[fr-aktuell.de] Gegen die Logik der Knappheit

Georg C. F. Greve greve at fsfeurope.org
So Dez 7 11:37:35 UTC 2003


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   t=352260
   Gegen die Logik der Knappheit
   Freie Software ist für das Oekonux-Projekt eine Keimform für ein neues
   Gesellschaftsmodell
   
                                    [1]Prüfung eines Linux-Rechners (ap) 
                                   [2]+ Prüfung eines Linux-Rechners (ap)

   Frankfurter Rundschau: Führt der Erfolg von Freier Software zur
   Integration in die Marktwirtschaft, wird sie zum Geschäft?
   Oekonux: Freie Software und Kommerz sind keine Gegensätze. Freie
   Software unterscheidet sich von proprietärer Software unter anderem
   durch die Lizenzen. Sie lässt den NutzerInnen praktisch jede Freiheit.
   Sie darf auch weiter kopiert werden, so dass die künstliche Knappheit,
   die proprietäre Lizenzen durch ihr Kopierverbot erzeugen, nicht
   entsteht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Freie Software, die einmal
   veröffentlicht wurde, an sich nicht mehr gewinnbringend verkauft
   werden kann. Sie ist ein kostenloses öffentliches Gut, das allen zur
   Verfügung steht.
   Dennoch kann man mit Freier Software Geld verdienen!
   Ja, es gibt Geschäftsmodelle rund um Freie Software. All diese leben
   von einer Kombination Freier Software mit einem knappen Gut. Hierunter
   fallen sowohl Distributionen, bei denen Betreuung, Handbücher und die
   Zusammenstellung der Programmpakete bezahlt werden, als auch Services
   oder proprietäre Produkte rund um Freie Software. Ein weiteres
   Geschäftsmodell besteht darin, dass Freie Software im Kundenauftrag
   entwickelt wird.
   Ist diese Kommerzialisierung etwa von Linux gut oder schädlich?
   Kommerzielle Verbreitung ist eine Möglichkeit, Freie Software und ihre
   Ideen zu verbreiten. Von daher ist eine Kommerzialisierung nicht
   negativ. Etwas anders verhält es sich, wenn wir das Entwicklungsmodell
   betrachten. Nach einer im Projekt Oekonux verbreiteten Auffassung
   rührt die Qualität Freier Software vor allem daher, dass
   EntwicklerInnen nicht an Vorgaben des Marktes beziehungsweise der
   Marketing-Abteilung gebunden sind. Vielmehr können sie sich
   ausschließlich auf die absolute Qualität ihres Schaffens
   konzentrieren. Diese Qualität ist es letztlich, die Freier Software
   immer mehr zum Durchbruch verhilft - und nicht etwa die fehlenden
   Lizenzkosten.
   Sparen auf Gewinn zielende Firmen wie IBM oder Sun Entwicklungskosten,
   indem sie Leistungen von Entwicklern Freier Software verwenden?

    Freie Software
   Ins Auge sticht zunächst, dass Freie Software nichts kostet. Zwar muss
   der Nutzer für Distributionen - das sind Sammlungen freier Programme,
   die Dienstleister wie Suse zusammenpacken und auf CD verkaufen -
   bezahlen, doch wird damit die Leistung des Distributors bezahlt, nicht
   die Software an sich. Die Kostenlosigkeit ist aber nur ein Aspekt: Es
   geht mehr um "Redefreiheit" als "Freibier".
   Wichtig dafür ist vor allem, dass der Quellcode - die "Blaupause" der
   Software - frei zugänglich ist. Von daher kommt auch die Bezeichnung
   Open Source, offene Quelle. So wird, was bei Firmen als
   Betriebsgeheimnis gilt (proprietäre Software), für alle nutzbar. Freie
   Software darf zu jedem Zweck eingesetzt werden, auch zum Geldverdienen
   - sofern die Quellen verfügbar gemacht werden. Dafür sorgen besondere
   Lizenzen. Die bekannteste ist die GNU General Public License (GPL),
   die der Programmierer Richard Stallman Mitte der 80-er Jahre
   vorstellte. Es ist erlaubt, die Quellen zu studieren und aus ihnen zu
   lernen.
   Freie Software, auch veränderte Versionen, dürfen weitergegeben werden
   - vorausgesetzt der Empfänger bekommt die gleichen Rechte. Tatsächlich
   ist das meist erwünscht, denn Fehlerbeseitigungen, Änderungen oder
   Erweiterungen nützen allen. Open- Source-Software und Freie Software
   werden oft synonym verwendet. In der Szene gilt erstere jedoch eher
   als eine Entwicklungsmethode, letztere als soziale Bewegung. sch

   IBM und Sun, die sich die Förderung Freier Software auf die Fahnen
   geschrieben haben, sparen zwar gewisse Kosten durch die Leistungen der
   Community, sie investieren aber auch selbst nicht unerheblich in die
   Weiterentwicklung Freier Software, wie etwa das Büropaket Open-Office
   zeigt. Der Profit, den solche Firmen im Umfeld Freier Software machen,
   kommt tatsächlich aus den genannten Geschäftsmodellen, bei denen
   Services und Hardware angeboten werden.
   Besteht die Gefahr, dass die "Kultur" der Freien Software zerstört
   wird, wenn Firmen Entwicklungsziele setzen?
   Die Wirtschaft kann Freie Software im Auftrag entwickeln lassen, aber
   sie kann der Freien-Software-Bewegung keine Ziele setzen, da jede(r)
   EntwicklerIn, der aus eigener Motivation Software schreibt, sich seine
   Ziele selbst setzt. Der Teil der Wirtschaft, der auf die eine oder
   andere Weise auf Freie Software setzt, hätte aber auch gar nichts
   davon, die Kuh zu schlachten, die er gerne melken möchte. Diese Firmen
   haben begriffen, dass ihre Geschäftsgrundlage Freie Software genau so
   funktionieren muss, wie sie es tut.
   Scharf formuliert: Hilft die Community dem Kapitalismus?
   Indem Freie Software künstliche Knappheit beseitigt, unterläuft sie
   das System der Wertschöpfung, ohne die der Kapitalismus nicht
   funktionieren kann. Im Projekt Oekonux betrachten viele das Phänomen
   Freie Software als eine Keimform für ein neues Modell von
   Gesellschaft. Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte bietet sich
   die Chance, den Kapitalismus in eine Gesellschaftsformation zu
   überführen, die nicht mehr nach der Logik der Knappheit funktioniert,
   sondern sich auf einer Logik des Reichtums für alle gründet. Ein
   Reichtum, der dann nicht mehr ein monetärer, sondern ein stofflicher
   und sozialer Reichtum ist. Besonders bemerkenswert daran ist, dass das
   Ganze nicht (!) als Teil eines politischen Programms geschieht.
   Dann kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg in
   eine neue Ökonomie weisen?
   Das ist eine der Kernfragen des Projekts Oekonux. Auf Grund der
   Argumente, die Oekonux dazu seit 1999 sammelt, würden viele
   TeilnehmerInnen diese Frage sicher bejahen.
   Wie könnte der Weg aussehen?
   Diese Frage ist im Detail nicht seriös zu beantworten. Allerdings
   schälen sich aus den Untersuchungen von Oekonux einige grundsätzliche
   Überlegungen heraus. Die Wissenschaft selbst lebt schon seit Anbeginn
   vom freien Fluss von Informationen. Es kann wohl als erwiesen gelten,
   dass dieser Freie Fluss von Gedanken, Wissen und Information die beste
   Art und Weise ihrer Weiterentwicklung ist. Betrachten wir heute
   alltägliche Produkte, so können wir feststellen, dass ihr
   wissenschaftlicher Anteil in Form ihres Hightech-Anteils ständig
   steigt. Noch deutlicher wird dies, wenn wir die Produktionsanlagen
   betrachten, auf denen diese Produkte hergestellt werden. Der
   Automatisierungsgrad der materiellen Produktion steigt ständig und
   Information ist ein entscheidender Faktor dieser Automatisierung. Das
   Zentrum der Produktion auch materieller Güter rückt also immer mehr in
   den Bereich der Produktion von Informationen.
   Was für eine Bedeutung hat dabei Freie Software?
   Sie ist eine Form, die diesen Zusammenhang auf höchstem technischen
   Niveau ganz praktisch in die Produktion nützlicher Güter einfließen
   lässt. Wenn aber die gesamte Güterproduktion zunehmend
   wissenschaftlich wird, so ist langfristig zu erwarten, dass die besten
   Produkte nach Prinzipien entstehen, die wir in der Freien Software
   heute schon beobachten können. Dazu gehört die Selbstentfaltung der
   ProduzentInnen als zentraler Motor für Innovation und Qualität. Diese
   Selbstentfaltung kann letztlich nur dann gewährleistet sein, wenn der
   Produktion äußerliche Interessen wie der Zwang zum Geldverdienen keine
   Rolle mehr spielen. Eine Abschaffung künstlicher Knappheit ist dazu
   eine Voraussetzung.
   Welche Rolle spielt das Internet dabei?
   Eine zentrale Rolle. In technischer Hinsicht ist das Internet die
   Fernkopiereinrichtung für digitale Daten schlechthin. Aber auch in
   sozialer Hinsicht spielt das Internet eine wichtige Rolle. Es
   ermöglicht globale Kooperation, die ebenfalls eine der wichtigen
   Prinzipien der Entwicklung Freier Software ist. Gleichzeitig macht das
   Internet insbesondere über Mailing-Listen eine Transparenz möglich,
   wie sie in anderen Medien gar nicht denkbar ist. Weiterhin ermöglicht
   es allen Interessierten, sich zu dem Grad in ein Projekt einzubringen,
   der ihnen individuell angemessen erscheint.
   Selbstorganisationsprozesse, ein weiteres Kennzeichen Freier Software,
   werden durch das Internet ebenfalls gefördert.
   Software ist wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist nicht alles. Wo
   lassen sich Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

    Links und Lizenz

   Das Projekt findet sich im Internet unter [3]www.oekonux.de Alles über
   seine Tagungen steht unter [4]www.oekonux-konferenz.de Die Langfassung
   des "Interviews" mit der FR ist [5]hier zu lesen unter und der
   Einstieg in die einzelnen Beiträge [6]hier. Eine wichtige
   Informationsquelle für Freie Software ist die [7]Floss-Studie. Die
   Texte auf dieser Seite erscheinen unter den Bedingungen der [8]GNU
   Free Documentation License, Version 1.2, und dürfen frei verwendet,
   kopiert, verändert und verbreitet werden, sofern diese Lizenznotiz
   erscheint und Quelle und ursprüngliche Autoren genannt werden.
   Oekonux
   Oekonux entstand 1999 und ist ein vorwiegend virtuelles Projekt. Das
   "Oe" am Anfang des Namens - eine Kombination aus den Worten "Ökonomie"
   und "Linux" - ist als Hinweis darauf gedacht.
   Kern des Projekts ist eine Mailing-Liste, auf der die Diskussion
   geführt wird. Von Bedeutung ist zudem die Website, die auch Texte
   enthält. Zentraler Bezugspunkt der Diskussion sind Freie Software und
   deren (potentielle) gesellschaftliche Auswirkungen. Wer mitlesen oder
   etwas beitragen will, ist herzlich eingeladen. Ein Wir in dem Sinne,
   dass alle eine einheitliche Meinung haben müssen, gibt es nicht.
   An Oekonux sind nicht nur Leute aus der Software-Szene interessiert.
   Auch viele, die eher aus politischen Zugängen, aus der Kultur oder
   einer Ingenieur-Richtung kommen, fühlen sich angezogen. Das Projekt
   organisierte Oekonux-Konferenzen in Dortmund und Berlin. Die 3. soll
   im Mai in Wien stattfinden. sch

   Wollen wir eine Übergangsphase betrachten, so muss dies gar nicht die
   zentrale Frage sein. Genauso wie die neue Produktionsweise der
   bürgerlichen Gesellschaft zunächst nur Teilbereiche der
   Gesamtgesellschaft abdecken konnte, kann auch eine Produktionsweise,
   die an den Prinzipien der Entwicklung Freier Software orientiert ist,
   zunächst nur Teile der Gesamtgesellschaft mit Produkten versorgen.
   Freie Software ist ein Beispiel dafür. Dennoch hat sich die
   industrielle Produktionsweise nach und nach durchgesetzt und nach und
   nach die gesamte Gesellschaft nach ihren Prinzipien geformt. Ähnliches
   ist für die Prinzipien der Entwicklung Freier Software denkbar, die
   die Industriegesellschaft nach und nach in eine
   Informationsgesellschaft überführt.
   Es scheint eine Gegenbewegung zu geben. Etwa den Versuch,
   Softwarepatente in der EU einzuführen, oder Vorwürfe der Firma SCO,
   Teile des Linux-Codes seien "geklaut". All diese Versuche können als
   Widerstand des Ancien Regime gedeutet werden. Der Geist, der
   eigentlich schon aus der Flasche ist, soll wieder in dieselbe
   zurückbefördert werden. Es ist zu erwarten, dass diese Versuche noch
   zunehmen werden. Sind die Analysen des Oekonux-Projekts jedoch
   richtig, so werden diese Versuche keinen dauerhaften Erfolg haben.
   Noch nie hat sich eine fundamentale Änderung der Produktionsweise
   dauerhaft verhindern lassen. Vielleicht gilt hier das alte
   Ghandi-Zitat: "Erst ignorieren sie dich. Dann machen sie dich
   lächerlich. Dann bekämpfen sie dich. Dann hast du gewonnen."
   Dossier: [9]Die Alternative
   Deutschland: [10]Skizzen für den Umbau
   Wirtschaft: [11]Spaß am Programmieren
   [ document info ]
   Copyright © Frankfurter Rundschau online 2003
   Dokument erstellt am 05.12.2003 um 18:08:02 Uhr
   Erscheinungsdatum 06.12.2003

References

   1. http://www.fr-aktuell.de/_inc/_globals/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&client=fr&cnt=352260&src=109621
   2. http://www.fr-aktuell.de/_inc/_globals/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&client=fr&cnt=352260&src=109621
   3. http://www.oekonux.de/
   4. http://www.oekonux-konferenz.de/
   5. http://www.oekonux.de/texte/fragen.html
   6. http://www.oekonux.de/liste/archive/msg07492.html
   7. http://www.infonomics.nl/FLOSS/report
   8. http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html
   9. http://www.fr-aktuell.de/alternative/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90
  10. http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/deutschland/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&cnt=352293
  11. http://www.fr-aktuell.de/ressorts/wirtschaft_und_boerse/wirtschaft/?sid=9b4b60f9d3f62023ff1145a216822e90&cnt=352259

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