Die grassroots-Gegner

Matthias Kirschner mk at fsfe.org
So Jan 15 22:26:53 UTC 2006


Hallo Tom,

* Thomas Linden <tom at co.daemon.de> [2006-01-15 20:46:37 +0100]:

der Begriff "Freiheit" wird ja von vielen Menschen sehr unterschiedlich
aufgefasst. 

Ich möchte hier zwei Ausschnitte aus John Stuart Mills Einleitung von
"On Liberty" zitieren:

    "Es [Das Prinzip der Freiheit] umfaßt als erstes das innere Feld des
    Bewußtseins und fordert hier Gewissensfreiheit im weitesten Sinne,
    ferner Freiheit des Denkens und Fühlens, unbedingte Unabhängigkeit
    der Meinung und der Gesinnung bei allen Fragen, seien sie
    praktischer oder philosophischer, wissenschaftlicher, moralischer
    oder theologischer Natur." 

Weiter schreibt er: 

    "Zweitens verlangt dies Prinzip Freiheit des Geschmacks und der
    Studien, Freiheit, einen Lebensplan, der unseren eigenen
    Charakteranlagen entspricht, zu entwerfen und zu tun, was uns
    beliebt, ohne Rücksicht auf die Folgen und ohne uns von unseren
    Zeitgenossen stören zu lassen - solange wir ihnen nichts zuleide tun
    -, selbst wenn sie unser Benehmen für verrückt, verderbt oder falsch
    halten." [...] 
                                    
                                    (John Stuart Mill: Über die Freiheit)

Ein Mensch alleine gesehen hat umso mehr Freiheit, desto mehr
Handlungsfreiheit du ihm gibst. Bei mehr als einem Menschen gilt diese
Regel meiner Ansicht nach nicht mehr.

Denn wenn du anderen Menschen etwas zuleide tust - ihnen also
körperlichen Schaden hinzufügst - stößt deine Freiheit an Grenzen der
Freiheit der anderen Menschen. Und je mehr Menschen an der Situation
teilnehmen, desto komplexer die Situation.

Wie ist das z.B. bei deinem Pistolen-Beispiel, wenn du zwei Leuten je
eine Waffe gibst und ihnen sagst: "Macht was ihr wollt!"

- Der eine legt die Waffe in die Schublade, um in Frieden mit seiner
  Familie zu leben. Er will mit seinen Kindern spielen und mit seiner
  Frau eine schöne Zeit verbringen.
- Der andere tötet ihn mit seiner Waffe. 

Kann man hier von Freiheit sprechen? 
Oder trifft der Begriff der "Macht" dies besser? 

Und macht diese Unterscheidung bei Software evtl. auch Sinn [1]?

> On Sun, Jan 15, 2006 at 06:38:05PM +0100, Matthias Kirschner wrote:
> > Aber was sind den genau die Kritikpunkte, auf die reagiert werden soll? 
> 
> Einer der Hauptpunkte ist "GPL Software ist freie Software". Über diese
> Aussage regen sich alle Gegner auf, da sie nicht wahr ist.

Nun, die Aussage, dass dies nicht wahr ist, gilt sicherlich für deine
Definition von "Freiheit". Für jemanden, der den Begriff Freie Software
im Sinne der Free Software Definition [2] verwendet, ist - unter der GNU
GPL lizensierte Software - Freie Software.

> Und nur, damit das klar ist: ich zweifle nicht die GPL an! Ich verwende
> sie selbst und finde sie gut. Nur spreche ich nicht von Freiheit im
> Zusammenhang mit der GPL. Die Intentionen, die zu der Formulierung der
> GPL geführt haben, mögen gut gemeint sein, aber sie sind trotzdem
> Wertvorstellungen, die in einer Lizenz festgeschrieben sind. Mit "frei"
> hat das nichts zu tun.

Ich denke ich verstehe deinen Standpunkt. Mich würden jedoch deine
Antworten auf folgende Fragen interessieren:

- Sprichst im Zusammenhang des Grundgesetzes der BRD z.B. von 
  Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit etc.? Diese Freiheiten werden
  ja auch wieder gegen andere Freiheiten abgewägt. Was ist das für dich?

- Darf man seine Freiheiten hier nutzen um anderen Freiheiten zu
  entziehen? 

Z.B. hat die Weimar Reichsverfassung den Bürgern in vielen Bereichen
mehr Spielraum gegeben, und - wenn ich dich richtig verstanden habe -
nach deiner Definition "mehr Freiheit" gegeben. Sie hat diese Freiheiten
aber nicht gegen Feinde der Verfassung, also Feinde der Freiheit
geschützt.  
Das Grundgesetz der BRD schränkt die Handlungsfreiheiten
teilweise mehr ein, als die Weimar Reichsverfassung es gemacht hat. 

- Ist die Weimar Reichsverfassung freier als das Grundgesetz der BRD?

Vielleicht hängt es auch noch mit dem Menschenbild zusammen. Wenn du
davon ausgehst, dass alle Menschen gut sind, so kannst du ihnen erlauben
alles zu tun. Dann bräuchten wir keine Gesetze mehr.

Hat man aber dieses Menschenbild nicht, so kann genügt eine Person, die
Böses im Sinne hat, um das ganze System zu kippen und allen anderen ihre
Freiheit zu nehmen.

Die GNU GPL schützt die Software davor, wieder unfrei zu werden. Nimmt
sie dadurch Freiheit, oder gibt sie Freiheit?

Vielleicht zum Ende noch ein Punkt von Richard Stallman generell zu
Lizenzen:

    "When we have enough free software
    At our call, hackers, at our call,
    We'll throw out those dirty licenses
    Ever more, hackers, ever more." [3]

Ich danke dir, dass du den Blick auf diese Frage gelenkt hast. Beim
Lesen des Textes konnte ich beim Autor keine Wertschätzung für Freiheit
erkennen; ich hatte den Eindruck, dass da eher das Streben nach Macht im
Vordergrund stand. Daher kam ich nicht auf die Idee darüber
nachzudenken, wie frei die GNU GPL ist.

Viele Grüße,
Matze

  1. http://www.gnu.org/philosophy/freedom-or-power.de.html
  2. http://www.gnu.org/philosophy/free-sw.html
  3. http://www.gnu.org/music/free-software-song.html

-- 
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