Hallo.
Ich bin in der Materie mittelbar drin weil meine Frau Lehrerin an einem Gymnasium in Ba-Wü ist.
Am 04.05.2017 um 10:30 schrieb T. Schilde - Firetech Consulting:
Seid Jahren betreue ich eine Schule die mittlerweile zu 100% von MS auf Linux migriert ist. Und zwar sowohl was den Lehrbetrieb für die Schüler (IT Raum, PCs in den Unterrichtsräumen) als auch die Verwaltung anbelangt.
Bei uns muss man Abi-Korrektur-Ergebnisse in eine Tabelle eintragen, die Excel-Makros enthält. Die Makros erstellen dann standardisierte Druckbögen. Eine alternative Abgabeform ist nicht vorgesehen. Treten solche Fälle bei euch nicht auf?
Bei uns daheim habe ich extra für solche Sonderfälle eine virtuelle Maschine.
So gut das klingt so vielfältig sind die Probleme, denn trotz immer wieder gemachten Angebotes zur Schulung bzw. zu Grundkursen (viele Lehrer stehen mit IT auf dem Kriegsfuss, egal welches OS) wird dieses Angebot seitens der Lehrer mit dem Verweis auf die zu knappe verfügbare Zeit immer wieder abgelehnt.
Seit ich indirekt beteiligt bin, weiß ich was "die knappe Zeit" wirklich bedeutet und das Argument ist wirklich nicht vorgeschoben.
Es gibt aber noch mehr: Eine gewisse Menge Lehrer verzichtet wenn möglich auf EDV. Da werden Arbeitsblätter "zusammenkopiert" [1] und fertige Handout-Sammlungen von den Verlagen gekauft. So kommt keine Routine im Umgang mit dem Werkzeug "Computer" auf.
Dann gibt es aber noch das zweite Problem und das sind die Materialien bzw. deren Lizenzierung. Es ist ja erstmal untersagt, als Käufer eines Buchs dieses für jemand anderen zu kopieren. Jetzt gibt es für Lehrer diese Sonderregelungen, dass sie "Auszüge" für den eigenen Unterricht verwenden dürfen. Das ganze Buch kopieren geht nicht, was ist also "auszugsweise"? Und wie ist es mit Veränderungen? Und dann der Hammer: Digitale Kopien auf dem Rechner speichern darf man generell gar nicht. Wenn man es also einscannt, hat man bereits gegen das Nutzungsrecht verstoßen.
[1]: In der Tat haben wir einen Kopierer zu Hause und meine Frau macht das auch so: Buchseiten kopieren, ausschneiden, Mosaik auf den Kopierer legen, nochmal kopieren. Wir haben es mehrfach ausprobiert, mein IT'ler-Herz kriegt jedes Mal fast nen Infarkt aber es ist so wirklich deutlich schneller als mit digitaler Bildbearbeitung. Und dazu noch das rechtliche Problem.
Weil: Als Beamter bist du ja auch sehr angreifbar wenn du wissentlich unrechtmäßig handelst.
Soviel dazu, das bringt nämlich einerseits, dass viele Lehrer den Sprung ins Digitale nie vollständig gemacht haben. Andererseits sind die Zusatz-Dienste der Verlage auch Word-Dateien und Windows-Programme, wie du unten schreibst.
Die darauf befindliche Lernsoftware findet kein Interesse - statt dessen versucht man immer wieder irgendwie die Lernsoftware der Verlagshäuser zum Laufen zu bringen.........weil diese ja "kostenlos" von den Verlagen zur Verfügung gestellt wird und so schön zu den Lerninhalten der Bücher passt.
Ich finde das ein spannendes Thema. Als ich vor einigen Jahren freie Lernsoftware gesehen habe, konnte ich auch durch die rosarote FSFE-Fellow-Brille immer noch erkennen, dass die Software Grütze ist.
Also nimmt der Lehrer lieber die proprietäre Grütze vom Verlag, als eine andere Grütze weil bei letztem müsste er sich ja nicht nur einarbeiten sondern auch noch rechtfertigen.
Auf meiner Liste der freien Software die für den Unterricht was taugt, blieb damals nur GeoGebra übrig und das ist seither teilweise unfrei geworden. :(
Ist die Situation denn besser geworden?
Nur sehr wenige Lehrer interessieren sich für die Möglichkeiten der freien Systeme und schließlich steht ja auch keine Firma dahinter die mit Werbemitteln um sich wirft oder zu "Seminaren" mit Catering einlädt.......
In meinem Umfeld war noch nie ein Verlag mit Schulung oder gar Catering unterwegs. Es war vielmehr schon mehrmals so, dass die Schule neue Bildungspläne bekam und es maximal ein Buch auf dem Markt gab, das diese rechtzeitig umgesetzt hat. Da erübrigt sich eine Bewertung der Inhalte sondern man muss das eben nutzen.
Ich bin mittlerweile (nach rund 6 Jahren) sehr desillusioniert was die Hoffnung anbelangt, dass Lehrer die Vorteile von OpenSource begreifen oder sich auch nur Ansatzweise für diese Problematik interessieren. Ja, einige wenige schon, aber viel viel zu wenige!
Die Verlage haben schlichtweg zu viel Macht. Siehe die Ausführungen zum Copyright oben. Würde das Geld, das hier regelmäßig direkt oder indirekt an die Verlage fließt für die Schaffung offener Lehrmaterialien verwendet werden, dann sähe die Lehrwelt komplett anders aus. Lehrern wurde in den letzten Jahren immer eingebläut, dass man bloß nichts einscannen darf und bloß nichts kopieren darf. Der Geniestreich des Schultrojaners hat das Vertrauen in die EDV dann auch nicht weiter gesteigert.
da kommt demnächst der nette Vertreter vom XYZ-Verlag und wirft mit ein paar CD's um sich, deren schlecht programmierte Programme dann wieder nicht unter Linux oder Wine zum laufen zu bringen sind und schon ist das System Sch**ße!
In letzter Zeit sehe ich zwei Arten von Software hier bei uns im Haus: - Lehrmittel-DVDs, die eigentlich nur PDF-, DOC- und HTML-Dateien enthalten aber eine EXE als grafisches Frontend weil die Inhalte-Dateien nur mit kryptischen IDs benannt sind. Meine Lösung war ein Script, das mit "strings" und Konsorten die Dateien durch geht und ordentlich benennt. Jetzt braucht hier keiner mehr das grafische Frontend.
- Der Klett-Verlag vertreibt seit letztem Jahr den "Digitalen Unterrichtsassistent". Das interessante daran ist, dass das eine Browser-Anwendung ist, die auch komplett unter Linux läuft. Leider haben die bei der DVD-Produktion die Dateinamen verkackt, so dass es in einem Case-Sensitive-Betriebssystem eben doch nicht geht. Aber nachdem ich das behoben hatte, läuft das Ding bei uns. Natürlich hat der Verlag außen drauf geschrieben, dass es Windows erfordert. Eine entsprechende Mail an den Verlag, dass das unter Linux laufen würde wenn man die Dateinamen nicht versiebt hätte, blieb unbeantwortet.
Gruß, Bernd