[ox] Re: Freiheit und Grundsicherung (was: Urheberrecht und Wissenschaft)

Benni Baermann benni at obda.de
Mi Apr 24 11:40:59 UTC 2002


Hallo Reinhard, hallo Listen.

On Wed, Apr 24, 2002 at 09:43:05AM +0200, Reinhard Wiesemann wrote:
> Liebe Leute, was habt Ihr gegen Geld?!?!
> 
> a) eine freie Grundversorgung existiert schon seit langer langer Zeit in 
> Deutschland. Nach meiner Meinung wäre es hilfreich, kosten- und 
> komplexitätssenkend wenn das irgendwann einmal offiziell so gesehen würde. 
> Denn dann könnte man das System endlich so vereinfachen, daß es 
> den allgemeinen Konsens ("in Deutschland soll niemand verhungern und ohne 
> medizinische Grundversorgung sein") besser abbildet. Aber schon jetzt halte 
> ich es für eine schon sehr lange existierende Tatsache, daß die 
> Grundversorgung in Deutschland frei ist.

Du beschönigst. Vielen ist die Sozialhilfe zum Sterben zu viel und zum
Leben zu wenig. Ausserdem ist sie mit enormer und zunehmender
Stigmatisierung ("Faulenzerdebatte") sowie enormem bürokratischen
Aufwand verbunden und an vielfältige Bedingungen geknüpft. Das geht
soweit, dass in D inzwischen eher ein Zwang zur Arbeit als ein Recht
zu leben besteht. Und noch schlimmer wird es, wenn man Leute, die
keinen gesicherten oder einen prekären Aufenthaltsstatus haben mit
einbezieht. Und ganz abwegig wird Deine Behauptung, wenn man die
globale Perspektive hinzuzieht und das ist IMHO heute die einzig
sinnvolle.

> b) Wenn man über die Grundversorgung eine Ebene hinausgeht, dann müssen zwei 
> weitere Probleme gelöst werden:
> 
> b1) Ganz viele Menschen sind vom Druck gesteuert. Wenn sie Beiträge zur 
> Gemeinschaft liefern sollen, dann muß da in irgendeiner Form Druck oder 
> Anreiz sein.

Ganz viele Menschen sind vom Druck gesteuert, weil sie ihr Leben lang
unter Druck standen. Freie Software zeigt doch gerade, wozu Menschen
in der Lage sind, wenn man sie machen lässt, worauf sie Lust haben. 

Ausserdem ist das allermeiste von dem, was unter Geldzwang produziert
wird, alles andere als ein "Beitrag zur Gemeinschaft" und umgekehrt
ist das allermeiste von dem, was Leute ohne Geldzwang tun ein "Beitrag
zur Gemeinschaft". 

> b2) Ganz viele Dinge sind knapp. Es muß irgendwelche Kriterien geben, warum 
> der eine die Fabrik leiten und besitzen darf und nicht der andere.

"Leiten und Besitzen einer Fabrik" ist nichts, was getan werden muss.
Das ist umgekehrt schon Folge des Systems. 

Viele Dinge werden künstlich verknappt und das betrifft bei weitem
nicht nur immaterielle Güter, nur ist es dort am offensichtlichsten.
Doch, zugegeben: Sicherlich wird es immer Ressourcenbegrenzungen
geben, nur ist unser heutiges Geld- (besser: Wert-) System alles
andere als eine rationale Steuerung dieser begrenzten Ressourcen. Im
Gegenteil werden wirklich begrenzte Ressource verblasen und
verschwendet wohingegen weniger begrenzte künstlich knapp gehalten
werden.

Zugegeben, die Marktwirtschaft funktioniert tatsächlich, allerdings
sind die Massgaben dieser Funktionsweise nicht die Menschen und ihre
Bedürfnisse sondern nur eine Regel: Aus Geld mehr Geld machen.
Menschen kommen darin nur als notwendiges Übel vor.

> c) Für diese beiden Probleme kenne ich nur zwei Lösungsalternativen. Entweder 
> 
> c1) werden Gremien oder Einzelpersonen in die Machtposition versetzt, über 
> Menschen und Dinge zu bestimmen. Dann muß man sich mit denen gut stellen, ist 
> abhängig von ihnen. Oder
> 
> c2) man akzeptiert Geld als eine Methode, bei der Zwangs-Abhängigkeiten 
> aufgehoben sind. Plötzlich wird es egal (innerhalb der gesetzlichen Grenzen), 
> wie ich mein Geld verdient und wer es mir gegeben hat. Es besteht Konsens 
> darüber, daß ich mich niemandem gegenüber rechtfertigen muß, wenn mein Geld 
> es mir erlaubt in der Art zu leben und zu arbeiten, wie ich es für richtig 
> halte. Ich habe die Freiheit, zu tun und zu lassen was ich will, solange es 
> mir gelingt, genug Geld (= Berechtigungsscheine) dafür verdient zu haben. Ich 
> mag dieses System sehr, weil mich niemand zwingen kann, etwas bestimmtes zu 
> tun. Es kann mich niemand zwingen, für ihn zu arbeiten. Es kann mich niemand 
> zwingen, überhaupt zu arbeiten. Wenn ich mir genug Berechtigungsscheine 
> verdient habe. Und wie ich das mache, ist meine Sache. Ich bin niemandem 
> Rechenschaft schuldig (im Zweifelsfall muß ich nur beweisen, die 
> Regeln/Gesetze eingehalten zu haben). 

Diese "Freiheit" erkaufen wir uns damit, dass wir alle gezwungen
werden, zwar nichts bestimmtes, dafür aber alle das selbe zu tun,
nämlich aus Geld mehr Geld zu machen. 

> Das alles geht soweit ich das sehe ausgesprochen gut innerhalb des 
> Geldsystems. 

Dann musst Du in einer anderen Welt leben als ich. Man muss doch nur
einmal mit halbwegs offenen Augen durch eine beliebige Stadt auf
dieser Welt laufen um zu sehen, dass nichts "ausgesprochen gut"
funktioniert. 

[...]
> Zu diesem Thema werde ich wahrscheinlich noch in diesem Jahr eine Stiftung 
> gründen und sehr bald ein Bezahlmodell für freie Software ins Leben rufen 
> (siehe http://www.lueckenfueller.org/gemeineig.html). Ja, ich weiß, daß es 
> andere gibt, aber ich liebe die Vielfalt und füge der existierenden Menge der 
> Bezahlmodelle ein weiteres hinzu.

Eine solche Stiftung ist eine Verschlechterung des Status Quo. Jetzt
sind es die "Aktiven", wie Du sie auf Deiner Webseite nennst selber,
die tun was sie für richtig halten und entscheiden, ob sie es der
Allgemeinheit zur Verfügung stellen oder nicht. Nach Deinem Modell
wird es wieder das Geld sein, dass regiert. Das verschiebt die
Privilegien nur weg von den Aktiven hin zu den Leuten, die Geld haben.

Grüße, Benni




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