die moderne Demokratie lebt von Repräsentanz und der horizontalen 
und vertikalen Aufsplittung. Wenn es zu direkt wird, dann wird es schnell zu 
populistisch und die Tageszeitung mit der meisten Auflage bekäme noch mehr 
Einfluß.

> Ein 
> allgemeines Grundeinkommen könnte Ressourcen freilegen für Menschen, die
> sich für die Gesellschaft engagieren wollen, sonst jedoch durch einen 40
> Stunden Job (z.B. für proprietäre Softwarekonzerne ;) und Familie völlig
> gebunden sind.

Ja, ein Grundeinkommen finde ich auch eine prima Idee.

> Kurz: es mangelt überall an Ressourcen. Wir tingeln den Geschehnissen
> nicht hinterher, weil es uns Spass macht oder weil wir scharf auf
> "aktionistisches" sind, sondern weil die Umstände entsprechend sind.

Der Mensch ist Herr über seine Zeit. 
Wenn Du nicht "hinterhertingeln" willst, dann musst Du auch nicht. :)

> Ich persönlich würde mir z.B. wünschen, dass wir weder Kampagnen (in
> welcher Form auch immer) noch NGOs in der Zukunft bräuchten. Das ist ja
> alles nur eine Art "Kit", um systemische Fehler zu beheben. Wenn es
> optimal laufen würde in unserer Gesellschaft, bräuchten wir all das
> nicht. Ich glaube jedoch nicht, dass wir jemals auf absehbare Zeit
> soweit kommen werden.

Das fände ich auch gut.

> > Alles ist verbunden - das ist mir zu pauschal!
>
> Es beschreibt nur den Fakt, dass eine Gesellschaft aus vielen thematisch
> wichtigen Bereichen besteht, die es gemeinsam zu regeln und organisieren
> gilt. Wenn wir die Menschen in der Breite nicht für alle wichtige Themen
> erreichen, wird immer eine oder mehrere wichtige Säulen brechen und
> damit die gesamte Statik der Gesellschaft gefährden.

Eine erhöhte Gefahr für die gesamte Statik der Gesellschaft sehe nicht. 
Es wird immer gesagt wir lebten in einer postmoderen Gesellschaft, wo es kaum 
noch große Erzählungen gibt. Das kann ich nachvollziehen. Aber diese 
"Aufsplitterung" kann auch zu mehr Stabilität führen.

Aufklärung über die Zusammenhänge, Transparenz in der Politik und das Üben von 
kritischem Denken und verantwortungsvollen Handel ist meiner Ansicht nach 
entscheidend.

Bernhard


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