Tivoisierung

Bernhard Reiter bernhard at intevation.de
Fr Dez 29 12:12:40 UTC 2006


On Friday 22 December 2006 21:54, Andreas K. Foerster wrote:
> Am Freitag, dem 22. Dez 2006 schrieb Bernhard Reiter:
> > Was ist, wenn ein Anbieter mir nur dann Leistung verkauft,
> > wenn er, von ihm zertifizierte, Software anfindet.
> > Richard hat das, als in Ordnung bezeichnet, aber es scheint
> > mir das gleiche Problem zu sein.
>
> Es kommt darauf an.
> - Macht das Gerät nur mit der verkauften Leistung Sinn? In diesem
>   speziellen Fall hast du vielleicht Recht. Dann wäre die »Freiheit«,
>   die Software ändern zu können ad absurdum geführt.

Bei den vielen Spezialgeräten scheint es einen Hauptzweck zu geben:
Sendungsempfang bei einem Fernseh-Aufnahme-Gerät;
Telefonieren beim Mobiltelefon; Waschen bei der gleichnamigen Maschine.

Für einen privaten Haushalt wäre es nachteilig, die Fähigkeit zum Empfang,
Telefonieren oder die Garantie der Waschmaschine zu verlieren. 

> - Ist es eine Zusatzleistung? - Dann ist es kein Problem. Das Gerät und
>   die Software kann man immer noch für andere Sachen nutzen. 
>   Oder man kann sich einen anderen Anbieter suchen. 
>   Letzteres ist vielleicht auch beim ersten Punkt gegeben.

Hat Du dazu ein Geräte und eine Nutzung im Kopf?

Ich denke immer noch darüber nach, und frage mich, ob hier nicht
auch ein praktisches Problem zum Tragen kommt:
Als Anbieter möchte ich mich entscheiden, ob ich meinem Dienst einem
entsprechenden Gerät anbiete, übers Netz. Wie kann ich das tun?
Eigentlich nur, wenn ich einer Komponente des Geräts vertraue, z.B.
in Chip gegossene Software. Diese könnte testen, ob die Software
meinen Kriterien entspricht und mir das mitteilen.

Die Anti-Tiviosation Klausel des bisherigen GPLv3 Entwurfs scheint
also zu fordern, dass 
a) ein Gerät immer das Abspielen von anderer Software erlaubt. 
b) Wenn ich meine Dienstleistung abhängig davon anbieten möchte,
   ob mir die Software passt, ich dafür etwas vertrauenswürdiges, 
   vernageltes ins Gerät einbauen müsste. Und ich müsste an meiner
   Seite entscheiden.

Als Anwender müsste ich den Einfluss der "Hersteller-Komponente" 
ausschalten können, um meinen Gerät vertrauen zu können. 
Vermutlich muss das nach Start meiner Anwendung passieren und hat Konsequenzen
für den Entwurf der Hardware.
   
> > Weiterhin kann auch beim Tivo ein Konkurrenzunternehmen hingehen
> > und mit dem Quelltext ein Konkurrenzprodukt bauen und anbieten.
> > Die Freiheit ist also vorhanden.

Vielleicht hätte ich präziser schreiben sollen: 
"Diese Freiheit ist vorhanden".

> Wenn die Definition von Freiheit nur genug verbiegt, ist dann nicht
> alles zumindest ein bischen frei? Auch unter Vista hat man die völlige
> Freiheit, alle möglichen Programme abspielen zu können. >;->

Freiheit ist nie absolut und leicht abgrenzbar, es kommt darauf an
eine gute Mischung zu finden. Mir geht es um den konkreten Punkt,
was den Nutzern hier welche Freiheit in Bezug auf das Gerät bringt,
und wie praktikabel und wichtig sie ist.

> > Hängt es dann nicht viel mehr davon aus, ob Nutzer zugenagelte Rechner
> > kaufen mögen, oder nicht?
>
> Das Problem von Freier Software ist, dass es dem allgemeinen Normal-Nutzer
> schwer zu vermitteln ist, warum der Quelltext frei sein sollte. Ein
> Nichtprogrammierer kann mit der Freiheit, Änderungen an einem Programm
> vornehmen zu können, nichts direkt anfangen.
> Er profitiert nur indirekt von der Freiheit, die andere wahrnehmen
> können. Das Problem ist, dass genau dieses schwer zu vermitteln ist.

Interessanterweise kann ich das Nutzern leichter vermitteln, welche wenig von 
Computertechnik und Software verstehen. 
Mir hilft die Analogie zu Meinungs-/Redefreiheit,
denn es geht ja um Macht und Kontrolle. Nicht jeder von uns nutzt
seine Meinungsfreiheit, aber wir wissen, wie sie gut für uns ist.

Bei der Praxis der Änderung, ist es wie bei Autowerkstätten: Wenn ich nur
in die Werkstatt eines Herstellers fahren kann, dann ist der Wettbewerb
geringer und meist auch die Preise höher.

> Ich habe einen Bekannten, dem ich auch immer wieder vergeblich klar zu
> machen versuche, dass es bei Freier Software nicht um den Preis geht.
> Etwas anderes interressiert den aber nicht. 
> Und so wird Freie Software 
> munter mit Freeware in einen Topf gewofen. Und dass man damit kein Geld
> machen kann ist für ihn eh klar... Leider kann ich dem nur schlecht was
> entgegensetzen 

Es gibt Unternehmen, die einiges an Geld mit Freier Software verdienen,
beispielsweise Redhat. Hier gibt es nachprüfbare Argumente.
Geschätze 40% der stabilen Software auf Sourceforge wurden 
von Profis im Hauptberuf, also gegen Gehalt, entwickelt.
Siehe 4. Entwickler und ihre Motivation in
http://intevation.de/~bernhard/publications/200408-hmd/200408-wandel_der_it_20j_fs.html

> (zumal ich selbst nur ein Hobbyprogrammierer bin, der 
> von Harz IV leben muss). :-(((

Kenntnisse in Freier Software sind durchaus gefragt, bei einer
der letzten Übersicht von Heise, stachen zum Beispiel Ruby-on-Rails-Leute 
raus.

Gruß,
Bernhard

-- 
Managing Director - Owner, www.intevation.net       (Free Software Company)
Germany Coordinator, fsfeurope.org       (Non-Profit Org for Free Software)
www.kolab-konsortium.com   (Email/Groupware Solution, Professional Service)
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