?Oekonux Projekt?

Lutz Horn lh at lutz-horn.de
Mi Mär 6 08:52:54 UTC 2002


Hallo Christian,

auch ich beteilige mich, wenn auch nicht sehr exponiert, an Oekonux,
daher auch meine .02 EUR zu diesem Thema.

* Christian Selig <christian.selig at bnv-bamberg.de> [20020306 08:37 +0100]:
> Bei Gelegenheit Liste wechseln oder als PM erscheint mir langsam
> sinnvoller :-)

mailto:liste at oekonux.de :-)

> Benni Baermann wrote:
> 
> > > Angesichts der treibenden Kräfte im Projekt und deren politischen
> > > Gesinnung bekommt man rasch den Eindruck, hier wollen ein paar
> > > unverbesserliche Marxisten die Freie Software als Zugpferd für
> > > ihre verstaubten Ideen vergewaltigen.
> >
> > Na, ich finde das was wir machen alles andere als verstaubt. Aber
> > das ist sicherlich Geschmacksache. 
> 
> Naja, vielleicht nicht die Ideen der Leute, aber die Basis für diese
> Ideen, die Marxistische Theorie.

Verstehe ich Dich richtig, dass Du in etwa folgende Gedankenfolge in der
Oekonux-Diskussion beobachtest zu haben glaubst: Die Marxistische
Theorie sei die unhinterfragte Ausgangsbasis der Diskussion, durch die
präformiert alles andere, z.B. das Phänomen der Freien Software
betrachtet würde? Die Teilnehmer an der Diskussion hätten, bevor sie
sich mit Freier Software beschäftigten, schon ein gefestigt
marxistisches Weltbild gehabt, in das nun alles und jedes eingefügt
werden muss?

Falls Du diese Befürchtung hast kann ich Dich wohl beruhigen. Ich habe
bisher nicht feststellen können, dass in der Oekonux-Diskussion
gewissermaßen immer schon "vorher", durch Rückgriff auf eine wie auch
immer geartete Theorie, gewusst wurde, wie das Ergebnis nach der
Diskussion aussehen würde. Es ist auf keinen Fall so, dass Freie
Software nur ein beliebiges Thema unter vielen wäre, an dem sich alte
Marxisten nun abarbeiten würden, die aber mit Freuden auch jedes andere
Theme als Projektionsfläche akzeptieren würde. Allein die in vielen
Punkten kontroverse und auch nicht immer zu einem Ergebnis oder
zumindest zu einer gemeinsamen Sicht des diskutierten Themas führende
Diskussion ist, so glaube ich, Beweis genug, dass es bei Oekonux nicht
darum geht, Freie Software "als Zugpferd [...] zu vergewaltigen"
(igitt!).

> Das würde ich mir wünschen. Als ich von Ökonux zum ersten Mal hörte,
> hatte ich die Hoffnung, dass sich jemand über wirtschaftliche und
> soziale Konsequenzen Freier Software Gedanken macht.

Und genau das passiert auch. Zu klären wäre allerdings, wie weit Du hier
die Begriffe "wirtschaftlich" und "sozial" fassen möchtest. Wenn diese
ihre Grenzen an der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
fänden, müsste Dir in der Tat die Oekonux-Diskussion als das Thema
verfehlend vorkommen.

Es existieren ja glücklicherweise Organisationen wie z.B. die FSFE, die
sich der sicher nicht immer lustige Aufgabe angenommen haben,
Lobby-Arbeit und ähnliche, innerhalb des bestehenden Systems richtige
und notwendige Tätigkeiten zu machen. Deren "unideologische" und
pragmatische Herangehensweise deswegen aber als die zulässige zu
betrachten, hielte ich für wenig hilfreich.

> Wenn dann aber schon politisch stark vorgefärbte Leute mitmischen,
> dann gibt es eine "GPL-Gesellschaft":

Diesem Argument kann ich leider nicht ganz folgen. Was genau meinst Du
mit: "dann gibt es eine 'GPL-Gesellschaft'"? Dieser, übrigens stark
umstrittene Begriff, dient lediglich als zunächst begrifflich nicht
ausgefüllter Kristallistationskern, um den herum sich die Diskussion
bilden kann (oder auch nicht).

> Ich halte die Ökonux-Zukunftsvorstellungen für gefährliche
> Strukturexpolationen.

Das ist eine Beobachtung, die natürlich innerhalb der Oekonux-Diskussion
auch schon mehrfach aufgetaucht ist. Wie wäre es, wenn Du Dich einfach
auf liste at oekonux.de anmelden würdest? ;-)

> Um konstruktiv zu sprechen: Ich würde mich wesentlich besser fühlen,
> wenn ihr heuristische Techniken (von Dörner, de Bono, ...) anwenden
> würdet. V.a. de Bono kriegt es auf die Reihe, Techniken zur Vermeidung
> von Denkfehlern in gut aufgemachter Art und Weise zu vermitteln (siehe
> de Bono, "Thinking Course").

Klingt interessant; wird hiermit auf die Leseliste gesetzt :-)

Verstehe ich Dich richtig, dass es Dir stark um eine Art Methoden-Kritik
geht und dass Du bei Oekonux die "falsche" verwendet siehst?

> > Das ist ungefähr die selbe Stufe der Auseinandersetzung, wenn
> > irgendwelche Manager über freie Software sagen, kostet nix, muss
> > also Scheisse sein, ohne Ahnung zu haben.
> 
> Du missverstehst meine Aussage. Ich meine, dass ein Projekt mit einer
> Art wissenschaftlichen Zielsetzung nicht von politischen
> Hintergrundgedanken beeinflusst werden sollte.

Hier bin ich doch etwas erstaunt, wie Du auf die "wissenschaftliche
Zielsetzung" von Oekonux kommst. Habe ich da etwas überlesen?

Übrigens ist es natürlich, wie Benni auch schon bemerkt hat, Ideologie,
den eigenen Standpunkt oder die eigene Methode als von
historisch-politischen Vorbedingungen unabhängig darzustellen.

> Die Trennung von Wissenschaft und Staat und von Ideen und Interessen
> sind die Grundfeste der Wissenschaft gewesen.

"Gewesen" ist gut :-) Abgesehen davon, dass ich die Parallelisierung der
Paare Wissenschaft und Staat sowie Ideen und Interessen für nicht sehr
glücklich halte, ist dieser ideale Zustand wohl nur schierig zu
erreichen. Eine völlig interessenlose Wissenschaft, die auch nicht die
eigenen Vorbedingungen, sowohl fachlich als auch historisch, politisch
und gesellschaftlich, reflektiert, ist doch eher eine
Schreckensvorstellung. Die aktuell durch die öffentliche Diskussion
geisternden Biowissenschaftler sollen ja wohl so etwas wie das Idealbild
eines solchen interessenlosen, nur vom Ziel des Erkenntnisgewinn
geleiteten Wissenschaftlers abgeben. Naja ...

> Jedes mal, wenn sie missachtet wurden, ob im Großen (NS-Zeit,
> kirchliche Repression neuer Erkenntnisse ...) oder im Kleinen, ist
> etwas furchtbar dummes herausgekommen.

Richtig. Daraus aber zu folgern, dass das rein wissenschaftliche,
funktionale und interesselose Denken von der Hervorbringung von
"furchtbar Dummem" gefeit wäre, halte ich für falsch.

> Ich habe nix gegen neue Ideen. Aber wenn sie schon von vornherein
> politisch belegt sind bzw. wenn die Ergebnisse von den führenden
> Kräften im Projekt für deren Zwecke reinterpretiert werden, finde ich
> das echt schade.

Ich kann Dir versichern, dass so etwas weder beabsichtigt noch der Fall
ist. Übrigens ist auch die Rede von "führenden Kräften" für mich etwas
irrietierend. Zumindest meine Vorstellung von einer freien und offenen
Diskussion, und als solche verstehe ich Oekonx, wäre es, dass eben keine
"führenden" oder sonstwie wichtigeren Menschen und Postionen etabliert
werden können.

> <altelaier mode="on"> Die PISA-Studie</altelaier> hat uns nicht
> gezeigt, dass die deutschen Schüler nix gelernt haben. Sie haben
> einfach das falsche gelernt, z.B. konstruktives, kreatives und aktives
> Denken. 

Das klingt interessant: Warum sind diese drei Arten des Denkens "das
falsche"? Abgesehen davon, dass es neben diesen sicher noch andere Arten
des Denkens gibt, die zu berücksichtigen wären, interessiert mich, was
denn dann "das richtige" wäre.

> Kritisches Denken ist keine Qualität, sondern eine schlechte
> Eigenschaft, weil man lieber eine neue Idee zerreißt als selber eine
> zu entwickeln.

Das nenne ich einmal eine steile These :-) Gegethese: ohne Kritik der
vorhandenen Ideen und der Auseinandersetzung mit diesen und ihrere
Bewertung ist es unmöglich, eigene zu entwicklen.

> Das spart Gedankenkraft, die wir lieber für unendliche Diskussionen
> verwenden. Deswegen oben mein Literaturvorschlag.

Ist bereits notiert.

> Nein, das Thema Freie Software ist nicht technisch, es ist durchaus
> politisch.

AOL :-)

> Du darfst Dich gerne mit dem Thema auseinandersetzen, aber ohne
> Brille.  Das ist das mindesteste was man erwarten kann, wenn jemand
> von "auseinandersetzen" spricht. Es gibt eine objektive Wahrheit,

Diese Ansicht teile ich nicht. Es gibt keine objektive, brillenlos
gewonnene Wahrheit. Wer das behauptet, trägt eine tiefrosa gefärbte
Brille.

> aber ob manche der Ökonux-Leute die wirklich finden möchten,

oder ob sie es überhaupt für sinnvoll halten, nach einer solchen zu
suchen...

> wenn sie unbewusst ihre eigenen ideologischen Gedanken damit stützen
> möchten, das müsste ich erst detaillierter untersuchen.

Tu das. Noch ein (letztes) Mal daher die Einladung nach liste at oekonux.de

> Auch wenn diese Mail sehr lange: Ich tue lieber was, als drüber zu
> reden.

Sehr gut :-)

Gruß, Lutz




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