Danke für den ausführlichen Beitrag, den man salopp mit "Es kommt darauf an." zusammen fassen könnte. Das ist mir aber zu einfach.
Für mich macht es einen wichtigen Unterschied, wann die Entscheidung für ein Freies Betriebssystem gefällt wird, für die Überzeugungsarbeit geleistet werden muß. Steht sie am Anfang der (bewußten) Nutzung Freier Software oder am Ende.
Wenn sie am Anfang steht, wird der Nutzer wohl eher bereit sein, die mit Freiheit verbundenen Unbequemlichkeiten wie z.B. Verantwortungsübernahme auf sich zu nehmen und aktiv z.B. durch Spenden oder Überzeugungsarbeit Freie Software zu fördern.
Steht die Entscheidung am Ende und der Nutzer verwendet schon viel Freie Software, wird die Entscheidung zum Umstieg auf ein Freies Betriebssystem u.U. immer weiter heraus geschoben. Es läuft ja Alles so schön. Daß Daten abgesaugt werden oder man in Teilbereichen durch Vendor-Lock-in eingesperrt ist (das erlebe ich gerade bei einer wechsel willigen Windows-Mail Nutzerin, die zudem noch ein POP3-Konto verwendet), nimmt man im Alltag ja (fast) nicht wahr.
Erst wenn die Leute zum Wechseln bereit sind, empfehle ich den Umstieg auf unter Windows oder MAcOs vorhandene Freie Software, weil das den Umstieg erleichtert.
Am 11.04.2017 um 19:43 schrieb Max Mehl:
# Wolfgang Romey [2017-04-11 19:05 +0200]:
Wie steht Ihr dazu, Freie Software unter einem unfreien Betriebssystem zu betreiben? Nützt das den mit Freier Software verbundenen Anliegen oder ist das ein nicht akzeptabler Kompromiß?
Die Frage lässt sich meiner Meinung nach nicht allgemeingültig beantworten. Was ist "akzeptabel"? Aus wessen Sicht und für welchen Zweck?
Beispiel Android: Die FSFE empfiehlt "Neueinsteigern", erst einmal den freien Appstore F-Droid zu installieren und Schritt für Schritt proprietäre Anwendungen mit Freier Software zu ersetzen, bevor das ganze Betriebssystem befreit wird. Für diejenige Person ist das ein sinnvolles Herangehen, weil man so nicht ins kalte Wasser geschmissen wird, sondern graduell dem Fernziel "100% Freie Software" näher kommt.
Das wird ja dadurch erzwungen, daß der Wechsel ungleich komplizierter ist, als der Wechsel auf einem Desktop-PC/Notebook. Es gibt ja kein Freies Betriebssystem für aktuelle Smartphones. Eine Ausnahme ist vielleicht das Fairphone mit seinem OpenOS, das ich seit Dezember 2016 ohne Probleme nutze. Alle Software auf meinem FairPhone habe ich von F-Droid bezogen. Damit bin ich aber wohl auch in FSFE-Kreisen die Ausnahme.
Für eine jahrelange Freie-Software-Verfechterin wäre das jedoch ein zu großer Kompromiss. Sie würde darauf achten, ihre Software nur auf einem System ohne jegliche unfreie Software laufen zu lassen bzw. mit so wenig wie möglich. So würde es vielleicht auch einem investigativen Journalisten gehen, der befürchtet, dass closed-source-Programme Backdoors enthalten – ein Freie-Software-Programm nützt in Sachen Datenschutz u.U. nichts, wenn das OS darunter kompromittiert ist.
Kurzum: Die Frage nach der Akzeptanz hängt immer von den Bedürfnissen der Nutzer ab. Menschen, die langsam an das Thema herangehen und ihre Textverarbeitung nun mit freier anstatt proprietärer Officesoftware machen, kann man dazu beglückwünschen, dass sie ihre Informationen nun mit offenen Standards speichern und ein Stück mehr Kontrolle gewonnen haben - der Kompromiss ist also durchaus akzeptabel, weil es ein Fortschritt ist. Aber wir als Unterstützer sollten sie dann darauf hinweisen, dass weitere Schritte nötig sind, um volle Kontrolle über die eigene Technik zu erhalten, etwa die Installation eines freien Betriebssystems.
Beglückwünschen würde ich die Leute nicht direkt, ich würde sie aber durchaus in ihrer Entscheidung bestärken und die Frage anschließen, warum sie es akzeptieren, ein Betriebssystem zu nutzen, daß sie ausforscht.
Anders sieht die Situation aus, wenn man abhängig beschäftigt ist und nicht selbst entscheiden kann, welche Software genutzt wird. Gelingt es in dieser Situation den Arbeitgeber davon zu überzeugen in Teilbereichen auf Freie Software zu wechseln, wäre das für mich ein großer Schritt. Bei der Bezirksregierung Düsseldorf habe ich z.B. immer darauf gedrängt, auch Firefox und Open-Office bereit zu stellen. Bei Firefox ist das irgendwann gelungen.
Wolfgang