Stellungnahme der FSF zu 'SCO v. IBM' (dt.)

Juergen Fenn juergen.fenn at gmx.de
Mo Jul 21 06:34:51 UTC 2003


Hallo,

die FSF hatte eine offizielle Stellungnahme von Eben Moglen zu dem
Verfahren von SCO gegen IBM abgegeben. Der Originaltext liegt auf
  
  FSF Statement on SCO v. IBM
  http://www.gnu.org/philosophy/sco-statement.html

Unten die deutsche Übersetzung.

Jürgen.



Stellungnahme der FSF zu dem Fall "SCO gegen IBM"

Eben Moglen
25. Juni 2003

Aufgrund der Klage der Santa Cruz Operation (SCO) gegen IBM hat es bei
der Free Software Foundation (FSF) viele Anfragen wegen einer
Stellungnahme gegeben. Die FSF hat sich bisher einer offiziellen
Äußerung zu dem Rechtsstreit enthalten, weil die Behauptungen des
Klägers nicht veröffentlicht worden sind. Es wäre voreilig gewesen,
unbestätigte Behauptungen zu kommentieren. Ärgerlicher als die Klage
selbst aber waren bisher die öffentlichen Stellungnahmen der Vertreter
von SCO, die in unverantwortlicher Weise Zweifel an der Legitimität
freier Software überhaupt verbreitet haben. Diese Statements machen
eine Antwort erforderlich.

In dem gerichtlichen Verfahren wird von SCO zum einen behauptet, IBM
habe vertragliche Verpflichtungen verletzt, die zwischen den beiden
Gesellschaften bestehen. Zum anderen geht es darum, daß sich IBM
fremde Geschäftsgeheimnisse zu eigen gemacht habe, die den Aufbau des
UNIX-Betriebssystems betreffen, das SCO allgemein mit "Linux"
bezeichnet. Die letztere Behauptung ist in jüngster Zeit in
außergerichtlichen Stellungnahmen von Angestellten von SCO dahingehend
erweitert worden, daß "Linux" Material beinhalte, welches unter
Verstoß gegen das Copyright von SCO aus UNIX kopiert worden sei.

An dieser Stelle soll das Durcheinander aufgelöst werden, das die
Sprecher von SCO herbeigeführt haben. Zunächst hat SCO den Namen
"Linux" so gebraucht, als bedeute er "freie Software an sich" oder
"alle freie Software, aus der ein UNIX-artiges Betriebssystem
besteht".  Es zeigt sich jetzt, daß diese Verwechselung, vor der die
Free Software Foundation schon in der Vergangenheit gewarnt hatte,
tatsächlich genau diejenigen Folgen hat, auf die die FSF so oft schon
hingewiesen hatte. "Linux" ist der Name desjenigen Kernels, der am
häufigsten in freien Softwaresystemen eingesetzt wird. Aber das
Betriebssystem insgesamt umfaßt viele andere Bestandteile, von denen
einige aus dem GNU-Projekt der FSF stammen, weitere Programme wiederum
auf andere Weise geschrieben und unter freien Softwarelizenzen
veröffentlicht worden sind. Das Ganze ist "GNU", das freie
Betriebssystem, das seit 1984 eingesetzt wird. Schätzungsweise die
Hälfte der Bestandteile von GNU steht unter dem Copyright der Free
Software Foundation, einschließlich dem C-Compiler GCC, dem
GDB-Debugger, der C-Library Glibc, der Bash-Shell, um nur einige
wichtige Bestandteile zu nennen. Die Kombination von GNU mit dem
Linux-Kernel ergibt das GNU/Linux-System, das auf ganz
unterschiedlicher Hardware eingesetzt werden kann und als ganzes die
Funktionalität erreicht, die früher nur von einem UNIX-Betriebssystem
erreicht worden war.

Weil SCO diese Bezeichnungen miteinander verwechselt, ist unklar,
worauf die insoweit erhobenen Ansprüche eigentlich beruhen sollen: Ist
SCO vorliegend der Ansicht, daß IBM Geschäftsgeheimnisse des Erfinders
von UNIX, AT&T -- dessen Rechtsnachfolger SCO aufgrund einer Reihe von
dazwischen liegender Transaktionen ist --, in den Kernel "Linux"
übernommen habe, oder soll es sich um eine Übernahme in Bestandteile
von GNU handeln? Im ersteren Fall gäbe es keine Rechtfertigung dafür,
die "Fortune 1500" ganz allgemein dazu aufzufordern, beim Einsatz
freier Software oder von GNU-Programmen im allgemeinen Vorsicht an den
Tag zu legen. Sollte, andererseits, SCO damit behaupten wollen, GNU
beinhalte Geschäftsgeheimnisse oder Bestandteile aus UNIX, die dem
Copyright unterliegen, wäre das ganz sicherlich falsch. Denn die
Teilnehmer am GNU-Projekt verpflichten sich dazu, die Regeln zu
befolgen, die von der Free Software Foundation für das Projekt
aufgestellt worden sind. Aus ihnen ergibt sich -- unter anderem --,
daß die Entwickler keine unveröffentlichten Vereinbarungen zur
technischen Dokumentation heranziehen dürfen, die einen Bezug zu ihrer
Arbeit an den GNU-Programmen haben, und daß sie den Quellcode
nicht-freier Programme einschließlich UNIX weder einsehen noch sonst
davon gebrauch machen dürfen. Die FSF hat keinen Grund zu der Annahme,
daß GNU irgendwelches Material enthält, auf das SCO oder irgendwer
sonst einen Anspruch wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen
oder des Copyrights stützen könnte.  Die Teilnehmer könnten falsche
Angaben in den Vermerken gemacht haben, aus denen sich ergibt, welchem
Copyright sie ihre Software unterstellen. Solange sich aber seitens
der FSF keine Anzeichen dafür ergeben, daß dies vorsätzlich erfolgt
wäre, ist es höchst unwahrscheinlich, daß unsere Kontrolle über das
Projekt versagt haben sollte, die die Freiheit der freien Software
sicherstellt. Die FSF hat zur Kenntnis genommen, daß sie weder --
trotz der bangemachenden Äußerungen der Beschäftigten von SCO --
selbst verklagt worden ist, noch hat SCO -- trotz unserer Aufforderung
-- auch nur ein bestimmtes Werk benannt, das unter dem Copyright der
FSF steht, einschließlich all jener Änderungen am Kernel, die dessen
Verwendung mit IBMs S/390 Mainframe-Computern dienen, und die der FSF
von IBM abgetreten worden waren, von denen SCO aber behauptet, sie
verletzten ihre Rechte auf irgendeine Weise.

Im übrigen hat die Klage, die SCO erhoben hat, auch aus anderen
rechtlichen Gründen ganz offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Was
die Ansprüche wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen angeht --
die einzigen Ansprüche, die in dem Verfahren gegen IBM tatsächlich
geltend gemacht worden sind --, so ist zu bedenken, daß SCO jahrelang
selbst Kopien des Kernels, Linux, als Teil des freien
GNU/Linux-Systems weitergegeben hat. Diese Systeme sind von SCO unter
voller Beachtung der GPL verteilt worden, weshalb sie den
vollständigen Quellcode enthielten. SCO selbst hat also ständig -- als
Teil seiner normalen geschäftlichen Aktivitäten -- dasjenige Material
veröffentlicht, von dem sie behauptet, es beinhalte
Geschäftsgeheimnisse. Es ist schlicht keine Rechtsgrundlage
ersichtlich, aufgrund derer SCO eine Haftung Dritter für die
Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen für solches Material geltend
machen könnte, das von SCO selbst unter einer Lizenz veröffentlicht
worden ist, die das Kopieren und die Weitergabe ausdrücklich zuläßt.

Dieselbe Tatsache steht gleich einem unverrückbaren Hindernis dem von
SCO geltend gemachten Anspruch entgegen, "Linux" verletze SCOs
Copyright auf den UNIX-Quellcode. Das Copyright umfaßt, wie der
Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten in ständiger
Rechtsprechung hervorgehoben hat, den Ausdruck, den eine Idee gefunden
hat, nicht aber die Ideen selbst (englisch: "expressions, not
ideas"). Das Copyright auf Quellcode umfaßt daher nicht die Weise, wie
ein Programm funktioniert, sondern nur die besondere Sprache, in der
diese Funktionalität ausgedrückt worden ist. Ein Programm, das von
Grund auf neu geschrieben worden ist und mit dem die Funktion eines
älteren Programms in einer neuen Weise ihren Ausdruck findet, verletzt
nicht das Copyright des ursprünglichen Programms. GNU und Linux ahmen
einige Aspekte der Funktionalität von UNIX nach, aber sie sind
voneinander unabhängige Einheiten, nicht bloße Kopien bestehender
Ausdrücke (englisch: "expressions"). Aber selbst für den Fall, daß SCO
zeigen könnte, daß einige Teile ihres UNIX-Quellcodes in den Kernel
hineinkopiert worden wären, wäre kein Anspruch wegen der Verletzung
des Copyrights gegeben, weil SCO selbst den Kernel unter der GPL
weitergegeben hat. Auf diese Weise hat SCO jedermann wo auch immer
berechtigt, diesen Code zu kopieren, zu verändern und
weiterzugeben. SCO kann an dieser Stelle nicht mehr umkehren und sich
auf den Standpunkt stellen, daß der Code zwar unter der GPL verkauft
worden sei, einschließlich des Rechts der Erwerber, alles, was er
beinhaltet, zu kopieren, zu verändern und weiterzugeben, daß aber das
Kopieren und das Weitergeben irgendwelchen eigenen Materials von SCO,
das unter einem Copyright stände, hiervor ausgenommen gewesen wäre.

Angesichts dieser Tatsachen sind die öffentlichen Stellungnahmen von
SCO bestenfalls irreführend und unverantwortlich. SCO hat von der
Arbeit der Entwickler freier Software auf der ganzen Welt
profitiert. Seine gegenwärtigen öffentlichen Stellungnahmen stellen
einen groben Míßbrauch der Prinzipien der Gemeinde der freien Software
durch einen Teilnehmer dar, welcher all unsere Arbeit für seinen
eigenen ökonomischen Gewinn genutzt hat. Die Free Software Foundation
ruft SCO auf, ihre unbesonnenen und unverantwortlichen Stellungnahmen
zu widerrufen sowie unverzüglich ihre geschäftlichen
Meinungsverschiedenheiten mit IBM von ihren Verpflichtungen gegenüber
der Gemeinschaft der Entwickler freier Software zu trennen.


Copyright © Free Software Foundation, 2003. Verbatim copying of this
article is permitted in any medium, provided this notice is preserved.

Prof. Dr. Eben Moglen ist Justitiar der FSF und Mitglied des
Verwaltungsrates der Stiftung.

Übersetzung von Jürgen Fenn, 20 Jul 2003.






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