Bankkontenmodell

Reinhard Wiesemann r.wiesemann at villa-vogelsang.de
So Aug 26 14:03:12 UTC 2001


Hallo, liebe FSFE und liebe ELUG!

Aus den Überlegungen, wie ein begrenzter Geldbetrag am besten für die Freie
Software einzusetzen ist, wächst in mir immer stärker der Gedanke, daß man
die organisatorischen Kosten für ein ganz besonderes Fördermodell damit
tragen sollte (vielleicht eine Stiftung gründen?). Und weil hier in diesen
Mailinglisten die Leute versammelt sind, die nach meiner Kenntnis am besten
zu einer Meinung qualifiziert sind, würde ich gern die bisherigen
Überlegungen zur Diskussion stellen.

Konkret:
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Ich überlege, eine Reihe von Bankkonten z.B. bei der Commerzbank zu
eröffnen. Jedes Konto hat den Namen eines Projektes. Zum Beispiel:

KontoNr. 43034711 "Ärztesoftware"
KontoNr. 43034712 "Hotelsoftware"
KontoNr. 43034713 "Poster freie/unfreie Datenformate"
KontoNr. 43034714 "Einzelhandelssoftware"

Zu jedem Projekt (=Konto) existiert eine Webseite, auf der immer der
aktuelle DM-Stand des Kontos dargestellt wird und auf der das Projekt selbst
inhaltlich erläutert wird (siehe unten). Außerdem wird alle 3 Monate eine
Anzeige in der CT veröffentlicht (CT deshalb, weil ich nicht nur im eigenen
Linux-Brei schwimmen will, sondern eine Verbreitung in den allgemeinen
Computerbereich suche), in der die Webadressen aller Projekte und der
DM-Stand der zugehörigen Konten veröffentlicht werden. Und das Projekt
selbst wird natürlich erklärt. Jedes Projekt hat ein Enddatum, das z.B. 5
Jahre nach Start gelegt wird (Erläuterung unten).

Jeder, der ein wie auch immer geartetes Interesse daran hat, daß das auf der
Webseite beschriebene Projekt realisiert wird, kann einen beliebigen Betrag
auf das zugeordnete Bankkonto überweisen. Diejenigen, die das Geld
überweisen, sind die "Förderer". Förderer können im Verwendungszweck jeder
Überweisung durch Schlüsselworte angeben, wie weit sie auf der
Projekt-Webseite genannt werden wollen:

a) Sie können völlig "anonym" bleiben, in diesem Fall fließt ihr
Überweisungsbetrag lediglich in den veröffentlichten Kontostand ein.
b) Sie können bestimmen, daß der "Betrag" genannt wird, den sie überwiesen
haben, aber ohne ihren Namen. Das gibt eine ganz interessante Liste, an der
jeder sehen kann, ob das im Gesamt-Kontostand ausgedrückte Interesse auf
wenigen großen oder vielen kleinen Förderern beruht.
c) Sie können bestimmen, daß eine von ihnen bestimmte Kontaktadresse genannt
wird: "Adresse: xyz at blabla.de" oder auch "Adresse: Fax 0234 567890"

Aktive beobachten ebenfalls die Anzeige und die Webseiten. Sie können sich
herauspicken ob und bei welchen Projekten sie aktiv mitmachen wollen. Sie
können sich mit ihren Beiträgen an den Webmaster wenden, der ohne
inhaltliche Prüfung rein informativ dadurch auf den vom Aktiven
eingereichten Beitrag hinweist, daß er in einer Rubrik "Beiträge" einen Link
auf eine vom Aktiven gepflegte Internetseite einbaut. Alternativ kann der
Aktive auch Förderer kontaktieren, die dies durch Adressangabe ermöglicht
haben.

Förderer können nun jederzeit aus eigenem Antrieb die Beiträge studieren,
die auf der Projekt-Webseite veröffentlicht werden. Oder sie erfahren durch
direkten Kontakt mit Aktiven von Lösungen. Oder sie erfahren durch eigenes
Engagement völlig außerhalb dieses Systems von einer Lösung. In jedem Fall
kann jeder Förderer die Projektverwaltung jederzeit instruieren, den Betrag,
den er selbst eingezahlt hat, an einen der Aktiven auszuzahlen.

Resultat: Ganz viele Förderer beweisen durch ihre tatsächliche Überweisung,
daß sie Arbeiten in einer ganz bestimmten Richtung fördern. Die Aktiven
sehen am Kontostand, wieviel Interesse für eine bestimmte Lösung existiert.
Im Idealfall wächst da ein "Jackpot", der einen ganz enormen Anreiz zu einer
freien Lösung erzeugt. Förderer bleiben individualistisch und müssen sich
nicht einig werden, wer oder was und noch nicht einmal wann gefördert wird.
Es kann sein, daß ein Förderer ganz kleine Anforderungen hat, die schnell
erfüllt sind und er gibt dem Aktiven, der ihm geholfen hat, ganz schnell
seinen Förderbetrag. Aktive sehen sich einer im Idealfall sehr großen Gruppe
von Förderern gegenüber, die aber nicht als Gruppe, sondern als ganz viele
Individuen auftreten. Man muß also keine "Kontakte" pflegen, man muß sich
nicht "gut stellen" mit irgendwem. Aktive bleiben frei. Es gibt noch nicht
einmal ein Gremium, das überzeugt werden muß. Dieses System bildet so ein
bißchen die normale Marktwirtschaft ab, in der Produzenten und Konsumenten
ja auch nur deshalb frei bleiben, weil beides heterogene Gruppen sind, in
denen niemals einer von einem abhängt und jeder die Chance hat, sich seine
"Liebhaber" zu suchen. Das System ermöglicht ausdrücklich ganz viele
Lösungen der gleichen Aufgabenstellung, weil es Aktive und Förderer
individualistisch miteinander umgehen läßt. Und es vermeidet die ganzen
Reibungsverluste, die dadurch entstehen, daß sich irgendwelche Gruppen einig
werden müssen. Im Extremfall gibt es 100 Förderer und 100 Aktive, die sich
gegenseitig auf diese Weise gefunden haben...

Tatsächlich wird es jedoch wohl so sein, daß eine ganze Reihe von Förderern
von vornherein passiv bleiben will oder sich im Laufe der Zeit nicht
entscheiden kann, welche Aktiven ihr Geld bekommen sollen. Ich schätze, daß
ein ganz riesiger Betrag an dem von vornherein veröffentlichten Endtermin
des Projektes noch nicht vergeben sein wird. Nun greift ein Automatismus,
mit dem sich die Förderer durch ihre Überweisung ebenfalls einverstanden
erklären: Die Verwaltung dieser Konten verteilt rein schematisch am
Endtermin den noch verbleibenden Kontensaldo des Projektes prozentual in
gleichem Verhältnis auf die Aktiven, die zuvor durch Willensäußerung von
Förderern Geld bekommen hatten.

Beispiel:

Am 1.1.2002 wird das Konto 43034715 bei der Commerzbank eingerichtet. Auf
der zugehörigen Webseite wird erläutert, daß hiermit Aktivitäten unterstützt
werden sollen, die eine freie Ärztesoftware erzeugen sollen. Das Projekt
soll am 31.12.2006 beendet werden. Über diese Sache wird ab diesem Termin in
einer CT-Anzeige alle 3 Monate informiert und der Kontostand wird
veröffentlicht. Im Laufe der Zeit finden sich 1000 Ärzte, die zwischen 100
und 10.000 DM pro Kopf eingezahlt haben. Manche von diesen Ärzten tauchen
auf der Webseite als Kontaktadressen für interessierte Aktive auf. Insgesamt
ist der Kontostand auf 1.000.000 DM angewachsen und eine Menge von
vielleicht 100 Programmierern arbeitet daran, einzeln oder in Gruppen oder
als Firma Lösungen zu programmieren. Manche nehmen Kontakt mit den Ärzten
auf, die das wollen, um sich über die Anforderungen briefen zu lassen.
Oftmals wird sich auch Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Programmierern
ergeben (Pilotanwendungen, Auftragsarbeiten,...). Alle Beteiligten lesen auf
der Webseite immer wieder Infos über den Stand der Dinge und es wird
Kontakte in jeder Art geben. Die ersten Ärzte haben vielleicht nur ganz
geringe Anforderungen oder sie sind davon überzeugt, daß man bestimmte
Aktive auch dann schon unterstützen sollte, wenn die Arbeit noch gar nicht
fertig ist und sie weisen bereits sehr früh Auszahlungen an. Andere warten
bis konkrete Ergebnisse da sind. Am Endtermin haben vielleicht 30% der Ärzte
mitgemacht und ihre z.B. 300.000 DM Spendengelder sind auf 5 Aktive
verteilt, doch das Geld der inaktiven 70% liegt noch da. Nun werden diese
700.000 DM rein schematisch an die gleichen 5 Leute in gleicher prozentualer
Aufteilung verteilt, die schon die 300.000 DM bekommen haben.

Mir gefällt bei diesem Ansatz ganz besonders die Freiheit und Offenheit, die
darin abgebildet ist. Ich mag keine Gremien, die irgendwas entscheiden.
Statt dessen bin ich davon überzeugt, daß gerade das individualistische
Miteinander-Umgehen gefördert werden sollte. Der oben beschriebene Ansatz
hätte m.E. den riesigen Vorteil, daß die Verwaltung (eine Stiftung oder wer
auch immer) völlig auf die korrekte Abwicklung von Formalien begrenzt ist,
während das Inhaltliche komplett auf dynamische Gruppen von Individuen
verlagert ist. Ich denke da immer an die ausreichend bekannten Strukturen in
den alten, etablierten gemeinnützigen Einrichtungen. Nach meiner Erfahrung
sitzen da eine Menge von Leuten, die es sich sehr bequem in ihrem "Gut-Sein"
eingerichtet haben und deren eigene Leistung in einer normalen
Wettbewerbsstruktur kaum akzeptiert würde. Diesen Strukturen fehlt m.E.
Eigendynamik und die oben beschriebene Struktur würde, wenn ich das richtig
sehe, genau solch einen Fehler dauerhaft vermeiden.

Rückmeldungen sind ausdrücklich erwünscht.

Viele Grüße
Reinhard






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